Ein aktuelles Beispiel: Wie das Urheberrecht direkt zur Zensur führt

Ein plakatives Beispiel, wie die Anwendung des vollkommen unzeitgemäßen Urheberrechts direkt in die Zensur führt, erlebt gerade die Open-Data-Plattform Offeneskoeln.de, die wegen einer in einem Ratsdokument der Stadt Köln enthaltenem Ausschnitt aus einem Stadtplan eine Abmahnung erhalten hat – inclusive Kosten von über 800 Euro (darunter alleine 95 Euro für die Anfertigung der Screenshots):

http://blog.offeneskoeln.de/post/18377162772/abmahnung-und-selbstzensur

Es folgt, was folgen musste: Der Betreiber hat sich gezwungen gesehen, die veröffentlichten Dokumente durchzusehen – immerhin über 179.000 Seiten – und vorauseilend selbst zu zensieren. Andere Betreiber haben in solcher Situation ihr Angebot oft gleich ganz eingestellt. Vielen Dank an Marian Steinbach, dass er sich diese Mühe gemacht hat! Besonders brisant finde ich, dass es sich hierbei um Daten der Stadt Köln handelt, die bereits veröffentlicht waren, die also eigentlich uns allen gehören. Urheberrecht geht hier wieder einmal vor Bürgerrecht, in diesem Falle dem der Transparenz öffentlicher Verwaltung.

Hat noch jemand Zweifel, dass das Urheberrecht dringend reformiert werden muss?

Stopp-ACTA-Demos: Desinformation durch die Medien

Ich bin gerade richtig sauer. So sauer, dass ich an diesem Text an einem Sonntag morgen vor 10 Uhr sitze.

Nachdem die Medien vor zwei Wochen noch ziemlich ausführlich – wenn auch nicht immer zutreffend – über unsere Anti-ACTA-Proteste berichtet haben, hat sich das Bild bei den Demonstrationen gestern deutlich gewandelt.

Die WDR-Reporterin, die mir ihr Mikrophon gestern vor die Nase hielt, eröffnete bereits mit der Frage, woran es meiner Meinung nach läge, dass „so viel weniger Leute“ zu den Demonstrationen gekommen wären als beim letzten Mal – das bereits eine halbe Stunde vor Beginn des Umzugs. Auf meine Antwort, dass das meines Erachtens nach gar nicht stimme, ging sie dann gar nicht weiter ein – das Interview wurde dann sowieso nicht mehr gesendet. Übrig blieb in den Radionachrichten des NRW nur noch die falsche Aussage zu den „sehr viel weniger Teilnehmern“.

Die Tagesschau verortete die größte Demonstration in NRW nach Dortmund, mit 1500 Teilnehmern [1]. Düsseldorf (mit 2000) und natürlich Köln mit über 3000 Teilnehmern wurden glatt unterschlagen.

In den Tagesthemen begleitete ein Kamerateam 13jährige Schüler zu den Demos, und stellte das Ganze als „Jugendbewegung“ dar [2]. Immer wieder wurde betont, dass die Teilnehmer den ACTA-Text ja gar nicht kennen würden.

Und das Ganze wurde stets eingeleitet mit dem Hinweis, die Demonstrationen richten sich gegen Urheberrecht im Internet und forderten freie Downloads.

Man versteht nun, warum ich wütend bin? Warum ich den Eindruck habe, man unterschlage unsere wahren Motive, die sich gegen Patent-Irrsinn und die permanente Ausweitung des „geistigen Eigentums“ richten?

Vielleicht liegt es daran, dass auch die ARD und ZDF Mitglied in der „Deutschen Content Allianz“ sind, und die Intendanten dieser Anstalten Mitunterzeichner einer Aufforderung an die Bundesregierung sind, ACTA ohne Änderungen zügig zu unterzeichnen [3]. Ein Schelm, der Böses dabei denkt.

Die Printmedien übernehmen diesen Mist leider unreflektiert. Spiegel Online listet die Demonstrationen auf [4] – und führt Trier mit 150 Teilnehmern auf, nicht aber Köln oder Düsseldorf. Bei den internationalen Demonstrationen fehlt Kopenhagen, wo 7000 Menschen auf der Straße waren.

