Expertenrunde zum JMStV mit Marc Jan Eumann

Am Montagabend habe ich an einer kleinen Expertenrunde zum Thema Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV) teilgenommen. Eingeladen hatte Daniel Bär von den Kölner Jusos, um in einem kleinen Kreis mit Marc Jan Eumann, Staatssekretär in NRW und Vorsitzender der Medienkommission der SPD über den JMStV zu diskutieren. Geladen waren eine Auswahl von Netzaktiven und Jusos, die sich mit dem Thema befassen. Über unsere Einladung habe ich mich sehr gefreut.

Zufälligerweise waren alle geladenen externen Experten entweder Piraten oder den Piraten freundschaftlich verbunden. Anwesend war Jürgen Ertelt (@ertelt), Medienpädagoge von Jugend-Online (IJAB), Dominik Boecker (@domainrecht), Fachanwalt für Informationstechnologierecht aus Köln und aktiv im AK Zensur, Kai Schmalenbach (@dave_kay), Sysadmin und mit dem JMStV befasster Pirat aus Düsseldorf, und meine Wenigkeit als Vorstandsvorsitzender des KV Köln der Piraten und als Internetunternehmer (@netnrd). Von den SPD-Jusos waren 5 Personen anwesend, neben dem Gastgeber Daniel Bär (@danielbaer) u.a. auch der Blogger Jens Matheuszik vom Pottblog (@pottblog).

Interessanterweise lehnten alle Anwesenden (außer Herrn Eumann selbst) den JMStV-Entwurf in der vorliegenden Form ab. Auch die Jusos sprechen sich einstimmig gegen die Annahme dieses Vertrages aus.

Eumann stellte zunächst die Situation in groben Zügen dar. Er ging kurz auf das Konstrukt „Staatsvertrag“ ein, und stellte heraus, dass den Landesparlamenten hier nur die Annahme oder die Ablehnung im Ganzen zur Verfügung steht.

Seiner Einschätzung nach werden die CDU-Abgeordneten im Landtag zustimmen, und auch die Mehrheit der SPD-Abgeordneten ist wohl dafür. Ich persönlich vermute, dass es sehr stark von der Empfehlung Eumanns abhängt, wie sich die Fraktion entscheiden wird, da sein Wort in diesem Thema ganz sicher Gewicht haben wird. Ich würde mir wünschen, er würde seine Ansicht überdenken…

Die Grünen werden auch zustimmen, das schloss er aus den auch uns bekannten Äußerungen im Sinne von „Pacta sunt servanda“. Darüber haben sich Piraten an anderer Stelle schon beklagt – doch das ist ein Thema für sich.

Er hält den neuen Vertrag für besser als den derzeit gültigen, jedoch stimmt er in uns darin überein, dass auch der neue noch nicht wirklich gut ist. Seiner Ansicht nach ist der Jugendschutz ein kulturelles gesellschaftliches Gut, den Jugendschutz im Internet solle man nicht aufgeben. Er stellte die Alternativfrage, was denn besser sei als das vorliegende Modell, oder ob man den Jugendschutz im Internet etwa aufgeben solle.

Ihm ist klar, dass keine Filtersoftware absolut sicher sein wird, und dass die meisten Kinder in einem Alter von ca. 11 Jahren technisch versiert genug sein werden, diesen Filter zu umgehen. Genauso wenig stellt er außer Frage, dass die Filtersoftware nicht alle Eltern erreichen wird, da vielen die technischen Fähigkeiten zur Administration eines Computers fehlen werden.

Seiner Meinung nach ist ein schlechter oder lückenhafter Filter immer noch besser als keiner – damit zwar in Widerspruch zu unserer Meinung, aber eine nachvollziehbare und verständliche Ansicht.

