< Zurück zum Blog
Das Dokument als PDF abrufen: Hier klicken!

LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN
16. Wahlperiode

 

Drucksache  16/2892

 

07.05.2013

 

 

 

 

Antrag

 

der Fraktion der PIRATEN

 

 

 

 

Netzneutralität gesetzlich verankern, Drosselung von Netzzugängen verhindern

 

I.             Sachverhalt

 

Das Internet bietet eine historisch einmalige Plattform für Partizipation und den freien Austausch von Wissen und Kultur. Durch den diskriminierungsfreien, netzneutralen Zugang eröffnet das Internet neue Möglichkeiten für die Weiterentwicklung von Kultur, Politik und auch der Wirtschaft. Es ist der Dreh- und Angelpunkt des zeitgenössischen politischen und kulturellen Diskurses.

 

Im Koalitionsvertrag für die aktuelle Legislaturperiode konstatieren die beiden Regierungsfraktionen: "Zugang zum Internet ist heute Voraussetzung für soziale, demokratische und ökonomische Teilhabe der digitalen Gesellschaft. [...] Wir werden eine Bundesratsinitiative mit dem Ziel starten, die  Netzneutralität im Telekommunikationsgesetz durchsetzungsstark  festzuschreiben."

 

Die Deutsche Telekom AG hat angekündigt, ab dem 2. Mai ihren Internet-Neukunden ausschließlich DSL-Neuverträge mit Breitbanddrosselung ab einem gewissen Datenaufkommen ("Traffic") anzubieten. Wie bekannt wurde, sollen auch die Anschlüsse der Bestandskunden im Zuge einer Tarifumstellung nach und nach ebenfalls mit dieser Drosselung versehen werden. Die Pläne der Telekom sehen vor, bei den üblichen DSL-Anschlüssen mit einem Downstream von “bis zu” 16 Megabit/s den Internet-Zugang ab 75 Gigabyte Traffic auf 384 Kilobit/s Downstream zu drosseln. Bei Anschlüssen mit “bis zu” 50 Megabit/s soll die Drosselung ab 200 Gigabyte Traffic erfolgen. Das bedeutet eine Senkung der Geschwindigkeit auf etwa 0,77 Prozent der regulär verfügbaren Datenübertragungsgeschwindigkeit. Die Drosselungs-Pläne der Telekom sollen ab 2016 technisch zur Anwendung kommen. Bis 2018 sollen auch alle Bestandskunden davon betroffen sein.

 

Ein Internetzugang, der ab einem bestimmten Datenaufkommen auf einen derart geringen Bruchteil reduziert wird, wird von Experten als "funktional kaputt", statt als "gedrosselt" bezeichnet. Eine solche Drosselung bedeutet nichts anderes als eine vertraglich implementierte Barriere vor dem zuvor funktionalen Netzzugang der Kunden.

 

Die Verbraucherzentrale NRW verlangt von den Netzanbietern, ihren Kunden die Pauschaltarife bereitzustellen, die dieser Bezeichnung gerecht werden. Wird ein Angebot als Flatrate bezeichnet, soll nicht im Kleingedruckten eine Begrenzung beinhaltet sein. Die Kunden erwarten einen Pauschaltarif, der sie vor Zusatzkosten schützt. Die als Flatrate verkauften Volumentarife sind aus Verbraucherschutzssicht nicht hinnehmbar.

 

Eine Drosselung würde Familien wegen deren höheren Internetnutzung schneller treffen als Einzelpersonen. Ebenso werden genau diejenigen benachteiligt, die das Internet intensiv zu Aus- und Fortbildungszwecken benötigen, also Schüler, Lehrer, Auszubildende, Studierende sowie Alleinerziehende mit Heimarbeitsplätzen. Das vorgestellte Tarifmodell ist daher spürbar unsozial.

 

Die Begründung der Deutschen Telekom, Bandbreiten würden knapp, ist irreführend. Die Argumentation, sogenannte "Intensivnutzer" würden auf Kosten "normaler Nutzer" die bisher ungedrosselt angebotene Bandbreite verbrauchen und somit eine ungerechte Situation herbeiführen, ist falsch. Laut Experten kostet die Übertragung von einem Gigabyte weit unter einem Cent. Die Kapazitäten sind am Backbone derzeit bei weitem nicht ausgeschöpft. Der Verweis auf "Intensivnutzer" ist vielmehr eine Diskriminierung gegen Menschen, die ihren kulturellen und sozialen Lebensmittelpunkt im Netz haben ­– die Netzbürger.