Der Kölner Stadtanzeiger begeistert besonders. Er sprach ursprünglich von 700 Teilnehmern in Köln (mittlerweile, um ca. 11 Uhr, auf 2000 Teilnehmer geändert, im Cache bei Google noch sichtbar [5]) – lieber Stadtanzeiger, sieht das nach 700 Leuten aus? Hier geht der Demonstrationszug über den Ring – 6 Minuten lang Menschen:

[1] http://www.tagesschau.de/inland/acta188.html
[2] http://www.youtube.com/watch?v=Mf20N4TtsFw
[3] http://www.computerbase.de/news/2012-02/deutsche-content-allianz-fordert-acta-unterzeichnung/
[4] http://www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/0,1518,817554,00.html
[5] Screenshot:

Episch! Marina Weisband ruft bei Kai Diekmann an

„Herr Diekmann? Ich habe mit Ihrer Mailbox gerechnet. Darf ich Sie trotzdem anschnauzen?“

Episch! Marina Weisband, unsere Politische Geschäftsführerin, ruft in der Talk-Sendung mit Benjamin von Stuckrad-Barre in ZDFneo beim Chefredakteur der BILD-Zeitung Kai Diekmann an und beschwert sich über einen sexistischen Artikel über sie. Sehenswert!

Rede der Anti-ACTA-Demo

Den Text meiner Rede auf der Anti-ACTA-Demo vom 11.Februar in Köln stelle ich hier unter CC-BY-NC-SA 3.0 zur Verfügung, siehe unten.

Droid-Boy hat die Rede aufgenommen, dafür vielen Dank! [display_podcast]

Eine Video-Aufzeichnung des Youtube-Nutzers klarepolitik gibt es auch, der Text ist nicht ganz vollständig aufgenommen, aber die Akustik ist etwas besser, und man erhält einen Einblick in die tolle Atmosphäre der Kundgebung. Ebenfalls vielen Dank!

Legt ACTA ad acta!

Wir sind heute gemeinsam mit vielen zehntausend anderen Menschen in ganz Europa aufgestanden, um gegen die Machtergreifung multinationaler Konzerne zu protestieren. ACTA, das „Anti Counterfeiting Trade Agreement“, stellt eine Kriegserklärung dar an die Menschen unseres Landes, in Europa und der ganzen Welt.

Diese Kriegserklärung stammt von internationalen Konzernen, die mit dem Instrument des sogenannten „geistigen Eigentums“ dabei sind, ihre Monopole und ihren wirtschaftlichen Einfluss – an den Regierungen, am Volk, an der Rechtsstaatlichkeit und an der Gesetzgebung vorbei – auf die ganze Welt und den gesamten Lebensbereich der Menschen auszudehnen.

Sie kommen mit ihren Koffern voll Geld zu den Politikern, fertig ausgearbeitete Gesetze im Gepäck, die sie den sogenannten Volksvertretern in geheimen Runden hinter verschlossenen Türen präsentieren. So lässt sich die Industrie derzeit ein Instrument genehmigen, mit dem sie – an der nationalen Gesetzgebung, an den Gerichten und der Strafverfolgung vorbei – direkt auf Bürger und Vermögen zugreifen kann. Es soll eine Konzern-Stasi entstehen, die zugleich Polizist, Ankläger, Richter und Vollstrecker in einem ist – und das alles in privater Hand auf Seiten der sogenannten Rechteinhaber. Dazu dürfen sie sich ungehemmt aller Mittel bedienen, die ihnen sinnvoll erscheinen: Sie dürfen sich der Polizei bedienen, der Internet-Zugangsprovider, sie dürfen auf Vermögen zugreifen und auf Dienstleister aller Art.

Das Ziel ist die Maximierung der Profite. Man möchte die Wertschöpfungskette maximal kontrollieren, möglichst bis in unser Zuhause, in unsere Privatsphäre herein. Man möchte über das Vehikel des Patents, der Marke, des Geschmacksmusters alle Arten von Produkten, Gütern, ja selbst Konzepte und bloße Ideen schützen, und deren Verwertung durch Dritte verhindern. Man will Monopole zementieren und deren Wirkung maximieren – und wohin Monopole führen, das können wir jeden Tag an der Zapfsäule, oder in der Apotheke spüren.