Den Einwand, das Vermittlung von Medienkompetenz mindestens denselben, wenn nicht einen höheren Stellenwert haben müsste als das Propagieren einer unzureichenden technischen Lösung, beantwortete er mit dem Hinweis, dass dies nicht Aufgabe des JMStV sei, sondern als separates Projekt auf der Agenda stünde, und in NRW als eines der Kernthemen im Koalitionsvertrag gelte. Dies ist ein Punkt, welchen die Piraten in NRW genau beobachten sollten, ob die Vermittlung von Medienkompetenz an Schüler, Eltern und Lehrer tatsächlich diesen Raum eingeräumt bekommt, und ob entsprechende Maßnahmen tatsächlich ergriffen werden.

Wir wandten uns auch den Seiteneffekten des Filters zu. So setzt die Filtersoftware auf einer freiwilligen Selbstklassifizierung der Webseitenbetreiber auf. Daniel Bär, der die Webseite der Kölner Jusos betreut, nannte es für ihn unmöglich, bereits diese Homepage zu klassifizieren, beispielsweise da er wegen einer Kinoveranstaltung der Jusos einen Trailer eingebaut habe. Ein vergleichbares Problem stellt z.B. die Einstufung der Wikipedia, oder die Einstufung von Web2.0-Seiten mit einem Anteil an von Usern erzeugtem Inhalt generell dar.

Da viele Webseitenbetreiber vor ähnlichen Klassifizierungsproblemen stehen, wird vermutlich oftmals gar keine Klassifizierung durchgeführt, oder sicherheitshalber erst ab 18 freigegeben. Dies wird zu einem Overblocking-Effekt führen. Es werden Kinder am Erwerb von Medienkompetenz gehindert, wenn übermäßig viele Inhalte wie etwa Parteiseiten und Portale vor Ihnen verborgen bleiben. Ausländische Seiten werden ganz überwiegend nicht gerated werden, und sind dadurch Kindern niemals verfügbar. Eltern werden die Software irgendwann genervt ausschalten, wenn sie feststellen, dass zu viele sinnvolle Inhalte für ihre Kinder nicht verfügbar sind.

Auch für Eumann ist Overblocking ein Problem. Er betonte deshalb die im JMStV stehende Vereinbarung, diesen nach drei Jahren zu evaluieren und ggf. anzupassen. Dann könne man die den tatsächlichen Umfang der Filterung und des Einsatzes feststellen.

Natürlich ist drei Jahre im Internet eine Ewigkeit. Jürgen Ertelt forderte daher, dass Evaluation ein kontinuierlicher Prozess sein muss, der quasi von Beginn an vorhanden sein muss.

Was versehentliche Falschklassifikation angeht, oder Falschkassifikation aufgrund von unpassendem user-generated Content, verwies Eumann darauf, dass auf bei versehentlicher oder unbeabsichtigter Falschklassifikation keine strafrechtlichen Konsequenzen folgen. Wie im Telemediengesetz auch haftet man nicht für fremde Inhalte, und hat erst ab Kenntnis zu reagieren, seine Einstufung würde man dann behalten.

Unbekannt war ihm hingegen der wettbewerbsrechtliche Effekt. Eine falsche Altersklassifikation kann Abmahnungen von Wettbewerbern und Wettbewerbshütern nach sich ziehen – eine falsche Einstufung bringt nämlich durch die daraus folgende geringere Filterung einen ungerechtfertigten Wettbewerbsvorteil, und dieser ist – vollkommen unabhängig vom individuellen Verschulden – immer wettbewerbswidrig und abmahnfähig. Eine Störerhaftung trifft auch einen Anbieter oder Provider. Hier öffnet sich ein vollkommen neues Feld für die Abmahnindustrie. Marc Jan Eumann war ganz offensichtlich überrascht über diesen Aspekt und versprach, dies zu prüfen, er machte sich dazu Notizen. Ich (als selbst betroffener Betreiber von Portalseiten) bin hochgespannt, ob sich in diesem Thema noch etwas bewegt.

Ich persönlich finde es bedauerlich, dass man mit einer staatlich verordneten Filtersoftware eine absehbare Totgeburt produziert, die erhebliche Kosten mit zweifelhaften Erfolg verursachen wird, anstelle auf den Wettbewerb zu setzen und die – bereits vorhandenen – Filterprogramme überprüft, empfiehlt und in der Verwendung dieser schult. Eine klassische Whitelistefilterung für kleine Kinder halte ich für die beste Vorgehensweise, sie kommt auch ohne Klassifizierung durch Webseitenbetreiber selbst aus.