 

Tatsächlich sind immer mehr Dienste im Internet Traffic-intensiv. Dies betrifft heute insbesondere Dienste für Musik- und Video-Streaming. In Zukunft wird sich das Datenaufkommen im Internet für die Wahrnehmung von Kultur-, Bildungs-,  Informations- und Unterhaltungsangeboten vervielfachen. Auch der Trend zu Fernarbeit, eHealth, eGovernment und eLearning geht in diese Richtung. Das von der Telekom genannte Datenvolumen von 75 Gigabyte bis zur Drosselung ist bereits heute knapp bemessen und wird in Zukunft keinesfalls ausreichend sein. Entsprechend wird eine Drosselung schwerwiegende Folgen sowohl  für die Partizipationsmöglichkeiten, Bildung und kulturelle Teilhabe, als auch für die Dynamik der Internetwirtschaft haben.

 

Die beabsichtigten Tarifänderungen stellen, würden sie wie geplant umgesetzt, einen massiven Eingriff in die Funktionsweisen des Internets dar, wie wir es heute kennen. Das  Internet von heute basiert auf dem Prinzip der Netzneutralität. Netzneutralität bedeutet, dass die im Internet versandten Daten von den  Netzbetreibern so gleich wie technisch sinnvoll behandelt werden. Es darf kein Inhalt gegenüber anderen, vergleichbaren Inhalten bevorzugt oder benachteiligt werden.

 

Die Praxis der Drosselung wird im Bereich der mobilen Internetanschlüsse  bereits anbieterübergreifend angewendet: Die Kunden kaufen Datenpakete; nach Ausschöpfung des Volumens wird die Übertragungsgeschwindigkeit massiv gedrosselt. Darüber hinaus werden bestimmte Dienste wie VoIP oder Peer to Peer bei mobilen Internetanschlüssen sogar vollständig geblockt. Diese Praxis verstößt bereits gegen die Netzneutralität. Der Vorstoß einer Drosselung im Festnetz ist ein noch schwerwiegenderer Eingriff, der den grundsätzlichen Zugang zum Netz behindert und die Verletzung der Netzneutralität in den Bereich der digitalen Grundversorgung verlagert.

 

Schon in einem Zwischenbericht der Enquete-Kommission „Neue Informations- und Kommunikationstechniken“ aus dem Jahr 1983 (Bundestagsdrucksache 9/2442) heißt es: "Der Netzbetreiber darf insbesondere nicht auf die Inhalte der Netznutzung [...] Einfluß haben." Die von der Deutschen Telekom angekündigte Drosselungs-Praxis bricht in diesem Punkt eklatant mit dem Prinzip der Netzneutralität, in dem sie künftig zwischen dem Datenaufkommen eigener und fremder Dienste unterscheidet: Der Plan der Telekom sieht vor, das Datenaufkommen von firmeneigenen „Managed Services“ (bspw. TV-Streaming) oder von vertraglichen "Partner-Diensten" (bspw. Musik-Streaming) nicht auf den Traffic des Kunden anzurechnen.

 

Solche Dienste, die einen entsprechenden Vertrag mit der Telekom geschlossen haben oder von der Telekom selbst bereit gestellt werden, kann der Kunde ohne Daten-Begrenzung in voller Geschwindigkeit beziehen. Die Inanspruchnahme von Diensten und Anwendungen der Konkurrenz wird hingegen auf den Traffic des Kunden angerechnet - nach Ausschöpfung des jeweils gekauften Datenvolumens wird die Geschwindigkeit extrem stark gedrosselt. Damit werden die Angebote von konkurrierenden Internet-Dienstleistern durch den Netzzugang der Telekom diskriminiert. Die Deutsche Telekom hat bestätigt, bereits jetzt Verhandlungen mit Inhalteanbietern zu führen, die für die ungedrosselte Durchleitung ihrer Inhalte bezahlen sollen. Hier zeichnet sich eine Benachteiligung von kleinen und unabhängigen Inhalteanbietern ab, die einer Zensur nahekommt. Nutzergenerierte und nichtkommerzielle Inhalte werden das Nachsehen haben. Auch für innovative Startups oder finanzschwache Unternehmen stellt dieser Bruch mit der Netzneutralität einen schweren Eingriff in ihren Wirkungskreis dar.

