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LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN
16. Wahlperiode

 

Drucksache  16/1169

 

22.10.2012

 

 

 

 

Antwort

 

der Landesregierung

auf die Kleine Anfrage 469 vom 18. September 2012

des Abgeordneten Daniel Schwerd   PIRATEN

Drucksache 16/932

 

 

 

Verwaiste Werke von in der NS-Diktatur verfolgten und ermordeten Künstlern

 

 

 

Der Justizminister hat die Kleine Anfrage 469 mit Schreiben vom 19. Oktober 2012 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Finanzminister und der Ministerin für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport beantwortet.

 

 

 

Vorbemerkung der Kleinen Anfrage

 

Verwaiste Werke sind Werke, deren Urheber oder Rechteinhaber nicht mehr oder nur mit extremen Aufwand zu ermitteln sind. Solche Werke lassen sich nur noch problematisch verwerten, da eine Zustimmung des Urhebers bzw. Rechteinhabers zur Verwertung nicht mehr eingeholt werden kann. Faktisch werden verwaiste Werke in Deutschland von Verwertungsgesellschaften verwertet.

 

Zu verwaisten Werken gehört auch eine Vielzahl von Werken jüdischer und anderer Künstler, Musiker und Autoren, die im Nationalsozialismus ermordet oder vertrieben wurden und die keine Erben hinterlassen haben bzw. deren Erben nicht auffindbar sind.

 

In Fällen, in denen für einen Nachlass keine Erben leben oder aufzufinden sind, ist der Fiskus Erbe, vertreten durch die Landesfinanzminister der Bundesländer. Faktisch nutzen jedoch Verwertungsgesellschaften wie die VG Wort und GEMA die verwaisten Werke, und erzielen daraus Einnahmen, die den in der Zeit des Nationalsozialismus vertriebenen, verfolgten und getöteten Künstlern beziehungsweise ihren nicht auffindbaren Erben zugestanden hätten. Weder nimmt der Fiskus die Nutzung dieser Werke wahr, noch stellt er sicher, dass diese Einnahmen im Sinne der Ermordeten und Verschollenen genutzt werden.

 

Der Staatskanzlei des Landes  Nordrhein-Westfalen wurde im Mai 2009 ein Schreiben des Justitiars des PEN Zentrums deutschsprachiger Autoren im Ausland (vormals Exil-PEN) zugeleitet. Darin wird folgende Frage aufgeworfen: Ist der Staat (in diesem Fall das Land NRW) als Erbe verwaister Werke der bis 1945 verstorbenen oder verschollenen Schriftstellern, die vom Nationalsozialismus verfolgt wurden, der Pflicht zur angemessenen Verwertung der Werke im beschriebenen Sinne ausreichend nachgekommen?

 

Das Land NRW hat diese Anfrage im Gegensatz zu anderen Bundesländern bislang nicht beantwortet.

 

Das Europäische Parlament hat am 13. September 2012 in Straßburg die lange diskutierte Richtlinie über bestimmte zulässige Formen der Nutzung verwaister Werke verabschiedet. Die Abgeordneten billigten die Vorlage mit 531 gegen 65 Stimmen bei 11 Enthaltungen. Die Richtlinie erlaubt die nichtkommerzielle Nutzung von Büchern, Filmen und anderen schöpferischen Werken, für die kein Urheber mehr aufgefunden werden kann.

 

Bibliotheken und Archive können laut der Richtlinie nach einer "sorgfältigen Suche" nach möglichen Rechteinhabern Werke aus ihrem Bestand digitalisieren und öffentlich zugänglich machen. Die Richtlinie ist Teil eines größeren Pakets zur Reform des Urheberrechts, das nach Ansicht von EU-Medienkommissarin Neelie Kroes noch erweitert werden muss. Einige Abgeordnete sprachen von einem ersten Schritt, der bei der in zwei Jahren anstehenden Revision noch verbessert werden könne.

