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LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN
16. Wahlperiode

 

Drucksache  16/9051

 

22.06.2015

 

 

 

 

Antwort

 

der Landesregierung

auf die Kleine Anfrage 3383 vom 30. April 2015

des Abgeordneten Daniel Schwerd   PIRATEN

Drucksache 16/8582

 

 

 

Polizisten ohne Uniform: Ist man selbst schuld, wenn man Zivilpolizisten nicht erkennt?

 

 

 

Der Minister für Inneres und Kommunales hat die Kleine Anfrage 3383 mit Schreiben vom 19. Juni 2015 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Justizminister beantwortet.

 

 

 

Vorbemerkung der Kleinen Anfrage

 

"Drah di net um - schau schau der Kommissar geht um.

Er hat die Kraft und wir san klein und dumm. 

Und dieser Frust macht uns stumm."

Johann "Falco" Hölzel

 

Im Fall der Festnahme eines Kölner Studenten mit nigerianischen Wurzeln durch Zivilbeamte steht die Kölner Polizei in der Kritik. Mehrere Zivilbeamte waren in einem Fahrzeug unterwegs und warteten auf die Möglichkeit zum Zugriff auf einen Verdächtigen. Als die Zivilbeamten den Studenten aus dem Haus gehen sahen, setzten sie eine Festnahme in Gang, ohne sich im Moment des Zugriffs ausreichend als Polizei in Zivil zu erkennen zu geben. 

 

Der farbige deutsche Student befürchtete einen körperlichen Übergriff durch die vier kräftig wirkenden Männer und floh aus Angst vor einem möglichen rechtsextremen Angriff, da er die beteiligten Beamten, von denen einige Glatzenträger waren, nicht als Polizisten erkennen konnte.

 

Im Zuge der Verfolgungsjagd erlitt der Student durch die ihn stellenden Beamten eine Quetschung der Unterlippe, Prellungen und leidet seither unter Angstzuständen. Darüber hinaus entstand ihm ein Sachschaden, da sein Mobiltelefon und ein Kopfhörer zerstört wurden.

Die Kölner Polizei hält die Maßnahmen für angemessen. Der Student erhält kein Schmerzensgeld und keinen Schadenersatz, obgleich er unschuldig festgenommen wurde. Auch eine Entschuldigung ist nicht erfolgt.

 

Vor dem Hintergrund zahlreicher ausländerfeindlicher Angriffe ist seine Flucht nur nachvollziehbar. Zivilpolizisten haben dem Umstand Rechnung zu tragen, dass sie im Einsatz nicht als Beamte erkennbar sind.

 

 

Vorbemerkung der Landesregierung

 

Am 17.05.2014 kam es gegen 20.10 Uhr in der Grünanlage an der Amsterdamer Straße in Köln-Riehl zu einer versuchten Vergewaltigung. Das Opfer kontaktierte kurzfristig die Polizei und beschrieb den Täter wie folgt: Dunkle Hautfarbe, möglicherweise Filipino, dünn, Ende 20 bis Anfang 30, herausgewachsener „Pottschnitt“ mit Mittelscheitel, vorne etwa bis zu den Augen und hinten etwas länger und stufig, schwarze Haare, dunkle Augen, keine Brille und keinen Bart, größer als 1,70 m, bekleidet mit lila Langarmhemd, schwarzer Hose und weißen Stoffhandschuhen mit Klettverschluss am Handgelenk.

 

