Redebeitrag in Debatte zur Causa Amri: Kameras stoppen keine Lastwagen

Heute hat der Landtag NRW über die Causa Anis Amri debattiert. Ich habe im Rahmen dieser Debatte die folgende Rede gehalten (es gilt das gesprochene Wort):


{Anrede}

Anis Amri reiste mit einem Dutzend falscher Identitäten und falschen Papieren durch ganz Deutschland. Er absolvierte eine kriminelle Karriere, mit Sozialhilfebetrug, Diebstählen, Drogenhandel. Er verkehrte mit Islamisten, googelte im Internet nach Bombenbau. Er sprach mit zahlreichen Leuten, ob sie mit ihm gemeinsam Anschläge begehen wollen. Vom marokkanischen Geheimdienst kamen mindestens zwei Terrorwarnungen. Einem V-Mann des LKA erzählte er von seinen Plänen, sich Schnellfeuergewehre für einen Anschlag zu beschaffen, während dieser ihn im Auto nach Berlin fuhr.

Und trotzdem hat all das keinen Alarm ausgelöst.

Die Behörden haben im Fall des Anis Amri krass versagt. Und das ist die eigentlich bittere Erkenntnis dieses Falls: Der Anschlag am Berliner Breidscheidplatz hätte möglicherweise verhindert werden können, hätte man diese Zeichen richtig gelesen.

Jetzt wird also wieder nach neuen Strafen gerufen, nach leichterer Abschiebung, Fußfesseln, weiterer Aushöhlung des Rechtes auf Asyl und unserer Bürgerechte. Es wird noch mehr anlasslose Überwachung gefordert. Vermeintliche Rechtslücken sollen geschlossen werden.

Aber all das hat nichts mit dem Fall Amri zu tun! All das wird uns nicht mehr Sicherheit bringen, im Gegenteil: Das ist eine Schein-Sicherheit, solange die tatsächlichen Probleme nicht angegangen werden.

In Deutschland halten sich 62 sog. Gefährder mit abgelehntem Asylantrag auf. Anis Amri war einer davon. War es nicht möglich, wenigstens diese lückenlos zu überwachen?

Anis Amri jedenfalls wurde nicht lückenlos überwacht, er wurde nicht in Haft genommen, das wurde nicht einmal versucht. Selbst die verfügbaren milderen Mittel des Asylrechts wie etwa Meldeauflagen wurden nicht angewendet. Von Grenzen des Rechtsstaates waren wir weit entfernt. Dann aber kann auch niemand behaupten, dass, wenn strengere Regeln im Asylrecht verfügbar gewesen wären, diese hier auch überhaupt angewendet worden wären.

Minister Jäger sagte vergangene Woche im Innenausschuss, er kannte den Namen Anis Amri vor dem Anschlag nicht. Der Minister lässt sich also nicht von seinem Ministerium über ausreisepflichtige Gefährder in NRW unterrichten. Das ist besonders interessant, denn eine Abschiebungsanordnung nach §58a Aufenthaltsgesetz, die hätte der Minister selbst veranlassen müssen. Das hat er also noch nicht einmal prüfen können!

Und zu allem Überfluss hat die eine beteiligte Stelle nicht mit der anderen gesprochen. Das LKA nicht mit der Ausländerbehörde Kleve und nicht mit der Staatsanwaltschaft Duisburg.

Wir müssen also konstatieren: Konsequente Anwendung des bestehenden Rechts hätte womöglich schon ausgereicht. Funktionierende Kommunikation unter den Sicherheitsbehörden hätte vielleicht schon ausgereicht. Schärfere Gesetze jedenfalls ersetzen keine Defizite im Vollzug.

Kameras stoppen keine Lastwagen!

Nur herkömmliche Polizeiarbeit, gründliche Ermittlungen, anlassbezogene, konsequente Überwachung und funktionierende Kommunikation zwischen allen beteiligten Stellen bringen auch Sicherheit. Ja, das ist anstrengend, ja, das braucht viel Personal, und ja, dieses muss dann auch gut ausgerüstet und ausgebildet sein. Mit esoterischer Sicherheitstechnik kann man das genauso wenig ersetzen wie mit noch mehr Gesetzen und neuen Strafen.