 

Digitale Inhalte werden heutzutage verstärkt im World Wide Web (WWW) verbreitet, welches vor 20 Jahren am 30. April 1993 von ihren Entwicklern am CERN zu einer gemeinfreien, urheberrechtlich ausdrücklich nicht geschützten Plattform erklärt wurde. Daher gehört Netzneutralität als Bedingung für freien Zugang zu diesem Gemeingut WWW und dem Internet im Allgemeinen zwingend zum Gesamtkonzept im Sinne der Erbauer und Entwickler. Die neuen Tarifgrenzen erfordern hingegen eine stärkere Überwachung und Kontrolle der Nutzer, die zusätzliche Aufzeichnung datenschutzrelevanter Informationen sowie die Unterscheidung von genutzten Services.

 

Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern, ist Deutschland ein Entwicklungsland, was Breitbandentwicklung- und Förderung betrifft: Seit dem 1. Juli 2010 gibt es beispielsweise in Finnland das Grundrecht auf einen Internetzugang mit derzeit mindestens 1 MBit/s Downstream zu einem vernünftigen Preis. Dies sind Maßstäbe, an denen wir uns messen lassen müssen.

 

Das Internet ist zunehmend der Raum, in dem sich auch das öffentliche, soziale und wirtschaftliche Leben abspielt. Es ist zum Lebens- und Kulturraum vieler Bürger geworden. Daher muss der Zugang unbedingt gleichberechtigt und netzneutral sein. Die von monetären Interessen geprägten Ziele der Deutschen Telekom verändern die Grundfesten dieses freien Netzzugangs in Deutschland und wandeln das als neutral zugängliche konzipierte Netz in einen Markt mit Quasi-Monopol um. Das Netz lebt jedoch nicht nur von Marktlogik, Kommerz und Tausch, sondern vielmehr genauso von Kultur und Partizipation. Das Gemeingut Netzzugang darf nicht durch kurzfristig angelegte Geschäftsinteressen der Deutschen Telekom beschädigt werden.

 

 

II.            Der Landtag stellt fest:

 

1.         Das Internet ist entscheidend für unsere gesellschaftliche, kulturelle und ökonomische Zukunft. Es darf weder als politische Verhandlungsmasse betrachtet werden, noch privaten Finanzinteressen überlassen werden.

 

 

 

2.         Das Prinzip der Netzneutralität ist der Grundpfeiler eines freien und neutralen Internets. Der Landtag erkennt die Erfordernis, das Prinzip der Netzneutralität gesetzlich abzusichern an und lehnt jedwede Bestrebung ab, die das Prinzip der Netzneutralität gefährden kann. Das bedeutet insbesondere:

 

3.         Die Begründung der Deutschen Telekom AG, durch die angekündigte Drosselung für mehr Gerechtigkeit zwischen "regulären" Kunden und "Intensivnutzern" zu sorgen, ist nicht zutreffend. Das Datenvolumen ist keiner Knappheit oder erhöhten Kosten durch Intensivnutzung unterlegen. Die von der Telekom betriebene künstliche Verknappung und Bevorzugung der eigenen "Managed Services" ist weder im Sinne eines freien, zugänglichen Netzes, noch im Sinne eines plattformneutralen Marktes für andere Anbieter.

4.         Flatrate-Tarife dürfen keine verkappten Volumentarife sein. Wo Flatrate draufsteht, muss auch ein unbeschränkter Netzzugang ohne Zusatzkosten enthalten sein. Eine Drosselung auf eine nichtfunktionale Geschwindigkeit nach Verbrauch eines Inklusivvolumens stellt keine Flatrate dar. Der Landtag lehnt als Flatrates bezeichnete Internetangebote mit Volumenbegrenzung als verbrauchertäuschend ab.

 

 

III.           Der Landtag beschließt:

 

1.         Der Landtag fordert die Landesregierung auf, umgehend eine Bundesratsinitiative mit dem Ziel zu ergreifen, das Prinzip der Netzneutralität gesetzlich zu verankern.

2.         Der Landtag fordert die Landesregierung auf, die Möglichkeiten der Verankerung eines Grundrechts auf netzneutralen Internetzugang zu prüfen und dem Landtag hierzu bis zum 31.12.2013 Bericht zu erstatten.

 

Lukas Lamla

Frank Hermann

Daniel Schwerd

Monika Piper

Joachim Paul

 

und Fraktion


< Zurück zum Blog
Das Dokument als PDF abrufen: Hier klicken!