Im örtlichen und zeitlichen Zusammenhang zur Tat erkannten Polizeibeamte in bürgerlicher Kleidung eine Person, die sich nach Verlassen eines Gebäudes mehrfach umschaute und sich wie folgt beschreiben ließ: männlich, etwa 1,75 m groß, ca. 20 Jahre alt, schlank, leicht dunkle Hautfarbe, schwarzes Haar bis auf die Schultern mit Mittelscheitel. Trotz frühsommerlicher Temperaturen trug er einen hüftlangen Mantel, der bis zum Halsbereich zugeknöpft war. Unter dem Mantel ließ sich ein blaues Shirt erkennen. Aufgrund der vorliegenden Verdachtsmomente beabsichtigten die Beamten, die Identität dieser Person festzustellen. Zu diesem Zweck fuhr die mit drei Zivilkräften besetzte Streife mit dem Zivilwagen näher an den Betroffenen heran. Zwei Beamte verließen das Fahrzeug und näherten sich dem Betroffenen. Dieser bemerkte die auf ihn zukommenden Personen, drehte sich um und lief davon. Die Beamten nahmen zu Fuß die Verfolgung auf und sprachen den Betroffenen mit „Halt. Polizei!“ an. Hierauf reagierte der Betroffene nicht. Als ein Zugriff unmittelbar bevorstand, ergriff der Betroffene eine unbeteiligte Passantin und stellte diese zwischen sich und die verfolgenden Polizeibeamten. In dieser sich in wenigen Augenblicken zuspitzenden Situation entschlossen sich die Beamten zu raschem und konsequentem Handeln. Der Betroffene wurde von den Beamten ergriffen und zu Boden gebracht. Bei dem Versuch der Polizeibeamten, dem Betroffenen Handfesseln anzulegen, schrie dieser und sperrte sich. Die Polizeibeamten versetzten dem Betroffenen mit der flachen Hand einen Blendschlag ins Gesicht und nutzten die so entstandene Schrecksekunde aus, um dessen Arme nach hinten zu führen und zu fesseln. Zur Feststellung der Identität und weiteren Klärung des Sachverhalts wurde der Betroffene zur nächstgelegenen Polizeiwache gebracht. Er gab an, aus Furcht vor einem rechtsradikalen Angriff geflüchtet zu sein. Im weiteren Verlauf stellte sich heraus, dass der Betroffene als Täter auszuschließen war. Da der junge Mann über Schmerzen klagte, wurde er von den Zivilkräften ins St. Agatha Krankenhaus gefahren, von dort wurde  er nach ambulanter Behandlung entlassen. Die Staatsanwaltschaft Köln stellte das Ermittlungsverfahren gegen ihn nach § 170 Absatz 2 StPO ein.

 

Der Betroffene erhob über einen Rechtsanwalt Beschwerde und machte beim Polizeipräsidium Köln Schadensersatzansprüche geltend. Die Schadenersatzforderung wurde abschlägig beschieden, weil eine Amtspflichtverletzung der Beamten nicht vorlag. Gegen diese Entscheidung wandte sich der Rechtsanwalt mit einer weiteren Einlassung. Der Rechtsanwalt gab an, die einschreitenden Beamten hätten sich bei dem Vater seines Mandanten entschuldigt und darauf hingewiesen, die entstandenen Schäden würden erstattet. Dadurch sei der Eindruck entstanden, dass Schadenersatz für die beschädigten Wertgegenstände und für die Verletzung geltend gemacht werden könne.

 

Die Äußerung der Beamten zu möglichem Schadenersatz erfolgte irrtümlich. Die Erstattung des erlittenen Schadens hätte eine - hier zu verneinende - Amtspflichtverletzung vorausgesetzt, weshalb der Antrag des Betroffenen abschlägig beschieden werden musste.

 

Das gegen die einschreitenden Polizeibeamten von Amts wegen eingeleitete Ermittlungsverfahren wegen Körperverletzung im Amt (83 Js 346/14) stellte die Staatsanwaltschaft Köln mit Verfügung vom 11.07.2014 nach § 170 Absatz 2 StPO ein. Dabei führte sie zu den Umständen der Festnahme aus: „Nachdem der Zeuge ohne rechtfertigenden Grund eine Passantin ergriffen hatte und diese zwischen sich und die Beamten gestellt hat, um sich so deren Zugriff zu entziehen, waren die Beamten nicht zuletzt nach § 1 Abs. 4 PolG NRW verpflichtet, zum Schutze der Passantin einzuschreiten und die hierzu erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, wozu in diesem Fall das Zubodenbringen und Festhalten des Zeugen - dessen Identität im Übrigen noch festzustellen war - zählte. Die in dem Hergangsbericht ausgeführten darauffolgenden Widerstandshandlungen des Zeugen gegen die Maßnahme zu unterbinden, waren die Beamten ebenfalls berechtigt. Ein Übermaß in der Anwendung der situationsbedingt erforderlichen und zulässigen Gewalt durch die beschuldigten Polizeibeamten kann insoweit nicht festgestellt werden. Die folgende zwangsweise Mitnahme des Zeugen zur Wache war zum Zweck der Identitätsfeststellung ebenso zulässig, wie infolge der vorgenannten Umstände, die den aus der Täterbeschreibung gegen den Zeugen resultierende Tatverdacht zu verstärken geeignet waren, dessen vorläufige Festnahme zur Überprüfung des Vorliegens eines Haftgrundes.“