Monopole verhindern den Wettbewerb, Bildung und Kultur, sie behindern Wissenschaft und den Fortschritt unserer Gesellschaft. Es ist doch eine Binsenweisheit, dass Forschung und Kunst auf Bestehendem aufbaut, um diesem etwas Neues hinzuzufügen – genau dieser Prozess wird aber mit dem Kampfbegriff des „geistigem Eigentums“ behindert. Indem man bereits Ideen und Basisstoffe schützt, monopolisiert man ganze Produktbereiche und ganze Entwicklungslinien, und wird diese mit Hilfe von ACTA gnadenlos ausbeuten und jede unerlaubte Benutzung verfolgen und verhindern. Sie wird Produkte und Dienste teurer machen, als es notwendig wäre – für manche zu teuer, um sie sich leisten zu können. Günstige Nachahmungen werden verhindert, und damit zum Beispiel auch Generika – und ich prophezeie Euch, in der dritten Welt werden genau deswegen Menschen sterben, da sie sich die teure Originalmedizin nicht mehr leisten können.

Man stelle sich vor, der Erfinder des Automobils hätte ACTA zur Verfügung gehabt, sein Konzept damit zu schützen – eine Automobilindustrie würde es gar nicht geben, sondern ein Auto-Monopol. Und nur eine Minderheit hätte überhaupt die Chance, jemals eines zu besitzen.

Mehr noch – ACTA gefährdet die Meinungsfreiheit und die Privatsphäre. Durch die vorgesehenen Instrumente zur Überwachung digitaler Kommunikation werden sich die Menschen scheuen, die Wahrheit zu sagen. Unternehmen können missliebige und ungewünschte Informationen mit den Instrumenten von ACTA zensieren und unterdrücken. Dazu brauchen sie kein Gericht und keine Polizei – dies können sie nach den in ACTA niedergelegten Regeln einfach so, ohne Kontrolle und ohne Gegenmittel tun. Es droht eine innere und äußere Zensur in Orwell‘schem Ausmaß.

Wir kritisieren den Entstehungsprozess dieser Verträge. Wie kann es angehen, dass Firmenvertreter und Lobbyisten hinter verschlossenen Türen Privatverträge mit Regierungen aushandeln, die erst nach Abschluss mehr oder weniger zufällig bekannt werden, und dann von den gewählten Repräsentanten des Volkes abgenickt werden sollen? Dies ist ein Schlag ins Gesicht der Demokratie, es stellt jede rechtstaatliche Gesetzgebung auf den Kopf. Es ist eine Unverschämtheit, dass Lobbyverbände ihre Interessen so dreist und rücksichtslos durchsetzen, ohne dass die betroffenen Völker und Menschen eine Einflussmöglichkeit darauf haben.

Wir stehen hier heute in der Kälte, um uns gegen diese neue Weltordnung aufzulehnen. Konzerninteressen dürfen nicht über Menschenrechten stehen! Sogenanntes „Geistiges Eigentum“ darf nicht wichtiger sein als unsere Freiheit, unsere Gesundheit, die Bürgerrechte und unser gesellschaftlicher und kultureller Fortschritt.

Denn wenn wir hier schon den Eigentumsbegriff verwenden: Was steht in Artikel 14 unseres Grundgesetzes? Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen. Man lasse sich das auf der Zunge zergehen – nie war dieser Satz so wichtig wie heute. Auch ein sogenanntes geistiges Eigentum darf nicht nach Gutdünken verwendet werden – es ist schlichtweg verfassungswidrig, es gegen das Wohl der Allgemeinheit einzusetzen. Aber genau das wird geplant – und wir werden das verhindern.

ACTA darf im europäischen Parlament nicht ratifiziert werden. Die nationalen Parlamente müssen ACTA ablehnen. Die Regierungen müssen ACTA unverzüglich kündigen, und den Irrweg der Monopolisierung von Wissen verlassen.

Daniel Schwerd

Resonanz der Anti-ACTA-Demo

Die Demonstrationen gegen ACTA vergangenen Samstag in Köln, ganz Deutschland und Europa haben ein enormes Echo produziert. Ich bin begeistert, wie viele Menschen den Aufrufen gefolgt sind, und wie intensiv über unser Anliegen berichtet wird – auch wenn es immer noch als „Netzthema“ dargestellt wird, obwohl es sämtliche Lebensbereiche aller betreffen wird.

Man konnte mich sogar in den Tagesthemen sehen. Ohmygod!

Etwas kürzer war der Bericht in der Tagesschau am Nachmittag, den man hier sehen kann:

ACTA Demonstration in Köln – Tagesschau von 11.02.2012

Ein weiteres Interview nahm die Internet-TV-Abteilung des Kölner Stadtanzeigers auf:

ACTA-Demo: Frieren für die Freiheit

Dann habe ich noch ein paar Bloggern Audio-Interviews gegeben, wenn die jemand findet, sagt bitte Bescheid.

