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LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN
16. Wahlperiode

 

Drucksache  16/3228

 

11.06.2013

 

 

 

 

Antrag

 

der Fraktion der SPD und

der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen

 

Stärkung der gemeinwohlorientierten und solidarischen Wirtschaft

 

I.          Ausgangslage und Herausforderungen

 

Zwischen klassischer Gewinnorientierung und Non-Profit-Ausrichtung von Unternehmen existiert ein wachsender Bereich wirtschaftlicher Selbstorganisation, in dem Bürgerinnen und Bürger soziale und ökologische Ziele mit unternehmerischer Selbständigkeit verbinden. Bei diesen Unternehmen, Genossenschaften oder Vereinen steht die Erbringung einer gemeinsamen Leistung für alle Beteiligten im Vordergrund. Das schließt ökonomische Motive zur Förderung der Mitglieder keineswegs aus: mit Hilfe ihres Zusammenschlusses können ansonsten vereinzelte wirtschaftliche Akteure ihre Marktposition stärken. Die wirtschaftliche Selbstorganisation spielt in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen eine wichtige Rolle, so zum Beispiel in der Wohnungswirtschaft, bei Finanzdienstleistungen, der Kinderbetreuung, der Nahrungsmittelversorgung, der dezentralen Energieversorgung und der Quartiersentwicklung.

 

Genossenschaften oder andere Rechtsformen der gemeinwohlorientierten und solidarischen Wirtschaft sind ein stabiles Standbein der nordrhein-westfälischen Wirtschaft. Dieser Sektor wächst seit Jahren kontinuierlich und hat insbesondere seit der Finanzkrise wachsendes Interesse und Aufmerksamkeit erfahren. Er nimmt damit in Nordrhein-Westfalen eine unverzichtbare wirtschaftliche Rolle ein.

 

Genossenschaften eignen sich in besonderer Weise zur Bündelung von wirtschaftlich orientierten Zusammenschlüssen von Einzelpersonen oder Institutionen, die durch ihr Wirken auch gemeinwohlorientierte, soziale oder ökologische Zwecke verfolgen. Damit wird eine wirtschaftlich tragfähige Konstruktion geschaffen, die eine gemeinwohl- und bedürfnisorientierte Versorgung sichert. Diese Grundausrichtung erfährt insbesondere vor dem Hintergrund der Wirtschaftskrise der vergangenen Jahre eine besondere Bedeutung. So sind die eingetragenen Genossenschaften deutschlandweit die insolvenzsicherste Rechtsform mit einer Insolvenzquote von 0,13 Prozent (im Jahr 2011) und stellen somit einen krisensicheren Pfeiler für die deutsche Wirtschaft dar.

 

Allein im Rheinisch-Westfälischen Genossenschaftsverband e. V. (RWGV) sind ungefähr 700 Genossenschaften mit rund 60.000 Beschäftigten und 3 Millionen Mitgliedern organisiert. Hinzu kommen die rund 270 eingetragenen Genossenschaften, die beim Verband der Wohnungswirtschaft Mitglied sind. Diese Zahlen belegen die breite Vernetzung der genossenschaftlich organisierten Unternehmen und der gemeinwohlorientierten und solidarischen Wirtschaft in unserer Gesellschaft.

 

Bürgerschaftliches Engagement sorgt für eine Stärkung lokaler Wirtschaftskreisläufe und schafft neue Arbeitsplätze.

 

Bei der Energiewende nimmt bürgerschaftliches Engagement eine besondere Position ein. Investitionen in Erneuerbare Energien finden zu 40% durch Privatpersonen statt. In NRW existieren schon mehr als 70 Energiegenossenschaften, die die Investitionen und das Know-how der engagierten Bürgerinnen und Bürger bündeln und viele Anlagen damit überhaupt erst ermöglicht haben. Um Anreize zur dezentralen Stromerzeugung für Genossenschaften zu schaffen sollte auch geprüft werden, wie die Direktvermarktung von regional erzeugtem Ökostrom durch lokale und regionale Erzeugergemeinschaften unterstützt werden kann.

 

Im Bereich der Nahversorgung gehen den verbleibenden Unternehmen aus der Dienstleistungsbranche bei einem Rückzug des Einzelhandels mit größerem Sortiment aus der Fläche die Frequenzbringer verloren, sodass kleine Stadtteilzentren erheblich an Anziehungskraft verlieren und Nahversorgung in Gemeinden sogar gefährdet sein kann. Mit Hilfe der wirtschaftlichen Selbstorganisation von Handel und Bürgerschaft, z.B. in Form von Nachbarschafts- oder Dorfläden, können neue Angebotslinien für die Nahversorgung geschaffen werden.