 

 

1.         Welches Vorgehen ist vorgesehen, wenn Zivilpolizisten zugreifen, um die Legitimität des Einsatzes zu verdeutlichen und sich gegenüber den betroffenen Personen zu identifizieren? Gehen sie darauf ein, inwieweit bzw. wann einer Person der behördliche Charakter des Zugriffs klar werden muss, um unnötige Verletzungen zu vermeiden, damit ein unbescholtener Bürger einen Zivilbeamten von einem Angreifer unterschieden kann.

 

Die Polizeidienstvorschrift 350 (Wachdienstordnung) sieht für das Einschreiten in bürgerlicher Kleidung oder aus neutralem Fahrzeug folgende Regelung vor:

„Wer in bürgerlicher Kleidung einschreitet, hat sich als Polizeibeamtin bzw. -beamter vorzustellen und - soweit es die Einsatzsituation zulässt - unaufgefordert auszuweisen."

Das Polizeigesetz Nordrhein-Westfalen (PolG NRW) bestimmt für den unmittelbaren Zwang in § 55 Abs. 3: „Auf Verlangen der betroffenen Person hat sich der Polizeivollzugsbeamte auszuweisen, sofern der Zweck der Maßnahme nicht beeinträchtigt wird."

 

Gemäß Runderlass des Innenministeriums vom 12.04.2010 - 43.1- 58.02.09 (Dienstausweise, Kriminaldienstmarken und Visitenkarten) ist der Polizeidienstausweis im Dienst ständig mitzuführen.

 

Weiterhin ist dort geregelt, dass Polizeivollzugsbeamte den Polizeidienstausweis bei Amtshandlungen auf Verlangen vorzuzeigen haben; beim Einsatz in Zivilkleidung haben sie dies unaufgefordert zu tun. Der Polizeidienstausweis braucht nicht vorgezeigt zu werden, wenn der Zweck der Amtshandlung dadurch beeinträchtigt oder der Polizeivollzugsbeamte gefährdet würde.

 

Durch das vorherige Ausweisen mit einem Dienstausweis werden die Legitimität des Einsatzes und der behördliche Charakter eines Zugriffs deutlich.

Im vorliegenden Sachverhalt haben sich die einschreitenden Beamten durch die Verfügung „Halt. Polizei!" eindeutig zu erkennen gegeben. Es war dem Handeln des Betroffenen geschuldet, dass ihm die Legitimität des Einsatzes und der behördliche Charakter des Zugriffs erst nach der Fesselung offenbar wurden.

 

 

2.       Ist nach Ansicht der Landesregierung in diesem Fall der Sorgfaltspflicht der Beamten Rechnung getragen worden? Gehen Sie auf die näheren Umstände des Falles, des Auftrages der Beamten und ihrer Suche nach Verdächtigen ein und inwieweit der unberechtigt Festgenommene zuvor identifiziert worden ist.

 

Im vorliegenden Fall fahndeten die eingesetzten Beamten anlässlich eines versuchten Verbrechens (versuchte sexuelle Nötigung/ versuchte Vergewaltigung) auf Grundlage der ersten Personenbeschreibung der Geschädigten gezielt nach einem Tatverdächtigen.

 

Es wurde eine Person angetroffen, auf die die erste Beschreibung der Geschädigten zutraf. Als die Person die Beamten bemerkte, flüchtete sie und kam der Aufforderung stehen zu bleiben („Halt! Polizei“) nicht nach und ergriff im weiteren Verlauf eine unbeteiligte Passantin.