Und ja, es ist aufwendig, vor einen Richter zu treten und eine rechtliche Maßnahme, wie zum Beispiel eine Abschiebungsanordnung, zu begründen. Aber das muss sein. Das ist keine Rechtslücke. Wir brauchen diese Instanz, damit das Recht gewahrt bleibt. Dem muss man sich dann als Exekutive auch stellen.

Und über die sozialen Gründe, warum junge Menschen zu Fanatikern werden, haben wir hier noch nicht gesprochen.

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,

Im Fall Anis Amri sind krasse Fehler im Vollzug offenbar geworden. Diese müssen jetzt weiter aufgeklärt werden, auch parlamentarisch, und zwar mit einem Untersuchungsausschuss. Und das Versagen muss Folgen haben. Minister Jäger trägt die politische Verantwortung für dieses Desaster, und sollte die Konsequenzen ziehen.

Jetzt aber den kurzen Weg zu gehen und einfach einen Katalog neuer Gesetze und einen bunten Strauß neuer Überwachungstechnik zu fordern ist keine Lösung. Das wird den nächsten Anis Amri nicht aufhalten.

Vielen herzlichen Dank.

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Ein Gedanke zu „Redebeitrag in Debatte zur Causa Amri: Kameras stoppen keine Lastwagen

  • 26. Januar 2017 um 12:26 Uhr
    Permalink

    Eine „bemühte“ Rede, wahrlich, wahrlich:
    „Und trotzdem hat all das keinen Alarm ausgelöst.“ – nun Daniel Schwerd, das war halt >“herkömmliche“< (!!) Polizeiarbeit.
    Damit widersprichst du dir, offensichtlich ungewollt, selber, denn weiter unten forderst du "mehr HERKÖMMLICHE" Polizeiarbeit .
    Nun, eventuell hat da einer von uns beiden wohl das "herkömmlich" nicht als herkömmlich / gegeben verstanden.
    "Kameras stoppen keine Lastwagen" – Nein, richtig, soweit ich das überblicke, hat das niemand gefordert oder erwartet, so wie auch niemand erwartet, dass eine Pendeltür den Besuch böswilliger Gäste erkennt.
    Was allerdings die Nutzung von Kameraaufzeichnungen wesentlich bedeutungsvoller machen kann, ist genaueste Auskunft dazu, dass und woran Ordnungsorgane (welche auch immer) des Staates gescheitert sind, was sie nicht verstanden und somit nicht bgewältigt haben – natürlich zur Verbesserung deren Tätigkeit …
    Nur wer kann mit diesen Angaben und darin verborgenen Hinweisen (mal in die umgekehrte Richtung) aus Kameraaufzeichnungen nun so damit umgehen, dass nicht nur die Bewegung von (Zer)Störern sondern auch der fachlich subtile rsp. zu hinterfragende Umgang damit aufgezeigt wird?
    Ja, Kameras stoppen keine Lastwagen, und Messer oder Sprengstoffe töten keine Menschen: Es sind stets MENSCHEN, die das machen – bei denen, die uns davor zu schützen haben, allerdings auch!
    Vielleicht gibt es einmal jemanden, der nicht die Abschaffung der Messer sondern deren Missbrauch, nicht die Abschaffung von Kameras sondern deren zweckdienliche Auswertung in beide (alle) Richtungen sich vornimmt und qualifiziert, da allein dies auch Missbrauch nun wieder der Kameraaufzeichnungen verhindern kann – was ja wohl dein Anliegen hier ist.

    Eventuell ein Daniel Schwerd,? "Herkömmliches" (auch in der Polizeiarbeit) dabei wahrlich hinter sich und uns lassend?
    Oder resümieren wir statt dessen nur wieder: Man (er) war bemüht …

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