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LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN
16. Wahlperiode

 

Drucksache  16/13571

 

24.11.2016

 

 

 

 

Antwort

 

der Landesregierung

auf die Kleine Anfrage 5293 vom 27. Oktober 2016

des Abgeordneten Daniel Schwerd   FRAKTIONSLOS

Drucksache 16/13297

 

 

Angemessene Unterkunftskosten im SGB II in Wuppertal 

 

 

Vorbemerkung der Kleinen Anfrage

 

Das SGB II bestimmt, dass „angemessene Unterkunftskosten“ bei SGB II – Beziehenden zu berücksichtigen sind (§ 22 Abs. 1 S. 1 SGB II). In Wuppertal sind dies (mit Stand Juni 2016) 47.413 SGB II-Beziehende in 24.158 Bedarfsgemeinschaften. Die Anzahl der Bedarfsgemeinschaften ist fast identisch mit den Haushalten.

 

Das Bundessozialgericht (BSG) hat entschieden, dass im Falle des Ausfalls bereiter Quellen zur Ermittlung der Angemessenheitsgrenze von Kosten der Unterkunft auf die tatsächliche Miete abzustellen ist. Begrenzt wird dieser Wert dann durch den Oberwert der Wohngeldtabelle (§ 12 WoGG) zuzüglich 10% Sicherungsaufschlag (BSG v. 17.02.2009 - B 4 AS 50/9 R, BSG v. 20.08.2009 - B 14 AS 65/08 R, BSG v. 20.12.2011 - B 4 AS 19/11 R).

 

In der Stadt Wuppertal existiert seit dem Jahr 2013 keine bereite Quelle zur Ermittlung der Mietpreise mehr, da es seitdem keinerlei offizielle Erhebungen zu Mietpreisen gegeben hat. Beim Wuppertaler Amtsgericht wird in Mietangelegenheiten der Mietpreisspiegel mit einem Aufschlag von 30 % angewendet. Der alte Mietspiegel ist aus dem Jahr 2010 und wurde nur bis einschließlich 2012 als einfacher Mietpreisspiegel fortgeschrieben (SG Düsseldorf 04.07.2016 – S 13 AS 3749/15, S. 7 2. Absatz).

 

Das SGB II normiert jedoch, dass solche Erhebungen „mindestens alle zwei Jahre durchgeführt werden müssen“ (§ 22c Abs. 2 SGB II). Bedingt durch die Flüchtlingskrise, Zuzug aus deutlich teureren Nachbargemeinden und explodierende Studierendenzahlen hat sich der Wohnungsmarkt in Wuppertal deutlich verteuert.  

 

Das Jobcenter (JC) Wuppertal AöR hat bis Ende 2015, entgegen der Rechtsprechung des BSG (BSG v. 19.10.2009 - B 14 AS 50/10 R, vgl. BSG 02.07.2009 - B 14 AS 36/08), zur Ermittlung der Angemessenheit den reinen Nettomietpreis berücksichtigt. Das Landessozialgericht (LSG) NRW hat das JC Wuppertal dazu verpflichtet, die Bruttokaltmiete zu berücksichtigen (LSG NRW 29.10.2015 – L 7 AS 1310/11).

Das JC hat ab dem 01.01.2016 die örtliche Angemessenheitsgrenze auf die Bruttokaltmiete angepasst. Dabei wurde die bisherige alte Grundmiete, die seit 8 Jahren in Wuppertal Anwendung findet genommen (4,85 EUR/qm) und der Wert des Landesbetriebskostenspiegels des DMB in Höhe von 1,93 EUR dazu addiert. Als neue Angemessenheitsgrenze gilt nunmehr eine Bruttokaltmiete in Höhe von die 6,78€/m2. Für eine alleinstehende Person sind nunmehr nach Ansicht des JC Wuppertal 339 EUR (50 m2 x 6,78 €) als angemessene Unterkunftskosten anzuerkennen.

 

Das Sozialgericht Düsseldorf hat mit Urteil vom 04.07.2016 (S 13 AS 3749/15) festgestellt, dass es keinerlei bereite Quelle zur Ermittlung einer Angemessenheitsgrenze gibt und dass deshalb entsprechend der BSG-Rechtsprechung die tatsächliche Miete, begrenzt durch den Oberwert der Wohngeldtabelle (§ 12 WoGG) zuzüglich 10% Sicherungsaufschlag zu gewähren ist.