Schon eine Lüge: Der allererste Satz der Präambel des ACTA-Vertrages.

Bereits der allererste Satz der Präambel des ACTA-Vertrages, der die Konzerne der Welt einflussreicher machen soll als Regierungen und Staaten, ist eine Lüge. Da steht:

IN ANBETRACHT der Tatsache, dass eine wirksame Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums für ein dauerhaftes Wachstum aller Wirtschaftszweige wie auch der Weltwirtschaft von entscheidender Bedeutung ist

Diese Aussage ist schlichtweg falsch. Das Wirtschafts-Wunderland China ist nicht gerade für seinen Respekt vor dem sogenannten „geistigen Eigentum“ bekannt. Gerade wegen seiner Konsequenz in Nachahmen und Nachmachen ist China wirtschaftlich so enorm erfolgreich geworden – sie machen die Dinge billiger, und ermöglichen dadurch einer viel größeren Schicht, ihre Produkte zu kaufen. Es steht außer Frage, dass die Arbeitsbedingungen in China katastrophal sind, dass Demokratie dort ein Fremdwort ist, dass China mit dem Manchester-Kapitalismus mehr gemein hat als mit Sozialismus – mit dem besonders hohen Schutz „geistigen Eigentums“ hat der wirtschaftliche Erfolg des Landes jedenfalls nichts zu tun. Und die Weltwirtschaft hängt zu großen Teilen am Erfolg Chinas und der anderen BRIC-Staaten.

Auch in der Geschichte waren genau die Staaten und Industrien oft wirtschaftlich erfolgreich, die erfolgreich nachgeahmt haben. Hätte es einen solchen Aufschwung in Europa geben können, wenn die industrielle Revolution, die in England begann, durch Patente und Rechte in ihrer Ausbreitung in Europa gehindert worden wäre?

In der Wirtschaft waren Nachahmer oft erfolgreicher als die Erfinder. Der PC wurde von IBM erfunden – die ihn heute nicht einmal mehr produzieren. Hätte IBM den Computer als Konzept geschützt, und Nachahmer erfolgreich an der Verwendung dieses Rechts gehindert, hätte die Informations- und Internetrevolution so nicht stattgefunden.

Es ist eine Binsenweisheit, dass Forschung und Kunst auf Bestehendem aufbaut, um diesem dann etwas Neues, Eigenes hinzufügen. Mit dem Kampfbegriff des digitalen Eigentums wird hier bereits jetzt schon eingegriffen, und der Fortschritt effektiv behindert, auf Dauer finanziell abgeschöpft, oder gar abgewürgt. Ein Monopol mit einem gut funktionierenden Geschäftsmodell kann so auf Dauer den Fortschritt in seinem Bereich verhindern, und damit das Wohlergehen der Gesellschaft schmälern.

Künstler greifen Ideen anderer Künstler auf, verarbeiten sie und entwickeln sie weiter. Aus etwas Altem entsteht etwas Neues, das ist in der Kunst ein ganz alltäglicher Prozess. Das geistige Eigentum macht die Weiterbearbeitung unmöglich – bei digitalen Gütern sogar noch effektiver als bislang. Auch die kulturelle Fortentwicklung wird so effektiv behindert.

Derzeit werden sogar Ideen, Konzepte und Anmutungen patentiert. Der „Slide to Unlock“-Button ist geschützt. Man stelle sich vor, die Funktion eines Schieberegelers wäre „geistiges Eigentum“ – viele technische Geräte wären nicht möglich, oder wären mit hohen Lizenzgebühren verbunden, die letztlich wieder zu Lasten der Käufer gingen.

Apple verklagt Samsung erfolgreich, weil der von Samsung angebotene Tablet-Computer so ähnlich aussieht wie der von Apple. Damit wird ein ganzer Produktbereich monopolisiert – man stelle sich vor, die ersten Autohersteller hätten die anderen Hersteller erfolgreich verklagt, weil deren Autos auch Räder, Türen, Kotflügel und Lenkräder besitzen? Hätte es den Industriezweig Automobile überhaupt gegeben, oder wäre dann nicht eher ein Auto-Monopol entstanden?

