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LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN
16. Wahlperiode

 

Drucksache  16/10077

 

27.10.2015

 

 

 

 

Antrag

 

der Fraktion FDP

 

 

Grundrechte verteidigen, anlasslose Überwachung stoppen, Vorratsdatenspeicherung kippen

 

 

I. Der Landtag fordert die Landesregierung auf,

 

  1. im Bundesrat endlich wahrnehmbar Position gegen das Gesetz zur Einführung einer Speicherpflicht und einer Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten (kurz: Vorratsdatenspeicherung) zu beziehen;

 

  1. sich aktiv für einen Beschluss des Bundesrates einzusetzen, Einspruch dagegen einzulegen; 

 

  1. im Falle der Verkündung des Gesetzes eine abstrakte Normenkontrolle dagegen vor dem Bundesverfassungsgericht gemäß Artikel 93 Absatz 1 Nummer 2 GG i.V.m.
    §§ 13 Nummer 6 und 76 ff. BVerfGG zu erheben.

 

 

II. Begründung:

 

Nachdem das Bundesverfassungsgericht 2010 die deutsche Regelung zur Vorratsdatenspeicherung verworfen und der Europäische Gerichtshof 2014 die grundlegende EU-Richtlinie für ungültig erklärt hat, startet die Bundesregierung nun einen neuen Versuch, um die anlasslose, verdachtsunabhängige Speicherung von sogenannten Verkehrsdaten aller Bürger gesetzlich zu verankern.

 

Es war bereits ein Offenbarungseid, dass der Bundesrat am 12. Juni 2015 zu den Plänen der Bundesregierung zur erneuten Einführung der Vorratsdatenspeicherung keine Stellungnahme beschlossen hat und NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft zu dem Thema abgetaucht ist.

 

Der Bundestag hat den Gesetzentwurf zur Vorratsdatenspeicherung nun trotz massiver Widerstände in einem fragwürdigen Schnellverfahren beschlossen. So heißt es denn selbst auf der Internetseite des Bundestages:

 

„Jetzt soll es flott gehen: Die Koalitionsfraktionen haben beantragt, das Gesetz zur Wiedereinführung der umstrittenen Vorratsdatenspeicherung kurzfristig auf die Tagesordnung der laufenden Sitzungswoche zu heben. Am Freitag, 16. Oktober 2015, soll der Bundestag ab 9 Uhr 85 Minuten lang über wortgleiche Entwürfe der Koalitionsfraktionen CDU/CSU und SPD (Drs. 18/5088) sowie der Bundesregierung (Drs. 18/5171) in zweiter und dritter Lesung abschließend beraten und namentlich abstimmen.“

 

Insbesondere die SPD soll gedrängt haben, das leidige Thema, über das sie monatelang gestritten hat, vor ihrem Parteitag im Dezember abzuräumen. Jeder vierte SPD-Abgeordnete ist gegen eine Rückkehr zur Vorratsdatenspeicherung – im Bundestag stimmten 43 Sozialdemokraten mit Nein, sieben enthielten sich.

 

Schon am 6. November soll das Gesetz als Einspruchsgesetz durch den Bundesrat gehen. Bereits am 21. Oktober stand das Gesetz als TOP 13 auf der Tagesordnung der 935. Sitzung des federführenden Rechtsausschusses, in dem der nordrhein-westfälische Justizminister Thomas Kutschaty Mitglied ist.

 

Noch am 30. Januar 2015 hatte Kutschaty im Landtagsplenum in der Debatte zum Antrag der FDP-Fraktion „Bürger wirksam schützen statt überwachen – Sicherheit braucht personalstarke Sicherheitsbehörden statt anlasslose Vorratsdaten­speicherung“ (Drucksache 16/7775) zutreffend ausgeführt:

 

