Antrag: Journalismus ist kein Landesverrat

Update 27.08: Das Thema ist nicht kalt: Bundesregierung wusste sehr viel früher von #Landesverrat-Ermittlungen als bekant.
Update 26.08: Begründung der Ablehnung dieses Antrages durch die Fraktion nachgetragen, siehe unten.

Der Vorwurf des Landesverrats gegen die Netzpolitik.org-Journalisten Andre Meister und Markus Beckedahl war der netzpolitische Aufreger dieses Sommers. Dieses Vorkommnis reiht sich ein in eine Folge mehrerer formaler Angriffe auf Journalismus, die auch mit Marken- und Urheberrecht begründet wurden.

Presse- und Meinungsfreiheit sind die Grundpfeiler unserer Demokratie. Wir dürfen nicht tatenlos zusehen, wenn staatliche Stellen mit Mitteln des Strafrechtes, des Marken- oder Urheberrechtes unliebsame Meinungen und unerwünscht öffentlich gewordene Information unterdrücken oder Journalisten einschüchtern.

Ich fand es wichtig, dass wir politische Konsequenzen auch auf Landesebene fordern, da solche Vorkommnisse auch bei uns im Land belegt sind, und auch Landesbehörden in solche Fälle involviert sind:

Journalismus ist kein Landesverrat: Angriffe auf die Pressefreiheit mit Mitteln des Strafrechts, des Marken- oder Urheberrechts sind zu unterlassen!

 
I. Ausgangslage

Die Journalisten Markus Beckedahl und Andre Meister der netzpolitischen, journalistischen Plattform „netzpolitik.org“ sind Ziel eines Ermittlungsverfahrens wegen des Verdachts auf Landesverrat geworden. Die Leitung des Bundesamts für Verfassungsschutz hatte eine entsprechende Anzeige an den damaligen Generalbundesanwalt Range gegen unbekannt erstattet, und im Begründungstext die beiden Journalisten und auch die Mitglieder des NSA-Untersuchungsausschusses benannt. Beckedahl und Meister hatten Auszüge aus als „nur für den Dienstgebrauch“ als Verschlusssache gekennzeichneten Unterlagen veröffentlicht. Die genauen Umstände, welcher Teil der Bundesregierung zu welchem Zeitpunkt Kenntnis hatte oder Einfluss auf diese Ermittlungen nahm, sind derzeit Gegenstand parlamentarischer Befragungen. Das Verfahren selbst wurde zwischenzeitlich eingestellt.

Auch die Funke-Mediengruppe aus Essen hatte Auszüge aus als „VS – nur für den Dienstgebrauch“ klassifizierten, parlamentarischen Unterlagen veröffentlicht. Auf den Webseiten der WAZ waren Unterrichtungen über den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr veröffentlicht. Der Verlag sah sich mit Urheberrechtsansprüchen des Bundesverteidigungsministeriums konfrontiert, und hat kürzlich nach einem Rechtsstreit die Unterlagen schließlich offline nehmen müssen.

Das NRW-Innenministerium hat dem Blog „netzpolitik.org“ noch im Juni dieses Jahres eine markenrechtliche Abmahnung geschickt. Dieser hatte in einem Beitrag über die Verwendung von stillen SMS durch die Polizei nach einer Anfrage durch die Piratenfraktion ein Bild mit dem Logo des „Landesamts für Zentrale Polizeiliche Dienste“ verwendet. Verbunden war die Nachricht mit einer Fristsetzung zur Abgabe einer Unterlassungserklärung sowie der Drohung, die Angelegenheit durch Einschaltung eines Anwalts weiter eskalieren zu lassen.

Pressefreiheit ist eines der höchsten Güter jeder Demokratie, und ein unverzichtbares Korrektiv bei Missständen und Fehlentwicklungen gerade auch im öffentlichen Sektor. Die Publikation auch von missliebigen, unangenehmen und kritischen Beiträgen ist Teil der Meinungsfreiheit und darüber hinaus zur Meinungsbildung erforderlich. Wenn von staatlichen Stellen Druck auf Journalisten aufgebaut wird, der nicht auf inhaltlichen (also beispielsweise bei Falschaussagen), sondern auf formalen juristischen Gründen beruht, ist das inakzeptabel.

Aufgabe der freien Presse ist es, Informationen von öffentlichem Interesse auch dann frei verteilen zu können, wenn die Veröffentlichung ein schlechtes Licht auf staatliche Stellen wirft – eine Kennzeichnung als „vertraulich“ oder „geheim“ darf diesen Grundsatz nicht aushebeln.