Marc Jan Eumann habe ich als einen sehr sympathischen und offenen Menschen erlebt, der einen erheblichen Sachverstand in den Netzthemen hat (ganz im Gegensatz zu manch anderen „Netzexperten“ der etablierten Parteien). Zwar hält er an dem bestehenden Änderungsantrag fest, er ist aber offenbar aufgeschlossen für die geschilderten Probleme, Seiteneffekte und Auswirkungen. Interessant fand ich seine Feststellung, dass er auch in seinem Ministerium erst einmal Knowhow um Netzthemen aufbauen muss, und dass es offenbar fast keine kompetenten Leute gibt.

Wir haben die Bereitschaft herausgestellt, auch in Zukunft an diesem Prozess teilzunehmen, wir werden versuchen, den Kontakt zu halten. Ich bin sehr gespannt, ob die Dialogbereitschaft bestehen bleibt, ich würde mich freuen. Jetzt wäre es eine Herausforderung, auch mit den NRW-Grünen in einen solchen Dialog einzutreten.

De-Mail und die Folgen

Schon länger geistert sie durch die Medien, jetzt wurde sie mit großem Tamtam offiziell angekündigt:
Die “De-Mail“. Bettrieben von der Deutschen Telekom soll sie die Zustellung von E-Mails rechtssicher garantieren, so dass in Zukunft selbst Verträge per E-Mail sicher geschlossen werden können. Darin eingeschlossen ist eine Verschlüsselung sowie eine eindeutige Identifizierung der Teilnehmer. Das System basiert rechtlich auf dem Telemediengesetz, ein separates De-Mail-Gesetz ist in Vorbereitung. Dienstanbieter müssen sich durch das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) akkreditieren lassen.

Im ersten Moment klingt das Angebot verlockend: Kann man doch auf den Versand von Papier verzichten – die De-Mail wird verschlüsselt (während bei normalen E-Mails der Text offen lesbar übertragen wird), und man kann wie bei einem Einschreiben eine Empfangsbestätigung erhalten.

Schaut man jedoch unter die Haube, offenbaren sich einige Nachteile, die meines Erachtens das Angebot für
Privatnutzer höchst gefährlich machen, so dass ich persönlich von der Nutzung abrate. Aber der Reihe nach.

Wer ein De-Mail-Postfach haben möchte, der muss sich zunächst bei einer Postfiliale durch Vorlage seines Personalausweises durch das sogenannte Postident-Verfahren eindeutig identifizieren. Dabei werden die persönlichen Daten des Ausweises inklusive seiner Nummer aufgenommen.

Dies bedeutet, dass eine anonyme Kommunikation über dieses Postfach nicht mehr möglich ist. Alle Kommunikation von oder zu diesem Postfach ist ganz eindeutig dem Nutzer zuzuordnen. Dies ist der erklärte Zweck dieses Systems.

Genauso klar muss dann allerdings sein, dass auch alle Kommunikation zentral in einem System gespeichert wird. Hier entsteht also ein persönliches Gebirge vertraulichster Informationen aller Art an einem Ort, von Kommunikation mit Ämtern, Krankenkassen und Firmen bis hin zu Verträgen, Versicherungspolicen, Behördengängen etc. Es wird erfasst, wann und mit wem Kommunikation welchen Inhaltes geführt wurde. Für Data-Mining-Experten ein Schlaraffenland, um eine intensives Persönlichkeitsprofil zu erstellen. Die Verwendung mehrerer Identitäten, etwa um die Zusammenführung von Informationen zu erschweren, ist nicht möglich. Zudem muss man mit der langfristigen Speicherung aller Verbindungsdaten durch die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung rechnen.