Denn das ist der Zweck der ACTA-Vereinbarungen: Die Schaffung von Monopolen, Monopolisierung von Wissen und Ideen, Basisstoffen und Konzepten, und deren weltweite Durchsetzung zur Erzeugung von exorbitanten Gewinnen, die auf Dauer gesichert sind.

Schlimm, dass die zuerst genannte Aussage auf Regierungs- und Staatenebene bereits unwidersprochen unterzeichnet wird.

Den aktuellen Text von ACTA kann man hier ansehen

BPT2011.2: Bundesparteitag der Piraten in Offenbach – Mein Fazit

Enormer Presseandrang auf dem Bundesparteitag der Piraten. Selbst der letzte Pressevertreter hat verstanden, dass es keine Delegiertenkonferenz ist, sondern dass jedes Mitglied abstimmen darf. Zwar wird vereinzelt noch behauptet, dass dies der erste Bundesparteitag der Piraten sei (es ist der neunte – nicht mal der erste in diesem Jahr), aber das ist noch lässlich. Dass die Piraten mittlerweile ernst genommen werden, steht jedenfalls ausser Frage.

Während andere Parteien wie die Linken, die SPD und die Grünen – aufgescheucht von den Piraten – sich mit Netzpolitik beschäftigen und hier verzweifelt versuchen, Profil zu gewinnen, spielt klassische Netzpolitik auf dem Parteitag der Piraten fast keine Rolle. Wir beschäftigen uns ausführlich mit Sozialpolitik, mit Europa, Wirtschaft, Gesundheit und Verkehr. Niemand kann jetzt mehr behaupten, die Piraten seien monothematisch.

Demokratie macht Arbeit, aber auch Spaß. Über fast jeden Antrag wird kontrovers diskutiert. Selbst Anträge mit großer Akzeptanz in der Basis haben eine lange Rednerliste. Meist liegen mehrere Anträge vor, die teils konkurrieren, teils sich aber einfach nur wiederholen. Leitanträge der Parteispitze existieren nicht. Das dauert, ist manchmal ermüdend – aber genau so wollen wir das, die Piraten wollen Politik von unten, Politik zum Mitmachen, echte Demokratie eben. Und dann muss man Menschen auch reden und machen lassen.

Dass es sich lohnt, beweisen einige der angenommenen Anträge. Es finden sich echte Perlen unter den Anträgen, klare Kanten, wahre Aussagen, auf die ich mich gefreut habe und auf die ich stolz bin.

Die Piraten positionieren sich ganz klar gegen Rechts, gegen Rassismus und Ausgrenzung. Der Aufruf und die Teilnahme an Demonstrationen gegen Nazis sind ohne Beschluss möglich und stets im Sinne der Partei. Die bereits in der Satzung festgelegte Ablehnung jedweder totalitärer, faschistischer oder diktatorischer Bestrebungen wird nochmals betont. Gegen Rassismus und kulturell begründete Diskriminierung wenden wir uns im Parteiprogramm nochmals explizit.

Nach kontroverser Debatte und sehr knapper Abstimmung entschließen sich die Piraten für die Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen. Dabei ist es uns klar, dass das nur ein Fernziel sein kann – in der Zwischenzeit sollen unsoziale Auswüchse des Hartz IV-Systems abgeschafft und ein Mindestlohn eingeführt werden. Zeitarbeit soll eingedämmt werden. Ein konkretes Umsetzungsmodell für das BGE haben wir noch nicht beschlossen.

Große Zustimmung erhalten beide Anträge zum Thema Drogen- und Suchtpolitik. Das System von Prohibition und Kriminalisierung des Konsums von Drogen halten wir für gescheitert, es soll beendet werden. Die willkürliche Aufteilung der Drogen in illegale und legale stellen wir in Frage, wir sind für eine Nutzung in Forschung und Therapie. Dabei ist es uns klar, dass wir in diesem Punkt besonders viel Häme ernten werden – wir halten es aber für wichtig genug, hier nicht feige oder populistisch zu sein.

Die Piratenpartei spricht sich pro Europa aus. Ein Antrag, den Europäischen Stabilitätsfond ESM abzulehnen, wird kontrovers diskutiert und dann aber mehrheitlich abgelehnt – die Piraten wollen sich nicht populistischen antieuropäischen Bestrebungen anschließen. Zudem ist uns nicht klar, was eine bessere Alternative zum ESM ist – und wenn man von etwas keine Ahnung hat, sollte man womöglich wirklich mal die Klappe halten – das finde ich persönlich sehr sympathisch und nachvollziehbar. Dennoch kritisieren wir den ESM-Vertrag, da er nicht demokratisch zustande gekommen ist und demokratisch nicht legitimiert ist.