Mittel des Marken- oder Urheberrechts bei der Veröffentlichung missliebiger Unterlagen oder unangenehmer Informationen anzuwenden, um diese aus dem Internet entfernen zu lassen, ist Missbrauch dieser Rechte. Es ist fraglich, ob eine staatliche Stelle überhaupt das Mittel des geistigen Eigentums gegen Journalisten einsetzen können sollte, wenn es sich nicht um kommerziell verwertete Unterlagen des Staates, sondern um normale Berichterstattung handelt, schnell wird sonst die Grenze zur Zensur überschritten. Grundsätzlich sollte eine staatliche Stelle das Urheber- und Markenrecht für alle ihre Dokumente nicht geltend machen, wenn nicht genau darin ein Einnahmeinteresse besteht, und dieses sollte dann auch schwerwiegend sein. Für parlamentarische Protokolle und Unterlagen gilt das ganz sicher nicht.
Strafrechtliche Ermittlungen gegen Journalisten wegen des Verrates von „Staatsgeheimnissen“ einzuleiten, ist jedoch ein derartig weitreichender und einschüchternder Vorgang, dass hierauf grundsätzlich verzichtet werden sollte: Journalisten sind regelmäßig nur Mittler von Informationen und damit im Dienste der Öffentlichkeit tätig.

II. Der Landtag stellt fest:

1. Journalismus ist kein Landesverrat. Strafrechtliche Ermittlungen wegen Landesverrates gegen Journalisten, die ihrer Informationsaufgabe nachkommen, sind als Maßnahme vollkommen überzogen.
2. Presse- und Meinungsfreiheit gehören zu den höchsten Gütern der Demokratie. Ein Geheimhaltungsinteresse des Staates steht nicht über dem Interesse der Öffentlichkeit auf Aufklärung sowie der Pressefreiheit.
3. Zensur missliebiger Informationen durch formale Mittel, beispielsweise durch die des Marken- oder Urheberrechtes, ist abzulehnen.
4. Veröffentlichungen und Journalismus sollen allenfalls aufgrund von inhaltlichen Maßstäben, also beispielsweise bei Falschaussagen, ergänzt oder richtiggestellt werden. Dazu ist das jeweils geringstmögliche rechtliche Mittel einzusetzen, und auf Bedrohungen, Abmahnungen und kostenpflichtigen Anwaltseinsatz etc. möglichst zu verzichten.
5. Staatliche Stellen sollen auf marken- und urheberrechtliche Maßnahmen gegen Journalisten und im Hinblick auf Inhalte des Internet vollständig verzichten, wenn kein eigenes Einnahmeinteresse damit berührt ist.

III. Der Landtag fordert die Landesregierung auf:

1. Auf marken- und urheberrechtliche Maßnahmen gegen Journalisten und im Internet vollständig zu verzichten, wenn durch die Veröffentlichung keine eigenen Einnahmeinteressen des Landes betroffen sind.

2. Alle eigenen und selbsterstellten Unterlagen und Materialien überall wo möglich grundsätzlich unter einer freien Lizenz zur Verfügung zu stellen, um deren freie Nutzung allen – auch Journalisten – zu erlauben. Das sollte auch Dienstlogos umfassen.

 
Leider hat die Fraktion mehrheitlich beschlossen, diesen Antrag nicht einzureichen. Die entsprechene Begründung ist Teil der Fraktionssitzung gewesen, die kann man hier nachsehen (ab 47:23), macht Euch bitte selbst ein Bild. Das Pad zur Fraktionssitzung findet sich hier (ab Zeile 177).

Das Argument, der Antrag sei eine halbe Stunde verfristet intern eingereicht, ist zwar formal zutreffend – mir sei jedoch die Anmerkung erlaubt, dass bislang über alle vor der Sitzung eingereichten Anträge auch abgestimmt worden ist, selbst wenn sie erst am Dienstag mittag Minuten vorher, oder gar nur als Papiervorlage während der Sitzung vorlagen. Meine Abwesenheit zu der Sitzung war im Vorfeld bekannt und begründet entschuldigt. Der zuständige Referent war eingebunden, und der NRW-Bezug ist hergestellt, da u.a. das NRW-Innenministerium das Markenrecht bereits bemüht hat. Über das Argument, das Thema sei nicht aktuell, kann man vermutlich streiten (jedenfalls war das der Aufreger des Sommers, und die Afghanistan-Papiere sogar Pressemitteilungen der Fraktion wert). Immerhin bleiben die Grünen am Thema dran.

Insgesamt sind Ablehnungen aus formalen Gründen bei internenen Anträgen bislang unüblich gewesen, sondern sie wurden inhaltlich bewertet. Das ist hier leider unterblieben. Dass möglicherweise persönliche Animositäten zu dieser formalistischen Ablehnung geführt haben, finde ich ganz besonders traurig.

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