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LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN
16. Wahlperiode

 

Drucksache  16/9590

 

25.08.2015

 

 

 

 

Antrag

 

der Fraktion der PIRATEN

 

Netzneutralität ist zum Abschuss freigegeben: Pläne von EU-Kommissar Oettinger lassen das freie und offene Internet sterben

 

I. Ausgangslage

Netzneutralität bedeutet, dass Internet-Anbieter alle Datenpakete gleichberechtigt durch ihre Leitungen schicken, egal woher sie stammen oder welchen Inhalt sie haben. Als Grundprinzip mit universalem Geltungsanspruch handelt es sich bei der Netzneutralität um die zentrale Voraussetzung für ein diskriminierungsfreies, offenes und innovationsförderndes Internet. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass eben keine Ausnahmen von diesem Prinzip erlaubt sein dürfen, da sonst de facto nicht mehr von Neutralität im Internet gesprochen werden kann.

Am 11. September 2013 stellte die Europäische Kommission ihren Verordnungsvorschlag über Maßnahmen zum europäischen Binnenmarkt der elektronischen Kommunikation sowie zur Verwirklichung des vernetzten Kontinents vor. Der Rechtssetzungsentwurf KOM (2013) 627 beinhaltet weitreichende Pläne zu zahlreichen grundsätzlichen Fragen des elektronischen Binnenmarkts, darunter insbesondere Regelungen zur Netzneutralität. Diese würde nach Verordnungsentwurf aufgeweicht und damit de facto abgeschafft werden. Bereits im November 2013 hat die Fraktion der PIRATEN daher zum Zwecke der Sicherung echter Netzneutralität einen umfangreichen Entschließungsantrag (Drs. 16/4323) eingereicht, der zunächst keine Mehrheit gefunden hatte.

Die bereits fortgeschrittenen Trilogverhandlungen stehen im Herbst 2015 vor ihrem Abschluss – mit besorgniserregenden Zwischenergebnissen. Bis Herbst haben EU-Parlamentarier die Möglichkeit, Änderungen am Verordnungstext vorzunehmen.

Nach aktuellem Stand geht das Gefahrenpotenzial für die Netzneutralität insbesondere von vollkommen unklar formulierten Schlüsselpassagen und damit extremer Rechtsunsicherheit bei der Anwendung der Verordnung aus. Somit würde es den nationalen Telekom-Regulierungsbehörden und Gerichten überlassen sein, die Verordnung in die Rechtspraxis zu übersetzen. So würde die Verordnung beispielsweise das Sperren von „illegalen Inhalten“ erlauben, ohne diese klar zu definieren, solange kein nationales Gesetz dem ausdrücklich widerspricht. Dieser Mechanismus verstößt ganz offensichtlich gegen die EU-Grundrechtecharta (insb. Artikel 11 „Freiheit der Meinungsäußerung und Informationsfreiheit“).

Ebenfalls unklar ist, inwiefern Netzzugangsanbieter zukünftig „Zero-Rating-Produkte“ anbieten dürfen (d.h. Zugang zu Diensten oder Websites, die das festgelegte Download-Volumen nicht berühren). Beim „Zero-Rating“ handelt es sich ebenso um eine Verletzung von Netzneutralität durch Benachteiligung der Konkurrenz. Vielmehr sollte zur rechtssicheren Festschreibung echter Netzneutralität ein klares Verbot von „Zero-Rating-Produkten“ in den Verordnungstext aufgenommen werden.

Auch werden mögliche Ungleichbehandlungen zwischen „Spezialdiensten“ einerseits und dem „offenen Internet“ andererseits weiterhin nicht unterbunden. Spezialdienste sind nach wie vor nicht definiert, und praktische Anwendungen immer noch unbekannt, sie bieten jedoch ein Einfallstor für Ungleichbehandlungen konkurrierender Angebote. Zwar könnten einige nationale Regulierungsbehörden auf Basis der Verordnung ein Verbot von Spezialdiensten in ihren Ländern durchsetzen, Behörden in anderen EU-Ländern hingegen würden dem Druck der Telekomkonzerne nicht standhalten und Spezialdienste unter gewissen Umständen zulassen. Aber auch nur minimale regulatorische Schlupflöcher für den Einsatz von Spezialdiensten eröffnet den finanzstarken (Groß-)konzernen in den oligopolistisch geprägten Telekommunikationsmärkten weitere Möglichkeiten, ihre wettbewerbsschädliche Marktmacht zu manifestieren und sogar auszubauen.     

Zweifelsohne stellt der aktuelle Stand der Verhandlungen eine qualitative Verbesserung zum ursprünglichen Kommissionsvorschlag dar. Dennoch erschienen die genannten Punkte insbesondere im Lichte der jüngsten Äußerungen von Digitalkommissar Günther Oettinger besorgniserregend: Dieser versuchte in einem umfangreichen Blogpost, in dem er auf Kritik gegenüber der Verordnung einging, die unklaren Regelungen zu Spezialdiensten als „ausgewogenen“ darzustellen, obwohl die damit verbundene Rechtsunsicherheit und drohende rechtliche Festschreibung durch nationale Gerichte und Regulierungsbehörden offenkundig ist. Bezeichnenderweise erwähnte EU-Kommissar Oettinger das „Zero-Rating“ in seinen jüngsten Äußerungen mit keinem Wort.

 

II. Der Landtag stellt fest

1.      Das Prinzip der Netzneutralität ist der Grundpfeiler eines freien, neutralen und offenen Internets. Auf Netzneutralität beruht die Innovationskraft des Netzes.

2.      Die grundsätzliche Unterscheidung zwischen „Spezialdiensten“ und „offenem Internet“ birgt die Gefahr des Einstiegs in ein Mehrklassen-Internet mit erheblichem Diskriminierungspotenzial.

3.      Der aktuelle Verhandlungsstand zum Verordnungsentwurf der Europäischen Kommission regelt die Beschränkungen für Spezialdienste und „Zero-Rating“ vollkommen unzureichend. Die im Entwurf aufgeführten Maßnahmen sind nicht dazu geeignet, den effektiven Schutz des offenen Internets zu gewährleisten.

4.      Der aktuelle Verhandlungsstand zum Verordnungsentwurf der Europäischen Kommission gefährdet insbesondere aufgrund unklarer Begriffsdefinitionen und drohender Rechtsunsicherheit das Prinzip der Netzneutralität. Echte Netzneutralität ist auf dieser Grundlage nicht sicherzustellen.

5.      Die Einführung von Netzsperren oder ähnlichen Maßnahmen ist grundsätzlich abzulehnen.

 

III. Der Landtag beschließt

1.      Der Landtag fordert die Landesregierung dazu auf, sich auf allen Ebenen dafür einzusetzen, dass die im aktuellen Verordnungsentwurf enthaltenen Regelungen zur „Freiheit der Bereitstellung und Inanspruchnahme eines offenen Internetzugangs und angemessenes Verkehrsmanagement“ (Artikel 23 des ursprünglichen Verordnungsentwurfs) dahingehend überarbeitet werden, dass jegliche Priorisierung von Daten auf einem Breitbandanschluss sowie die Drosselung und Sperrung von Inhalten und Diensten grundsätzlich untersagt ist. 

 

 

 

Michele Marsching

Marc Olejak

Nicolaus Kern

Lukas Lamla

Daniel Schwerd

 

und Fraktion

 

 

 


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