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LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN
16. Wahlperiode

 

Drucksache  16/3434

 

02.07.2013

 

 

 

 

Antrag

 

der Fraktion der PIRATEN

 

 

 

 

Nordrhein-westfälische Unternehmen vor staatlicher Wirtschaftsspionage durch Überwachungsprogramme wie PRISM und Tempora schützen!

 

 

I. Sachverhalt

 

Nach dem US-amerikanischen Internet-Überwachungsprogramm „PRISM“ hat die englische Tageszeitung „The Guardian“ am 21. Juni 2013 die Existenz des britischen Überwachungsprogramms „Tempora“ öffentlich gemacht. Nach Informationen des Guardian hört der britische Nachrichtendienst GCHQ im Rahmen von „Tempora“ quasi die gesamte Telefon- und Internetkommunikation Europas an mehr als zweihundert Glasfaserleitungen ab, speichert diese und wertet sie anhand bestimmter Kriterien aus. Damit scheint „Tempora“ die Ausmaße des US-amerikanischen Überwachungsprogramms „PRISM“ zu übertreffen.

 

„Tempora“ ist laut Medieninformationen seit mehr als fünf Jahren in Betrieb, die gewonnenen Daten werden von mehreren hundert britischen und amerikanischen Agenten ausgewertet. Die beiden Überwachungsprogramme PRISM und Tempora gehören nach Informationen des Guardian zu einem gemeinsamen Geheimdienstprogramm der sogenannten „Five Eyes“-Allianz, bestehend aus Großbritannien, den USA, Kanada, Australien und Neuseeland. 

 

Am 24. Juni berichteten die Süddeutsche Zeitung und der Norddeutsche Rundfunk, dass das GCHQ unter anderem das Glasfaserkabel TAT-14 ausspäht, über das ein großer Teil der deutschen Übersee-Kommunikation abgewickelt wird.[1] Somit hat sich das GCHQ im Rahmen von „Tempora“ offenbar auch systematisch Zugang zu Internet- und Telefondaten aus Deutschland verschafft. 

 

 

 

 

 

Wie zudem der „Spiegel“ berichtet, soll der US-amerikanische Geheimdienst NSA rund eine halbe Milliarde Kommunikationsdaten monatlich in Deutschland überwachen. Als Partnerland „dritter Klasse“ wird Deutschland damit explizit als Angriffsziel definiert. Eine dem „Spiegel“ zugespielte Präsentation des NSA-Programms enthält den Satz: „Wir können die Signale der meisten ausländischen Partner dritter Klasse angreifen – und tun dies auch.“[2]

 

Mit der verdachtslosen Überwachung der gesamten europäischen und deutschen Bevölkerung gerät auch die nordrhein-westfälische Wirtschaft mit ihrer Telefon- und Internetkommunikation in den Fokus der britischen und amerikanischen Geheimdienste. Es muss davon ausgegangen werden, dass ein Großteil der, wenn nicht gar die gesamte, Telefon- und Internet-Kommunikation nordrhein-westfälischer Unternehmen durch die „Five Eyes“-Alianz überwacht, gespeichert und ausgewertet wird.

 

Laut eines Berichts des Europäischen Parlaments aus dem Jahr 2001 (A5-0264/2001) betreibt die „Five Eyes“-Allianz darüber hinaus bereits seit Jahrzehnten das Abhörprogramm „Echelon“ zur weltweiten Überwachung des über Kommunikationssatelliten geleiteten Telefon- und Datenverkehrs. In einer Pressemeldung des Europäischen Parlaments vom 5.9.2001 werden die Erkenntnisse des Berichts zusammengefasst: „Es [Echelon] diene der Wirtschaftsspionage nicht nur in dem Sinne, dass allgemeine wirtschaftliche Daten abgefragt würden; vielmehr würde das System auch zur Erlangung von Großaufträgen eingesetzt.“[3]

 

Der „Guardian“ berichtet im Zusammenhang mit der jetzt bekannt gewordenen Überwachung von Internetdaten durch den englischen Geheimdienst GCHQ, dass der Fokus der Datenauswertung auf den vier Themenkomplexen Sicherheit, Terrorismus, Organisiertes Verbrechen und „wirtschaftliches Wohlergehen“ („economic well-being“) liege.[4] Laut Frankfurter Rundschau ist die Daten-Auswertung nach dem Gesichtspunkt des „wirtschaftlichen Wohlergehens“ eine kaum verklausulierte Umschreibung dafür, „dass die Briten in großem Stile Wirtschaftsspionage betreiben.“[5]

 

Im Rahmen der jüngst bekannt gewordenen Überwachungsprogramme hat sich gezeigt, dass das GCHQ seine Arbeit keineswegs nur zur Abwehr von Gefahren einsetzt. So hat das GCHQ während des G-20-Gipfels in London 2009 die Telefongespräche und die Onlinekommunikation zahlreicher ausländischer Politiker, unter anderem des damaligen russischen Präsidenten Dmitri Medwedew, abgehört und ausgewertet, um der englischen Delegation Vorteile in Verhandlungen zu verschaffen.[6]

 

 

II. Der Landtag stellt fest:

 

1.      Nahezu die gesamte Daten- und Telefon-Kommunikation von Bürgern und Unternehmen in Nordrhein-Westfalen ist von der Internet- und Telefonüberwachung der „Five Eyes“-Allianz betroffen.