 

Diese Richtlinien legen fest, dass in den EU-Staaten die Feststellung, ob es sich im jeweils konkreten Fall um verwaiste Werke handelt, in erster Linie in der Verantwortung der Nutznießer liegt. Das würde bedeuten, dass sowohl Verlage als auch die VG Wort und die GEMA verwaiste Werke an die Länder als rechtliche Erben melden müssen.

 

Dies wird zu umfangreichen Recherchen und Arbeiten führen.

 

 

1.         Wie bewertet die Landesregierung die Auffassung, dass wegen des moralischen Gehaltes eine Regelung der Nutzungsfrage dieser Werke im Sinne der Ermordeten und Verschollenen unbedingt erfolgen muss?

 

Die Landesregierung ist der Auffassung, dass eine Regelung der Nutzungsfrage der Werke von Künstlerinnen und Künstlern, die vom NS-Regime verfolgt oder ermordet wurden, selbstverständlich im Sinne der Verfolgten, Verschollenen und Ermordeten erfolgen muss.

 

Nach Erkenntnissen der Landesregierung soll die Thematik der Erhaltung des kulturellen Erbes und der sogenannten verwaisten Werke von der Bundesregierung aufgegriffen werden. Das Bundesministerium der Justiz hat in diesem Zusammenhang die Vorlage eines Referentenentwurfs angekündigt, der unter anderem die Voraussetzungen dafür schaffen soll, dass verwaiste Werke genutzt werden können, und insofern  hierzu im vergangenen Jahr bereits eine öffentliche Anhörung durchgeführt. Das im Rahmen der Kleinen Anfrage erwähnte P.E.N.-Zentrum Deutschland  ist in den entsprechenden Diskussionsprozess eingebunden. So ist es unter anderem Mitglied der Deutschen Literaturkonferenz und hat sich im letzten Jahr mit der Problematik der Werke erbenlos verstorbener Autoren bereits unmittelbar an das Bundesministerium der Justiz gewandt, welches dem P.E.N.-Zentrum Deutschland die Aufnahme  in die Liste der "beteiligten Kreise"  angeboten hat, die im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens beteiligt und um ihre Einschätzung gebeten werden.

 

Zudem hat das Europäische Parlament am 13.09.2012 den Richtlinienvorschlag der Europäischen Kommission über bestimmte zulässige Formen der Nutzung verwaister Werke (KOM (2011) 289 endg.) angenommen. Der Rat muss dem Text formal noch zustimmen. Die Richtlinie sieht vor, dass der Nutznießer der Verwertung eines Werkes verpflichtet ist zu prüfen, ob es sich tatsächlich um ein verwaistes Werk handelt. Nutznießer können Verlage, Bibliotheken und andere Kultureinrichtungen oder auch die Verwertungsgesellschaften selbst sein. Die Suche nach möglichen Rechteinhabern soll strukturiert und in vorgegebenen Quellen erfolgen und nachvollziehbar protokolliert werden. Geplant ist die Einrichtung einer europaweiten Datenbank, in der die Suchergebnisse gespeichert und öffentlich zugänglich gemacht werden.

Die Richtlinie wird nach Inkrafttreten binnen 2 Jahren in nationales Recht umzusetzen sein.

 

Die Länder haben bereits im Rahmen des Bundesratsverfahrens zum Richtlinienvorschlag (BR-Drs. 308/11) mit Beschluss vom 08.07.2011 Stellung bezogen und werden sich auch im Rahmen des Umsetzungsprozesses weiter einbringen.

 

Die Fragen zur Regelung der Nutzungsfrage verwaister Werke sind - wie auch die nationalen und europäischen Vorhaben zeigen - von großer Bedeutung. Selbstverständlich wird sich die Landesregierung an den Beratungen zu diesen Vorhaben auch weiterhin beteiligen und sich - auch mit Blick auf die Fragen zur Nutzung der Werke von verfolgten und ermordeten Künstlerinnen und Künstlern aus der Zeit des NS-Regimes - dafür einsetzen, dass die Problematik einer angemessenen und interessengerechten Lösung im Sinne der Betroffenen  zugeführt werden wird.