Ich erinnere an die allgemeine Zurückhaltung gegenüber des Google-Postfaches GMail: Es wurde kritisiert, dass die gesamte Kommunikation der Nutzer auf Googles Servern zusammengeführt wird. Aber Google hat keine eindeutigen Informationen über Ihre Identität, und bekommt in der Regel auch keine persönlichen Dokumente zu sehen. De-Mail ist eine viel umfangreichere Datenkrake mit weitaus sensibleren Informationen – zudem auch noch ganz eindeutig einer lebenden Person zugeordnet.

Wer jetzt meint, die Daten seien an dem Ort vor allen Augen geschützt, der unterliegt einem gefährlichem Irrtum. Alle persönlichen Daten des Nutzers sind gem. §113 Telekommunikationsgesetz (TKG) Sicherheitsbehörden und Geheimdiensten herauszugeben – dies auch ohne richterliche Genehmigung. Im Gesetzentwurf zum De-Mail-Dienst geht die Auskunftspflicht sogar noch weiter, und erstreckt sich auf die Anfrage von Firmen und Privatleuten auch ohne richterlichen Titel.

Im Online-Verfahren (§112 TKG) haben über tausend Behörden Zugriff auf die Identität des Nutzers. Eine De-Mail-Adresse ist also vollkommen öffentlich und nicht privat. Dies dürfte den meisten Privatnutzern so nicht klar sein – diese E-Mailadresse ist damit also noch weniger anonym als es der volle Familienname wäre, denn letzterer ist wegen Namensgleichheiten nicht immer einer einzelnen Person zuzuordnen, die De-Mail-Adresse aber schon, einschließlich des Wohnortes, Geburtsdatums und der Ausweisnummer.

Aber nicht nur die Personendaten müssen herausgegeben werden – an Polizei, Geheimdienst und Verfassungsschutz werden sogar Login-Informationen und Passwort herausgegeben, welche dann vollen Zugriff auf alle Kommunikation und gespeicherten Dokumente bekommt. Damit sind dort liegende Dokumente weniger sicher als in der Schublade bei Ihnen zu Hause.

Für die herkömmliche Post hingegen gelten dagegen ganz andere Rechte. Hier gilt das Briefgeheimnis – das Öffnen und Lesen von Briefpost ist weitaus höheren rechtlichen Hürden unterworfen. Aber selbst private E-Mail-Dienstanbieter dürfen Ihre personenbezogene Daten nicht an Firmen oder Privatleute herausgeben, sie machen sich strafbar. Damit ist ihre De-Mail-Post sogar weniger gesichert.

Für den Zugang einer De-Mail gilt eine Beweislastumkehr: Muss im Normalfall der Versender nachweisen, dass seine Sendung beim Empfänger angekommen ist, muss er bei der De-Mail nur den Versand nachweisen. Als Empfänger müsste man im Zweifel beweisen, eine De-Mail NICHT erhalten zu haben. Naturgemäß ist dieser Nachweis nur sehr schwer zu führen: Die Anwesenheit von etwas lässt sich leicht beweisen, aber die Abwesenheit von etwas nur sehr schwer. Dies kann im Zweifel zu Beweisführungsproblemen führen.

Eine Behördenmail gilt laut De-Mail-Gesetzentwurf automatisch als zugestellt, selbst wenn der Nutzer die Email nicht lesen konnte (etwa weil er das Postfach nicht abrief weil ein Computer nicht mehr zur Verfügung stand etc.). Damit könnte ein Bescheid durch eine Behörde wirksam werden, ohne dass der Bürger das überhaupt erfährt, inklusive des Ablaufs einer Einspruchsfrist.

Auch die Verschlüsselung ist nicht so sicher, wie man vermuten mag. Es handelt sich nicht um eine End-To-End-Verschlüsselung, sondern die Nachricht wird erst nach der Einlieferung auf Provider-Seite verschlüsselt, und vor der Auslieferung wieder entschlüsselt. Damit liegt die Nachricht beim Provider selbst unverschlüsselt vor, und könnte da eingesehen werden. Dies stellt eine geringere Sicherheit dar, als bei der nutzerseitigen Verschlüsselung, wie sie etwa PGP (Pretty Good Privacy) oder GnuPG bietet.