 

Die 270 Wohnungsgenossenschaften verfügen über 328.900 Wohnungen und rund 460.000 Mitglieder, deren vorrangiges Ziel es ist, ihre Wohnsituation mit Selbsthilfe, Selbstverwaltung und Selbstverantwortung nachhaltig zu verbessern. Wohnungsgenossenschaften sind sehr kapitalintensiv. Für sie gelten aus gutem Grund hohe Anforderungen hinsichtlich gesetzlicher Prüfvorschriften. Sie tragen in allen Landesteilen zu einer guten, günstigen und sicheren Wohnungsversorgung bei.

 

Gleichwohl ist die öffentliche Wahrnehmung der Bedeutung dieses Sektors gering. Die Potenziale für die Neugründung von Genossenschaften sind noch längst nicht ausgeschöpft.

 

Das vergangene Jahr der Genossenschaften gab Anlass für eine intensive Beschäftigung und Auseinandersetzung nicht nur mit dem Genossenschaftswesen, sondern auch mit den vielfältigen anderen Erscheinungsformen der gemeinwohlorientierten und solidarischen Wirtschaft. Dabei wurde deutlich, in welchen Bereichen es auch auf politischer Seite Handlungsbedarf gibt, um die Rahmenbedingungen der gemeinwohlorientierten Wirtschaft zu stärken.

 

Eine Ursache für die noch zu geringe Zahl von Gründungen in der Rechtsform Genossenschaft ist, dass  auch die Gründung nicht-kapitalintensiver Genossenschaften vergleichsweise hohe Rechtsformkosten hat und mit erheblichem Aufwand verbunden ist. Auch sehr kleine Genossenschaften mit geringen Umsätzen und Vermögenswerten müssen bislang weitgehende Vorgaben zur Rechnungslegung erfüllen.

 

Das Bundesjustizministerium hat im März 2013 einen Referentenentwurf „Gesetz zur Einführung der Kooperationsgesellschaft und zum weiteren Bürokratieabbau“ vorgelegt. Insbesondere die Einführung einer haftungsbeschränkten Kooperationsgesellschaft als Unterform der Genossenschaften wird aber z.B. von der Wohnungswirtschaft kritisiert, weil dadurch die Stabilität und Insolvenzfestigkeit von Genossenschaften gefährdet werde.

 

Ein weiterer hemmender Aspekt ist, dass Genossenschaftsgründerinnen und -gründer dadurch benachteiligt sind, dass sie nur unter Schwierigkeiten oder gar keine Gründungsförderung erhalten. Die Förderprogramme (Gründercoaching, Gründungszuschuss, Gründerkredite) zielen auf die Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit durch einen einzelnen Unternehmensgründer/ eine einzelne Unternehmensgründerin ab. Genossenschaftsgründungen passen nicht in diese Förderungsmuster.

 

Schließlich ist es für Genossenschaften schwierig geworden, Kredite ihrer Mitglieder aufzunehmen. Diese historische Finanzierungsquelle hat die Genossenschaften in Deutschland seinerzeit groß gemacht. Mitgliederdarlehen haben Investitionen der Genossenschaften ermöglicht, die einzelne niemals hätten verwirklichen können. Während Kapitalgesellschaften auf Kredite ihrer Gesellschafterinnen und Gesellschafter zurückgreifen können, betreibt eine Genossenschaft, die Darlehen ihrer Mitglieder aufnehmen möchte, Bankgeschäfte nach dem Kreditwesengesetz und muss alle Voraussetzung erfüllen, die sich daraus ergeben.

 

 

 

II.         Der Landtag stellt fest:

 

·         Unternehmen der gemeinwohlorientierten und solidarischen Wirtschaft stellen eine wichtige Säule der nordrhein-westfälischen Wirtschaft dar. Der Landtag spricht sich daher für eine Stärkung der Unternehmen und den Ausbau der gemeinwohlorientierten Wirtschaft aus.

 

·         Die bereits vorhandenen Beratungsangebote der Landesregierung z. B. zur Unterstützung im Bereich der Wohnungsbaugenossenschaften im Ministerium für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr NRW und der Energieagentur NRW stellen eine wichtige und unverzichtbare Säule zur Förderung von Genossenschaften und anderen Rechts- und Organisationsformen im Gründungsprozess dar. Ihre Arbeit muss durch eine zielgerichtete Informationskampagne öffentlich beworben werden, um ihren Bekanntheitsgrad zu steigern. Eine aktive Öffentlichkeitsarbeit zur Stärkung des gemeinwohlorientierten Wirtschaftssektors trägt zu einer Stärkung des Sektors und damit zu einer nachhaltigen Lösung wirtschaftlicher, ökologischer, sozialer und regionaler Probleme bei. Damit werden auch Marktzugänge für Menschen mit Migrationshintergrund und für Frauen erleichtert.