„Es ist jedoch falsch, meine Damen und Herren, jetzt reflexartig und ohne genaue Analyse der Angriffe in Paris eine anlasslose und voraussetzungslose Speicherung aller Telekommunikationsdaten aller Bürgerinnen und Bürger zu fordern. Denn die Wirksamkeit, meine Damen und Herren, steht durchaus infrage. Schließlich ist gerade bereits gesagt worden, dass eine anlasslose Vorratsdatenspeicherung die Anschläge in Paris nicht verhindern konnte. Und sie hat auch nicht dazu beigetragen, die Täter zu fassen. Wer so etwas fordert, muss sich natürlich genau die rechtlichen Grundlagen dazu anschauen, in welchem Spektrum und in welcher Bandbreite wir uns überhaupt bewegen können. Das Bundesverfassungsgericht hat zumindest die bisherige deutsche Regelung im Jahre 2010 für verfassungswidrig erklärt. Der Europäische Gerichtshof hat im Jahr 2014 die EU-Richtlinie dazu ebenfalls für verfassungswidrig erklärt. Bislang hat mir noch kein Innen- oder Sicherheitspolitiker eine gangbare Lösung aufgezeigt, wie das auch tatsächlich verfassungskonform funktionieren kann.“ (Plenarprotokoll 16/79, S. 8031)

 

In einer unmittelbaren Reaktion auf Pläne zu einem nationalen deutschen Alleingang bezeichnete Kutschaty die Vorratsdatenspeicherung laut Medienberichten als „ein Relikt aus der Steinzeit“. „Wer glaube, dass Terroristen von ihrem Festnetztelefon aus bei anderen Terroristen anriefen, um Anschläge zu verabreden, an dem sei die gesamte technische Entwicklung der vergangenen zehn Jahre vorbeigegangen“, erklärte der SPD-Politiker in einer Zeitung am 14. März 2015.

 

Passiert das Gesetz nach dem Bundestag auch den Bundesrat, bleibt nur noch der Weg zum Bundesverfassungsgericht. Persönlichkeiten der FDP haben konsequenterweise bereits Verfassungsbeschwerden vor dem Bundesverfassungsgericht angekündigt. Es sind neben den Bürgern gerade die vielen Berufsgeheimnisträger wie Ärzte, Anwälte, Journalisten und Seelsorger massiv betroffen. Sie und vor allem die mit ihnen kommunizierenden Bürger können nur hinreichend geschützt werden, wenn ihre Telekommunikation „erst gar nicht“ erfasst wird. Die vorgesehene Regelung, dass Daten dieser Gruppen lediglich nicht abgerufen und verwertet werden dürfen, ist mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs nicht vereinbar. Und Hackern und vielen Nachrichtendiensten egal. Dass dies beharrlich ignoriert wurde, fordert eine Klage geradezu heraus.

 

Auch die Landesregierung ist aufgefordert, ihr vom Grundgesetz in Art. 93 Absatz 1 Nummer 2 eingeräumtes Klagerecht zu nutzen und die Grundrechte von 17,5 Millionen NRW-Bürgern aktiv im Wege einer eigenen abstrakten Normenkontrolle gegen dieses offensichtlich verfassungswidrige Überwachungsgesetz zu verteidigen.

 

Art. 93 Absatz 1 Nummer 2 Grundgesetz bestimmt:

 

„Das Bundesverfassungsgericht entscheidet (…) bei Meinungsverschiedenheiten oder Zweifeln über die förmliche und sachliche Vereinbarkeit von Bundesrecht oder Landesrecht mit diesem Grundgesetze oder die Vereinbarkeit von Landesrecht mit sonstigem Bundesrechte auf Antrag der Bundesregierung, einer Landesregierung oder eines Viertels der Mitglieder des Bundestages;“

 

In der Beschlussempfehlung zum Gesetzentwurf (Drs. 18/6391, S. 9) heißt es selbst vonseiten der Befürworter: Die verpflichtende Speicherung von Verkehrsdaten ist mit erheblichen Grundrechtseingriffen verbunden. (…) Es gibt (…) gegenwärtig naturgemäß keine empirischen Studien zu der Frage, ob die neue, im Vergleich zur vorhergehenden gesetzlichen Regelung restriktivere Pflicht zur Speicherung von Verkehrsdaten tatsächlich die gewünschten Effekte hervorbringt und der Strafverfolgungspraxis hilft. Gleichzeitig sind die Kosten zu bedenken, die die Einführung einer Speicherpflicht für die betroffenen Telekommunikationsunternehmen mit sich bringt. Daher soll die Anwendung des Gesetzes evaluiert werden, (…).“

 

Einer solchen Grundrechtsverletzung auf Probe zulasten aller NRW-Bürger darf die Landesregierung nicht tatenlos zusehen.