 

Dies ergibt bei einer alleinstehenden Person und Wohngeldstufe III (das SG hat Wuppertal fälschlicherweise in Stufe IV eingeordnet) 390 EUR nach WoGG, zzgl. 10 % Sicherheitszuschlag (also 39,-€) einen Wert von 429 EUR Bruttokaltmiete, anstatt der jetzt anerkannten 339 EUR. Das JC Wuppertal erkennt nur einen Wert von 339 EUR Bruttokaltmiete an.

 

Aus der aktuellsten Arbeitsmarktstatistik der Bundesagentur für Arbeit (Stand: Juni 2016) zur Wohn- und Kostensituation ist ersichtlich, dass 10.735.859 EUR/Monat als tatsächliche Unterkunftskosten vom JC Wuppertal vermerkt sind und dass davon aber nur 10.417.852 EUR/Monat berücksichtigt werden.

 

Das bedeutet, dass 318.943 EUR jeden Monat vom JC Wuppertal nicht berücksichtigt werden und aus den Regelbedarfen der Wuppertaler SGB II-Berechtigten selbst gezahlt werden müssen. Von Januar 2013 bis Oktober 2016 macht das einen Betrag von rund 14,6 Mio. Euro aus, die das JC Wuppertal rechtswidriger Weise nicht übernimmt.  

 

 

Der Minister für Arbeit, Integration und Soziales hat die Kleine Anfrage 5293 mit Schreiben vom 24. November 2016 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr beantwortet.

 

 

Vorbemerkung der Landesregierung

 

Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts sind die angemessenen Unterkunftskosten im SGB II durch die Jobcenter anhand eines Konzepts zu ermitteln, das hinreichende Gewähr dafür bietet, dass es die aktuellen Verhältnisse auf dem relevanten örtlichen Mietwohnungsmarkt widerspiegelt und somit als „schlüssiges Konzept“ gilt.

 

Für die Bestimmung der angemessenen Referenzmiete im Rahmen eines schlüssigen Konzepts kann als eine Möglichkeit auf Mietspiegel – wie es der Praxis des Jobcenters Wuppertal entspricht - zurückgegriffen werden. Allerdings sind Details noch in der sozialgerichtlichen Klärung. Daher ist zunächst darauf hinzuweisen, dass die in der Kleinen Anfrage genannte Entscheidung des Sozialgerichts Düsseldorf vom 4. Juli 2016 nicht rechtskräftig ist.

 

Zu berücksichtigen ist weiterhin, dass das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen noch am 29. Oktober 2015 in dem Verfahren L 7 AS 1310/11 festgestellt hatte, dass das Jobcenter Wuppertal in der Vorinstanz zu Unrecht verurteilt wurde, Unterkunftskosten aufgrund der um 10 % erhöhten Tabellenwerte nach § 12 Wohngeldgesetz (WoGG) zu bewilligen. Das Landessozialgericht hatte ausdrücklich bestätigt, dass sich das Jobcenter Wuppertal im streitbefangenen Zeitraum zur Bildung der Nettokaltmiete (Grundmiete ohne kalte Betriebskosten) auf ein schlüssiges Konzept stützen kann. Das Landessozialgericht hat jedoch darauf hingewiesen, dass nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts die Bruttokaltmiete (Nettokaltmiete zzgl. umlagefähiger kalter Betriebskosten) maßgeblich ist.

 

Weiterhin ist darauf hinzuwiesen, dass die gesetzliche Verpflichtung zur Durchführung von Erhebungen zu den Mietpreisen mindestens alle zwei Jahre nach § 22c Abs. 2 SGB II für Satzungen vorgesehen ist.

 

 

1.     Vertritt die Landesregierung den Standpunkt, dass beim kompletten Ausfall bereiter Quellen zur Ermittlung der angemessenen Unterkunftskosten entsprechend der ständigen BSG-Rechtsprechung die tatsächlichen Unterkunftskosten bis zum Oberwert der WoGG Tabelle zzgl. 10% Sicherheitsaufschlag zu übernehmen sind? Begründen Sie Ihren Standpunkt.

 

Hinsichtlich der Nutzung der Tabellenwerte nach § 12 Wohngeldgesetz im Rahmen angemessener Kosten für Unterkunft und Heizung  enthalten die Ausführungen in der Arbeitshilfe des MAIS „Bedarfe für Unterkunft und Heizung nach § 22 SGB II“ (6. Auflage, Stand: 1. September 2013, S. 30) entsprechende Hinweise (im Internet abrufbar unter https://broschueren.nordrhein westfalendirekt.de/broschuerenservice/mais/arbeitshilfe-bedarfe-fuer-unterkunft-und-heizung-nach-22-sgb-ii/1656).