Sehr spannend verlief die Diskussion zum Thema „Urheberrecht“ – mithin das einzige Thema des Parteitages, das zu den Kernthemen der Piraten gezählt wird. Hier standen sich zwei konkurrierende Anträge gegenüber – einer der beiden wollte das Urheberrecht durch eine radikale Verkürzung der Schutzfristen verändern. Knackig formuliert, und zweisprachig in Form eines Gesetzesentwurfs auf europäischer Ebene vorliegend, hätte er vielleicht am ehesten den Erwartungen an die Piratenpartei entsprochen. Hier regte sich aber der meiste Widerstand von Autoren-, Künstler- und Produzentenseite.

Der andere Antrag war deutlich weicher gestaltet. Die Schutzfristen werden fast gar nicht angetastet. Allerdings werden die Nutzungsmöglichkeiten, die innerhalb der Schutzfristen erlaubt sind, deutlich zugunsten von Privatnutzung, Forschung und Bildung, Mash-Up-Kunst, selbst für Filesharing erweitert. Die Position der Urheber wird sogar gestärkt, insbesondere durch Einschränkung der Macht von Verwertergesellschaften.

Der Parteitag hat sich mit großer Mehrheit für den zweiten Antrag entschieden. Ich halte das für eine sehr begrüßenswerte Entscheidung, können wir so doch einen größtmöglichen Ausgleich zwischen Autoren und Künstlern einerseits, und Nutzern digitaler Werke andererseits herstellen. Mir persönlich sind Dauern von Schutzfristen doch vollkommen egal, wenn ich jederzeit die für mich genehme, private Nutzung eines Werkes vornehmen kann. Auch eine verkürzte Schutzfrist hingegen nützt mir nichts, wenn ich während deren Dauer das von mir erworbene Werk nicht richtig oder vollständig nutzen kann.

Dabei ist dieser Antrag so wohlbegründet und wohlformuliert, dass sich das just beschlossene Programm der Grünen mit der Kulturflatrate wie reiner Sozialismus liest. Wir lassen den Urhebern von Werken sowie den Nutzern dieser Werke deutlich mehr Freiheit.

Noch ein kurzes Wort zur Location: Offenbach ist trostlos, die Stadthalle hässlich. Die AG Schnittchen zu Recht enttäuscht, das Apfelsinengate hat aber nicht stattgefunden. Vielleicht schaffen wir bei der nächsten Veranstaltung ein etwas angenehmeres Umfeld.

Alles in Allem bin ich außerordentlich zufrieden. Ohne besondere Erwartungen angereist, und mit der Befürchtung kommend, die Veranstaltung würde wegen des Mitgliederwachstums und Besucheransturms in Chaos versinken, hatten wir einen schönen und produktiven Parteitag, und haben einige Beschlüsse erreicht, auf die ich stolz bin.

Liberale Hochschulgruppe Köln unter falscher Flagge

Eine bodenlose Frechheit leistet sich gerade die LHG, die Liberale Hochschulgruppe an der Universität Köln. Diese will für die kommenden Wahlen zum Studentenparlament ihren Namen ändern. Sie setzen nämlich Ihrem bisherigen Namen „Die Campus-Piraten“ voran. Die genaue Bezeichnung soll nun „Die Campus-Piraten – Liberale Hochschulgruppe“ lauten.

Bild: Manfred Werner (Tsui), Lizenz: cc-by-sa 3.0
Der Ableger der FDP bei den Kölner Studenten beweist damit zwar, wahre Piraten zu sein, indem sie den Begriff „Piraten“ für sich einfach kapern, und man könnte auch meinen, dass die Bewunderung dieser jungen Liberalen für die Piraten so groß ist, dass sie sogar den Namen übernehmen. „LHG von Piraten beeindruckt“ könnte man titeln. Beides ist im Grunde sogar erfreulich.

Weniger begeistert mich dagegen die Intention der LHG. Sie wollen offensichtlich eine Zuordnungsverwirrung auslösen, indem sie den Anschein erwecken, die Hochschulgruppe der Piraten zu sein, um die Popularität der Piraten (gerade unter den Studenten) für sich abzugreifen. Wer den Stimmzettel unbefangen ansieht, wird diese Zuordnung annehmen.