 

III.        Der Landtag fordert die Landesregierung auf:

 

 

·         dafür Sorge zu tragen, dass im Rahmen der Ausgestaltung der operationellen Programme der zukünftigen EU-Strukturfonds für die Förderperiode 2014-2020 die notwendigen Förderzugänge zur Stärkung der gemeinwohlorientierten und solidarischen Wirtschaft geschaffen werden;

 

·         bestehende Förderprogramme des Landes für Unternehmensgründungen, bestehende Programme für Beratungsleistungen nach der Gründungsphase (z. B. das Beratungsprogramm Wirtschaft NRW), sowie in Abstimmung mit der NRW.Bank deren Kreditprogramme so zu gestalten, dass Genossenschaften in gleicher Weise daran teilnehmen können wie andere Unternehmen;

 

·         ihre Informations- und Beratungsangebote für Genossenschaften und andere Einrichtungen der gemeinwohlorientierten und solidarischen Wirtschaft wirksam zu bündeln und darzustellen.

 

 

IV.       Der Landtag fordert die Landesregierung auf zu prüfen,

 

 

·         welche spezifischen Schwierigkeiten bei der Finanzierung von Genossenschaften vorhanden sind und mit Hilfe welcher Modelle eine der Struktur solcher Unternehmen dienliche Finanzierung sichergestellt werden kann;

 

·         inwiefern die Zulassung anderer möglicher Rechtsformen für Kleinstbetriebe, deren Betrieb aufgrund der geringen Umsätze für eine Genossenschaft zu klein und für einen ideellen Verein zu wirtschaftlich ausgerichtet sind, ermöglicht werden und diese gegebenenfalls von Länderseite unterstützt werden können;

 

·         Belastungen speziell bei der Gründung von nicht-kapitalintensiven Kleinstgenossenschaften zu minimieren, ohne die Stabilität und Insolvenzfestigkeit von Genossenschaften zu gefährden;

 

·         wie die vorhandenen Beratungs- und Förderungsangebote der Landesregierung gebündelt zur Verfügung gestellt werden können (z.B. in Form eines Förderlotsen);

 

·         wie eine Initiative zur Unterstützung von Belegschaftsinitiativen und Genossenschaften bei der Unternehmensnachfolge und -übernahme ausgestaltet werden kann;

 

·         wie beim Verkauf von Unternehmen oder Unternehmensteilen an spekulativ agierende Finanzinvestoren ein Kauf durch die oder unter der Beteiligung der Belegschaft unterstützt werden kann (z.B. Vorkaufsrecht bei Betriebsübergang im Sinne § 613a BGB);

 

·         welche Möglichkeiten der Verbesserung der regionalen Kinderbetreuungsangebote durch die Stärkung von Genossenschaften bestehen (z. B. Familiengenossenschaften);

 

·         wie die landesrechtlichen und -politischen Möglichkeiten ausgeschöpft werden können, mit denen die Partnerschaft von Kommunen und lokalen Genossenschaften bzw. Organisationen der gemeinwohlorientierten und solidarischen Wirtschaft gestärkt werden kann;

 

·         inwieweit die durch die Einstellung der "Bürgschaftsbank für Sozialwirtschaft", Köln, entstandene Lücke bei den Finanzierungsangeboten durch Angebote der NRW.BANK (Kreditangebot mit teilweiser Haftungsfreistellung) geschlossen werden kann.

 

 

V.        Die Landesregierung wird gebeten, sich im Rahmen einer Bundesratsinitiative dafür einzusetzen, dass

 

 

·         die Förder- und Beratungsprogramme für Existenzgründungen aus der Arbeitslosigkeit wieder ausgebaut und Genossenschaftsgründungen bei der Bundesagentur für Arbeit als Weg aus der Erwerbslosigkeit in die Selbstständigkeit anerkannt und unter Berücksichtigung ihrer Besonderheiten im vergleichbarem Maße wie andere Existenzgründungen aus der Erwerbslosigkeit heraus gefördert werden;

 

 

 

 

 

 

 

·         gesetzliche Erleichterungen bei der Rechnungslegung unter Beachtung der entsprechenden EU-Richtlinien festgelegt werden.

 

Norbert Römer                                  Reiner Priggen

Marc Herter                                       Sigrid Beer

Rainer Schmeltzer                             Daniela Schneckenburger

Thomas Eiskirch                                Wibke Brems

 

und Fraktion                                       und Fraktion

 

 


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