 

In dieser dynamischen Situation war ein Ausweisen nicht möglich und ein unmittelbares Handeln der Beamten erforderlich. Insofern ist der Sorgfaltspflicht der Beamten Rechnung getragen worden.

 

Die Beamten handelten gemäß ihres aus § 163 Abs. 1 Strafprozessordnung resultierenden Auftrages, Straftaten zu erforschen und alle keinen Aufschub gestattenden Anordnungen zu treffen, um die Verdunkelung der Sache zu verhüten.

 

Im Übrigen verweise ich auf die Vorbemerkung.

 

 

3.       Inwieweit ist der Zugriff selbst oder die angewendete Härte (ggf. teilweise) auf die Hautfarbe des unberechtigt Festgenommenen zurückzuführen?

 

Die Entscheidung für den Zugriff beruhte auf der Übereinstimmung verschiedener äußerer Merkmale des Betroffenen mit der von dem Opfer beschriebenen Person. Zu diesen äußeren Merkmalen gehörte auch die Hautfarbe. Ein Zusammenhang zwischen dieser und der Wahl der eingesetzten Mittel bestand nicht.

 

 

4.       Welche Kriterien müssen erfüllt sein, damit im Falle von Verletzungen oder Schäden bei einer unberechtigten Festnahme jeweils Schadenersatz, Schmerzensgeld, Disziplinarmaßnahmen für die Beamten oder schlicht eine Entschuldigung angemessen sind? Gehen Sie auch auf die Besonderheiten bei einem Einsatz durch Beamte in Zivil ein.

 

Die Entschädigung für eine erlittene Festnahme in Falle einer Verfahrenseinstellung richtet sich primär nach dem Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen (StrEG). Eine vorläufige Festnahme nach § 127 Absatz 2 StPO ist als „andere Strafverfolgungsmaßnahme“ im Sinne des § 2 Absatz 2 Nummer 2 StrEG erstattungsfähig, wenn die Voraussetzungen für eine Entschädigungspflicht erfüllt sind und keine Ausnahmetatbestände (hierzu zählt die vorsätzliche oder grob fahrlässige Selbstverursachung der Strafverfolgungsmaßnahme [§ 5 Absatz 2 StrEG]) vorliegen. Eine entsprechende Belehrung mit Hinweisen zum Verfahren hat der Betroffene zwischenzeitlich durch die Staatsanwaltschaft Köln erhalten.

 

Bezüglich der Angemessenheit von Disziplinarmaßnahmen ist maßgeblich, ob es sich um eine leichte oder schwere Verfehlung handelt. Die möglichen Maßnahmen ergeben sich aus §§ 5 ff. des Landesdisziplinargesetzes. Auch im Disziplinarverfahren gelten das Schuldprinzip sowie der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Eine Disziplinarmaßnahme ist demnach dann angemessen, wenn ein schuldhaftes Verhalten des Täters gegeben ist und die Maßnahme unter Berücksichtigung aller belastenden und entlastenden Umstände des Einzelfalls in einem gerechten Verhältnis zur Schwere der Tat und dem Verschulden des Täters steht.

 

Grundsätzlich besteht im Hinblick auf die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen etc. kein Unterschied zwischen einem Einsatz durch uniformierte Beamte oder Beamte in Zivil.

 

 

5.       Welche Fälle von Körperverletzungen oder Schäden gab es beim Zugriff durch Zivilpolizisten seit 2010 bis heute? Gehen Sie näher auf die Fälle ein, die sich als unberechtigt herausgestellt haben und stellen heraus, ob es Schmerzensgeld und/oder Schadenersatz gab.

 

Der Landesregierung liegen zur Beantwortung der Frage keine belastbaren Daten vor. Die Polizeibehörden und Staatsanwaltschaften des Landes erfassen Ermittlungsverfahren gegen in Zivil aufgetretene Polizisten nicht gesondert. Eine eigenständige Erhebung zur Feststellung solcher Vorgänge, die von Hand vorzunehmen wäre, ist in der Kürze der zur Beantwortung einer Kleinen Anfrage vorgesehenen Zeit nicht möglich.

 

 

 


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