 

Mit Verweis auf die Rechtsprechung des BSG wird in dieser Arbeitshilfe festgestellt, dass „die hilfsweise Heranziehung der Tabellenwerte… lediglich einen prozessualen Notbehelf dar(stellt), wenn keine anderen Entscheidungsgrundlagen gegeben sind.“.

 

 

2.     Vertritt die Landesregierung den Standpunkt, dass wenn Kostensenkungssaufforderungen mit falschen Werten, wie Nettokaltmiete (in Wuppertal bis Ende 2015 erfolgt) oder Bruttokaltmiete (in Wuppertal ab Anfang 2016 erfolgt, aber ohne Oberwert WoGG + 10 % Sicherheitszuschlag) erfolgen, diese unwirksam sind und daher von JC Wuppertal weiterhin die tatsächliche Miete zu zahlen ist? Begründen Sie Ihren Standpunkt.

 

Hinsichtlich der Rechtsfolgen der Kostensenkungsaufforderung enthalten die Ausführungen in der genannten Arbeitshilfe des MAIS „Bedarfe für Unterkunft und Heizung nach § 22 SGB II auf S. 43 entsprechende Hinweise. Die beiden für die Grundsicherung für Arbeitsuchende zuständigen Senate des Bundessozialgerichts haben mehrfach entschieden, dass § 22 Abs. 1 S. 2 SGB II keine über eine Aufklärungs- und Warnfunktion hinausgehenden Anforderungen stellt. Die vom Grundsicherungsträger vorgenommene Einschätzung über die Angemessenheit der Unterkunftskosten ist grundsätzlich bei der Frage zu klären, welche Aufwendungen im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II abstrakt angemessen sind (B 14/7b AS 70/06 R; B 14 AS 41/08 R).

 

 

 

 

 

 

 

3.     Vertritt die Landesregierung den Standpunkt, dass das JC Wuppertal Nachforderungen aus Betriebskostenabrechnungen nur bis zum Maximal noch nicht ausgeschöpften Höchstbetrag der Jahresbruttokaltmiete übernehmen muss oder sind hier zunächst die tatsächlichen Kosten entsprechend § 22 Abs. 1 SGB II zu übernehmen? Begründen Sie Ihren Standpunkt.

 

Bei erstmaliger Vorlage einer unangemessenen Betriebskostennachforderung sind die tatsächlichen (unangemessenen) Kosten nach § 22 SGB II zu übernehmen. Die Absenkung unangemessener Bedarfe setzt nach der Rechtsprechung eine Kostensenkungsaufforderung voraus.

 

 

4.     Sollten die Fragen 1 bis 3 ergeben, dass die Landesregierung hier rechtsfehlerhaftes Verhalten feststellt, vertritt dann die Landesregierung die Auffassung, dass das JC Wuppertal von Amts wegen fehlerhafte Bescheide zu korrigieren hat oder zumindest im Rahmen der Spontanberatungspflicht an jeden von rechtswidriger Leistungskürzung betroffenen Leistungsberechtigten darauf hinzuweisen hat, dass es notwendig wäre hier einen Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X zu stellen, um so nicht sozialrechtliche Leistungsansprüche zu verlieren? Begründen Sie Ihre Auffassung.

 

Aufgrund der fehlenden Rechtskraft der Entscheidung des Sozialgerichts Düsseldorf befindet sich die Einschätzung, ob ein „rechtsfehlerhaftes“ Verhalten des Jobcenters Wuppertal vorliegt, noch in der gerichtlichen Klärung.

 

Im Falle der rechtskräftigen gerichtlichen Feststellung rechtswidriger Bescheide sind die üblichen Regelungen zur Rücknahme  rechtswidriger Verwaltungsakte anzuwenden. Nach § 44 Abs. 1 SGB X ist, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass des Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen ist, der sich als unrichtig erweist und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Zukunft zurück zu nehmen. Die Rücknahmepflicht besteht von Amts wegen, d.h. unabhängig von einem möglichen Antrag des Betroffenen.

 

 

5.     Liegen der Landesregierung Erkenntnisse vor, ob Mietnebenkosten in Wuppertal teurer sind als in anderen NRW Städten? (Wenn ja, wie hoch sind die durchschnittlichen Mietnebenkosten in Wuppertal?).

 

Der Landesregierung liegen diesbezüglich keine Erkenntnisse vor.

 

 

 


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