 

Die Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit sowie die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages äußerten in ihren jeweiligen Stellungnahmen massive Bedenken gegen den Gesetzentwurf zur Vorratsdatenspeicherung. Erstere monierte, die Art und Weise, in der das Gesetzgebungsverfahren vom Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz betrieben worden sei, sei inakzeptabel und faktisch ohne ihre Beteiligung durchgeführt. Die Initiative sei zudem aus mehreren, detailliert benannten Gründen verfassungswidrig.

 

Der Deutsche Anwaltverein und Journalistenverbände haben zu Recht das geplante Gesetz bis zuletzt entschieden abgelehnt und dagegen protestiert.

 

Noch am 15. Oktober appellierten die Journalisten- und Medienorganisationen DJV, dju in ver.di, BDZV, VDZ und VPRT sowie die ARD öffentlich an den Deutschen Bundestag, in der für den 16. Oktober geplanten zweiten und dritten Lesung des Gesetzentwurfs mit „nein“ zu stimmen. Wörtlich heißt es in dem Appell:

 

„Die von der Bundesregierung geplante Neuauflage der Vorratsdatenspeicherung schadet dem Informantenschutz und schränkt dadurch die Presse- und Rundfunkfreiheit in Deutschland in unvertretbarem Maße ein.

 

Die vorgesehene Speicherung von Telefonnummern, IP-Adressen und Standortdaten für die Dauer von bis zu zehn Wochen untergräbt den Schutz der Informanten, zu dem Journalistinnen und Journalisten und andere Medienmitarbeiter berechtigt und ethisch verpflichtet sind. Zu Recht hat der EuGH an der für ungültig erklärten europäischen Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung beanstandet, dass ein Schutz von Berufsgeheimnisträgern vor der Speicherung ihrer elektronischen beruflichen Kontaktdaten fehlte.

 

Auch der vorliegende Gesetzentwurf sieht keinen adäquaten Schutz vor. Soweit der Abruf der gespeicherten Daten durch Staatsanwälte und Polizeibehörden unzulässig sein soll, ist der vorgesehene Schutz höchst unvollkommen und gefährdet die journalistische Berichterstattungsfreiheit. Sollte das Gesetz Realität werden, können Journalisten ihren Quellen keinen Schutz vor Aufdeckung mehr bieten.

 

Die Organisationen lehnen auch die vorgesehene Strafvorschrift zur so genannten Datenhehlerei ab, die ebenfalls erheblich in den Schutz der journalistischen Arbeit eingreift.

 

Der Gesetzgeber solle die Presse- und Rundfunkfreiheit stärken, statt Unsicherheit und Misstrauen zu säen, forderten die Medienverbände und -unternehmen.“

 

Der Deutsche Anwaltverein hat bereits am 11. Juni 2015 anlässlich des 66. Deutschen Anwaltstages in Hamburg erneut seine entschiedene Ablehnung des Gesetzentwurfs zur Einführung der Vorratsdatenspeicherung betont. In der Pressemitteilung (DAT 5/15) wird u.a. ausgeführt:

 

„Die anlasslose Speicherung der Verbindungsdaten von sämtlichen Bürgerinnen und Bürgern in der Bundesrepublik Deutschland ist nicht notwendig. Die Verfasser des Entwurfs können außerdem die Erforderlichkeit und die Angemessenheit der Maßnahme nicht begründen. Es bestehen Zweifel, ob die sicherheitspolitischen Ziele überhaupt erreicht werden. Auch der Schutz von Berufsgeheimnisträgern ist unzureichend. Ebenso können Journalistinnen und Journalisten nach diesem Entwurf Gefahr laufen, sich bei Ausübung ihres Berufs wegen Datenhehlerei strafbar zu machen. Am sichersten sind die Daten, die gar nicht erhoben werden. Dass die Vorratsdatenspeicherung nicht das Allheilmittel für die Erreichung des sicherheitspolitischen Ziels darstellt, wird schon dadurch deutlich, dass auch die Anschläge in Paris nicht verhindert werden konnten, obwohl es dort eine umfassende Vorratsdatenspeicherung gibt.“

 

 

 

 

 

Christian Lindner

Christof Rasche

Marc Lürbke

Dr. Joachim Stamp

Angela Freimuth

Marcel Hafke

Dirk Wedel

Thomas Nückel

 

und Fraktion

 


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