Offener Brief an Monika Piel

Der Kölner Pirat Peter Horner hat wegen der Berichterstattung des WDR über die Anti-ACTA-Demonstration in Köln einen offenen Brief an die Intendantin des WDR Monika Piel geschrieben:

Offener Brief an Monika Piel, WDR

Er schreibt:

ACTA-Demo 25. Februar 2012, Berichterstattung durch den WDR/die ARD – 26. Februar 2012

Sehr geehrte Frau Piel,

ich schreibe Ihnen diesen offenen Brief, weil ich in mehrfacher Hinsicht betroffen bin. Betroffen von der Haltung Ihres Hauses zu ACTA, betroffen von der Nicht-/Falsch-Berichterstattung Ihres Hauses über die landesweiten Anti-ACTA-Demonstrationen vom 25.2.2012, betroffen vom Umgang der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten mit öffentlichen Geldern und nicht zuletzt betroffen davon, dass Sie und Ihr Haus, die von der Sache her eigentlich auf der Seite der ACTA-Gegner stehen sollten, es aber nicht tun.

Warum sollten auch Sie betroffen sein? Aus meiner Sicht deshalb, weil laut letzter Änderung des Rundfunkstaatsvertrages der von der ARD und dem ZDF produzierte „Content“ nicht mehr als 7 Tage im Netz (Internet) der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden darf. „Content“, der mit öffentlichen Mitteln produziert worden ist wird der Öffentlichkeit entzogen! Ich finde das unfassbar, Sie nicht auch? Ich weiß, Sie haben geklagt und verloren. Das wäre nun gerade Grund genug gegen ACTA zu protestieren. Sie aber sind unverständlicher Weise für ACTA.

Haben sich da vielleicht die Rechte-Inhaber und –Händler der Content-Industrie durchgesetzt? Denn da geht es um das große Geld, nicht bei den Schriftstellern, Journalisten, Musikern und Schauspielern. Die werden mit Almosen im Vergleich zu den Gewinnen der Rechteverwerter abgespeist. Geht es also dann doch letztlich wieder nur um die wirtschaftlichen Interessen einiger Weniger?

Aus meiner Sicht haben die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten und die ACTA-Gegner sogar die gleichen Ziele. Laut Art. 5 des Grundgesetzes genießen Presse, Rundfunk und Fernsehen besonderen Schutz. Besonderer Schutz bedeutet aber im gleichen Atemzug auch besondere Verpflichtung zu Objektivität, Transparenz und tendenzfreier Berichterstattung. Genau das fordern die ACTA-Gegner. Zur Zeit vermag ich diese Prinzipien bei den diversen Formaten des WDR nicht zu erkennen (Beispiel: keine Erwähnung der ACTA-Demo in Köln in Ihrem 3. Programm; falsche Teilnehmerzahlen; in Köln waren es ca. 3.000)

Wieso wird in allen Medien derzeit nur über die Verhinderung von Produkt-Piraterie und die Durchsetzung des Verbots illegalen Kopierens geschrieben/gesprochen? Weil das so schön populistisch ist und sich daher „gut verkauft“? ACTA-Gegner stellen sich auch gegen illegales Kopieren, verlangen aber von der Content-Industrie zeitgemäße Vetriebsstrukturen.

Oder sollen mit der Diskussion über Internetsperren, Urheberrechtsverletzungen, Produkt-Piraterie und ähnlichem noch viel gefährlichere Auswirkungen der ACTA und ACTA-folgenden Gesetze vertuscht werden?

Sie wissen es, Frau Piel. ACTA gibt international operierenden – hauptsächlich – US-Konzernen die Möglichkeit über Trivial-Patente und Patent-Missbrauch Entwicklungen in anderen Ländern über Lizenzgebühren unwirtschaftlich zu machen, damit Wettbewerb zu verhindern und existierende Monopole zu festigen und weiter auszubauen. Bestes Beispiel sind Patente für Medikamente, die verhindern, dass in den Ländern der Dritten Welt preiswerte Medikament-Generika zur Behandlung der ärmsten Patienten eingesetzt werden können. Darüber lohnte es sich im Zusammenhang mit ACTA zu berichten.

Gleiches gilt für Patente auf pflanzliche und menschliche Genome (ca. 10% des menschlichen Genoms ist bereits privatwirtschaftlich patentiert!). Hier wird Patentschutz für in der Natur vorkommende Substanzen und Erbanlagen gefordert, um über den Verkauf von z.B. Saatgut für Grundnahrungsmittel und dazugehörigem Dünger und Pflanzenschutzmitteln den Profit zu maximieren. Jüngstes Beispiel dazu liefert die Neuseeländische Regierung mit ihrem „NZ Government Food Bill 160-2“

Ich zitiere aus http://www.das-wilde-gartenblog.de/2012/02/09/obst-und-gemuese-im-eigenengarten-demnaechst-genehmigungspflichtig/: „Auf Betreiben zahlreicher Lobbyverbände u.a. aus den USA (z.B. US FDA = Monsanto & Co.) wurde weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit(!) ein Gesetz verfasst, das den Anbau eigener Nahrungsmittel genehmigungspflichtig machen will. Und das soll noch nicht alles sein: Überwacht werden soll der genehmigungspflichtige Anbau von Lebensmittelkontrolleuren, die auch von der Industrie gestellt werden können. Sie sollen die Gärten ohne Durchsuchungsbefehl, ja sogar “mit Waffengewalt” durchsuchen dürfen!“ Ende des Zitates

Wohlgemerkt: Hier geht es um den Anbau von Obst und Gemüse durch Privatpersonen auf ihrem Privatgrundstück und nicht um die Aushebung einer Terrorzelle!

Wollen Sie das in Deutschland haben? Vielleicht erwidern Sie jetzt: Deutschland ist ein Rechtsstaat, da würde ein solches Gesetz niemals die parlamentarischen Hürden passieren. Aber Neuseeland ist auch ein Rechtsstaat. Nur vielleicht etwas abhängiger von den USA als Deutschland?

Sicher, Patentrecht ist nicht so simpel wie Produkt-Piraterie und Copyright-Verletzung. Da kann sich jeder etwas darunter vorstellen. Überdies liegt Neuseeland (noch) weit weg. Ich bin sicher, dass bei etwas weniger einseitiger Berichterstattung und mehr Fakten Ihre Zu-Hörer und -Seher ACTA und die ACTA-Gegner anders beurteilen würden.

ACTA sehen als das, was es tatsächlich ist: ein zum Schutz wirtschaftlicher Interessen Weniger auf Kosten der Allgemeinheit auf undemokratischem Weg in geheimen Gremien geschaffenes Monstrum mit unabsehbaren Spätfolgen. Deshalb bitte ich Sie: Schließen Sie sich der Anti-ACTABewegung an und sorgen Sie in Ihrem Haus für umfassende und tatsachenkonforme Berichterstattung über Anti-ACTA-Aktionen!

Über eine Fortsetzung dieses Dialoges mit Ihnen freue ich mich und verbleibe

mit betroffenen Grüßen

Peter Horner