 

 

2.       Wird die Landesregierung die notwendigen Recherchen und Arbeiten in ihrem Bereich ermöglichen und unterstützen?

 

Es ist davon auszugehen, dass die im Rahmen der Antwort zu Frage 1 genannten, vom Bund zu erlassenden gesetzlichen Regelungen zur Nutzung verwaister Werke geeignete Verfahren vorsehen werden, wie die notwendigen Recherchen zur Ermittlung des Waisenstatus eines Werks durchgeführt und dokumentiert werden können. Sobald geklärt ist, welche Recherchen und Arbeiten erforderlich sind, um die Nutzung von solchen Werken zu erfassen, wird die Landesregierung diese im Rahmen ihrer Zuständigkeit ermöglichen und unterstützen.

 

Der Landesregierung liegen allerdings keine Erkenntnisse dazu vor, ob und ggf. in welcher Anzahl Verwertungsgesellschaften - insbesondere mit Bezug zu Nordrhein-Westfalen - verwaiste Werke von in der Zeit des Nationalsozialismus vertriebenen, verfolgten und getöteten Künstlern tatsächlich verwalten und daraus Einnahmen erzielen. Aufsichtsbehörde der Verwertungsgesellschaften ist das Deutsche Patent- und Markenamt in München.

 

Ebenso wenig liegen der Landesregierung Erkenntnisse dazu vor, ob das Land Nordrhein-Westfalen in Fällen erbenlos verstorbener Künstler tatsächlich als Fiskuserbe festgestellt worden ist oder werden könnte. Nach den gesetzlichen Regelungen der §§ 1936, 1964ff  BGB muss eine - subsidiäre - Erbenstellung des Fiskus in dem dafür vorgesehenen Verfahren nach Durchführung von erfolglosen Ermittlungen nach privaten Erben und öffentlicher Aufforderung zur Anmeldung von Erbrechten durch einen Beschluss des Nachlassgerichts festgestellt werden. Erst ein nach diesem Verfahren ergehender Feststellungsbeschluss würde die Grundlage für die Geltendmachung des Staatserbrechts bilden. Es ist deshalb nicht so, dass im Falle verwaister Werke regelmäßig der Fiskus als Erbe angesehen werden könnte. Dementsprechend dürfte die Lösung der Problematik der verwaisten Werke - abgesehen von Einzelfällen - auch nicht vorrangig im Fiskuserbrecht zu suchen sein.

 

 

3.       Ist die Landesregierung von NRW bereit, mit allen Beteiligten und in Frage kommenden Einrichtungen und Organisationen eine Regelung des Problems des Erbes von durch den Nationalsozialismus verfolgten Künstlern, Autoren und Komponisten herbeizuführen?

 

4.       Welche Schritte wird die Landesregierung konkret durchführen, um die in Fragen 2 und 3 angesprochenen Aufgaben umzusetzen? Bitte nennen Sie auch den vorgesehenen Zeitrahmen der einzelnen Schritte.

 

Fragen 3 und 4 werden wegen des Sachzusammenhangs zusammen beantwortet.

 

Die Landesregierung wird sich an den Beratungen zu dem vom Bundesministerium der Justiz angekündigten Gesetzgebungsvorhaben hinsichtlich der Nutzung verwaister Werke beteiligten und alle Bemühungen unterstützen, die dazu beitragen können, die Thematik einer angemessenen und interessengerechten Lösung im Sinne der Betroffenen zuzuführen. Erst auf der Grundlage der inhaltlichen Ausgestaltung dieser, in die Zuständigkeit des Bundes fallenden Gesetzgebungsvorhaben wird es der Landesregierung aber möglich sein, das konkrete Vorgehen in Nordrhein-Westfalen zu planen. Eine operative Konkretisierung ist daher zum jetzigen Zeitpunkt nicht darstellbar.

 

 


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