 

2.      Die verdachtslose Überwachung quasi der gesamten digitalen Kommunikation von Bürgern und Unternehmen in Nordrhein-Westfalen ist unverhältnismäßig und illegal.

 

3.      Bürger und Unternehmen in Nordrhein-Westfalen haben das Recht und den Anspruch, vom Land vor Datenspionage und -sabotage von ausländischen Geheimdiensten geschützt zu werden.

 

4.      Das Überwachungsprogramm „Echelon“ der „Five Eyes“-Allianz wurde bereits zum Zweck der Wirtschaftsspionage und zur Erlangung von Großaufträgen eingesetzt.

 

5.      Es gibt Hinweise, dass auch das Überwachungsprogramm „Tempora“ gezielt für Wirtschafts- und Industriespionage eingesetzt wird.

 

6.      Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass auch Unternehmen in Nordrhein-Westfalen von Wirtschafts- und Industriespionage im Rahmen von „PRISM“, „Tempora“ oder weiteren, noch unbekannten Überwachungsprogrammen der „Five Eyes“-Allianz betroffen sind.

 

 

III. Der Landtag fordert die Landesregierung auf,

 

1.      alle ihr zur Verfügung stehenden Möglichkeiten auszuschöpfen, um Klarheit darüber zu erlangen, ob und in welchem Ausmaß nordrhein-westfälische Unternehmen tatsächlich Opfer von Wirtschafts- und Industriespionage im Rahmen von „Tempora“, „PRISM“ oder weiteren Überwachungsprogrammen der „Five Eyes“-Allianz geworden sind;

 

2.      den staatlichen Schutzauftrag ernst zu nehmen. Nordrhein-westfälische Unternehmen müssen sich darauf verlassen können, dass der Staat die umfassende Telekommunikationsüberwachung der ausländischen Geheimdienste nicht einfach hinnimmt;

 

3.      aktiv dafür Sorge zu tragen, dass nordrhein-westfälische Unternehmen vor der Überwachung durch ausländische Geheimdienste geschützt werden und zu diesem Zweck

 

a.         eine Aufklärungs- und Beratungskampagne für nordrhein-westfälische Unternehmen mit dem Ziel zu initiieren, das Bewusstsein der nordrhein-westfälischen Wirtschaft für die Gefahren zu schärfen, die von staatlicher Wirtschaftsspionage im Zusammenhang mit Telefon- und Internetüberwachung durch ausländische Geheimdienste ausgehen, und den Unternehmen Hilfe bei der Einrichtung von Schutzmaßnahmen zu leisten;

 

b.         geeignete Maßnahmen für die Förderung, Entwicklung und Herstellung von benutzerfreundlicher und lizenzfreier Kryptosoftware, deren Quelltext offengelegt ist, zu entwickeln;

 

c.         eine Task-Force von IT-Sicherheitsexperten sowie Vertretern der Wirtschaft, Landesregierung und Landtagsfraktionen einzuberufen, um weitere konkrete Maßnahmen zum Schutz der nordrhein-westfälischen Wirtschaft vor IT-basierter Wirtschafts- und Industriespionage zu erarbeiten.

 

 

IV. Der Landtag appelliert an die Bundesregierung,

 

1.      sich auf europäischer Ebene für eine verbindliche Verpflichtung der Mitgliedstaaten der Europäischen Union einzusetzen, keine staatliche Wirtschaftsspionage zu betreiben;

 

 

2.      mit den USA ein Abkommen, ähnlich dem der EU, auszuhandeln;

 

3.      darüber hinaus Anstrengungen für eine ähnliche Regelung im Rahmen der WTO zu unternehmen.

 

 

 

 

Dr. Joachim Paul

Monika Pieper

Daniel Schwerd

 

 

und Fraktion

 



[1]           http://www.sueddeutsche.de/politik/nachrichtendienst-gchq-briten-schoepfen-deutsches-internet-ab-1.1704670  

[2]           http://www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/nsa-ueberwacht-500-millionen-verbindungen-in-deutschland-a-908517.html

[3]           http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?type=PRESS&reference=DN-20010905-1&format=XML&language=DE#SECTION1

[4]           http://www.guardian.co.uk/uk/2013/jun/21/gchq-cables-secret-world-communications-nsa

[5]           http://www.fr-online.de/politik/grossbritannien-tempora-der-britische-bruder,1472596,23497680.html

[6]           http://www.guardian.co.uk/uk/2013/jun/16/gchq-intercepted-communications-g20-summits


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