Aber auch für die informierten Studenten entsteht eine Zuordnungsverwirrung, müssen diese doch vermuten, die Piraten an der Universität Köln, die sich in der Hochschulgruppe der Piratenpartei sowie im hochschulpolitischen Stammtisch Köln organisieren, hätten eine Kooperation bzw. eine Listenkandidatur mit der LHG eingegangen.

Darauf angesprochen, rechtfertigt sich die LHG wie folgt:

Ein Listenname für eine studentische Gremienwahl ist keine juristische Person und in der Wahlordnung von Universität und Studierendenschaft NICHT geregelt. Somit können wir jeden erdenklichen Namen auswählen, solange er nicht dem Namen einer Partei oder HSG oder eines geschützten Namen entspricht. Ich bin nicht darüber informiert, ob der Name PIRATEN oder Pirtatenpartei Deutschland geschützt ist. Campus-Piraten ist es jedenfalls nicht. (…)

1. Wir stehen in keinem offiziellen Zusammenhang mit der Piraten-HSG, die nebenbei nicht in die Matrikel der Universität eingetragen ist.
2. Wir werden diesen Namen weder auf unserer Homepage, noch auf unserem Werbematerial, noch öffentlich verwenden.
3. Sollten wir ins StuPa gewählt werden, werden wir den Namen unserer Fraktion ändern, sodass er nurnoch LHG lautet.

(…) Wir können den Namen der Liste leider nichtmehr ändern, hätten aber auch nicht vermutet, dass es eine so negative Resonanz eurerseits gibt.

(…)juristisch gibt es keine Einwände gegen diesen Listennamen.

Liebe LHG: Sowohl „Piraten“ als „Piratenpartei“ genießt in Deutschland markenrechtlichen und namensrechtlichen Schutz. Ihr wisst zwar, dass die Piratenpartei nicht mit markenrechtlichem Schutz oder „geistigem Eigentum“ argumentieren möchte. Eine Rolle spielt jedoch das Namensrecht, denn hiermit beabsichtigt ihr eine Verwirrung der Zuordnung und eine Ausnutzung des guten Namens der Piratenpartei. Ihr wollt Wähler absichtlich täuschen. Und das können wir nicht gut finden.

Die Dreistigkeit wird sogar noch verstärkt durch die Ankündigung, die Zuordnung zu den „Campus-Piraten“ dadurch zu erschweren, auf dem Wurfmaterial und der Homepage dies nicht aufzuklären, und den Begriff nach der Wahl wieder abzulegen. Nachdem Ihr Euch also die Stimmen erschlichen habt, wollt ihr die Maske fallen lassen. Das empfinde ich als angekündigten Betrug an Euren Wählern.

Ihr habt nicht mit negativer Resonaz gerechnet? Ich vermute, Euch ist unsere Resonanz vollkommen egal – sonst hättet ihr vielleicht im Vorfeld Kontakt zu den Kölner Piraten oder zu der Piraten-Hochschulgruppe aufgenommen. Das Ihr das unterlassen habt, zeigt mir doch eher, dass ihr sehr wohl mit negativer Resonanz gerechnet habt. Juristisch ist diese Namenswahl mit Hinweis auf das Marken- und Namensrecht mindestens fragwürdig. Unmoralisch ist sie in jedem Fall.

Also, hier der ausdrückliche Hinweis an alle Kölner Studenten: Nein, die sog. „Campus-Piraten“ haben mit der Piratenpartei nichts zu tun. Zu den diesjährigen StuPa-Wahlen treten wir noch nicht an.

Die der Piratenpartei verbundenen Studenten organisieren sich an anderem Ort, und alle Studenten sind herzlich eingeladen, sich dort zu beteiligen. Diese Einladung gilt ausdrücklich auch für Mitglieder der LHG – wenn Ihr piratige Hochschulpolitik machen wollt, dann kommt zur Hochschulgruppe der Piraten, aber unterlasst Wählertäuschung und das Segeln unter falscher Flagge.

Der nächste HSG-Stammtisch der Piraten-Hochschulgruppe findet am 29.11.2011 um 20.30 Uhr im Cafe 43, Weyertal 43 in Köln-Sülz statt. Er ist öffentlich und offen für alle!

Danke, Christian, für den Hinweis.