Der Hauptanbieter der technischen Lösung ist der ehemalige Staatsbetrieb Deutsche Telekom. Er ist in der Vergangenheit in mehrere Datenschutz- und Überwachungsskandale verwickelt gewesen. So wurden Millionen T-Mobile-Kundendatensätze entwendet, und Journalisten illegal überwacht. Diese Vergangenheit steigert nicht gerade das Vertrauen in die Sicherheit dieser sensiblen Daten bei dem Anbieter.

Die Telekom arbeitet mit dem Bundesinnenministerium in diesem Angebot eng zusammen. Im Innenministerium hingegen reiften die im Bürgerrechtssinne bedenklichen Initiativen zur Online-Durchsuchung und Vorratsdatenspeicherung, so dass man befürchten muss, dass die Weitergabe von Daten an öffentliche Stellen eher großzügig gehandhabt werden wird.

Zu berücksichtigen ist auch, dass die Nutzung von De-Mail nicht vollkommen kostenlos sein wird. So ist die Einrichtung eines Postfaches und der Empfang derzeit zwar kostenlos, aber der Versand einer Mail kostenpflichtig (im Moment vergleichbar mit dem Briefporto).

Zwar ist die Teilnahme am De-Mail-Dienst freiwillig, es könnte aber das Vorhandensein einer De-Mail-Adresse immer mehr zur Vorrausetzung zur Durchführung von Behördengängen und für Geschäftsprozesse mit Unternehmen werden, bzw. der anonymen Teilnahme könnten immer mehr Hürden entgegengesetzt werden. Schließlich ist es ganz erklärtes Ziel des Innenministeriums, die Nutzung von De-Mail zum Normalfall elektronischer Kommunikation zu machen, also die herkömmliche, anonyme elektronische Kommunikation durch andere Anbieter auszutrocknen.

In der Stellungnahme des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung wird von der Nutzung von De-Mail abgeraten. Ich kann das nur unterstreichen.

Privatsphäre ist kein Verbrechen! Sie haben ein Recht auf Anonymität.

De-Mail und die Folgen

Burkhardt Müller-Sönksen und die Piratenpartei

Burkhardt Müller-Sönksen, Mitglied des Bundestages und medienpolitischer Sprecher der FDP-Fraktion, erklärte in der 47.Sitzung des Bundestages am 11. Juni folgendes:

“Wir beobachten daher seit einigen Monaten die Gründungsbemühungen einer Partei, die das Urheberrecht gänzlich infrage stellt, mit großer Sorge. Wer den Schutz geistigen Eigentums nicht anerkennt, der wird auch in anderen Bereichen vor Rechtsbrüchen nicht haltmachen.”

Er meint doch nicht die Piratenpartei, oder?

Denn die Piratenpartei wurde bekanntlich schon 2006 gegründet, über das Stadium der Gründungsbemühungen sind wir glücklicherweise hinaus.

Außerdem stellen wir nicht das Urheberrecht gänzlich infrage – auch wenn man das immer wieder zu hören bekommt. Uns geht es um das Recht, Privatkopien anfertigen zu dürfen, eine faire Nutzung zu ermöglichen und einen vernünftigen Ausgleich zwischen Nutzern und Rechteinhabern zu erreichen.

Nein, Herr Müller-Sönksen kann die Piratenpartei nicht meinen. Oder etwa doch? Ich habe ihm die Frage gesendet, welche Partei er da meint, und bin gespannt auf die Antwort.

Immerhin ist Herr Müller-Sönksen medienpolitischer Sprecher der FDP-Fraktion des Bundestages, und hat sogar einen Twitteraccount. Sollte er also doch die Piratenpartei meinen, zeugt das von einem eklatanten Mangel an Wissen über die Internetkultur und Internetpolitik, denn als medienpoltisch interessierter Mensch ist man den zentralen Fakten und Themen der Piratenpartei zwangsläufig begegnet. Es würde sich die Frage stellen, welche Kompetenz er zum Thema Netzpolitik tatsächlich hat.

Zurück zum Zitat: Der zweite Satz ist reine Polemik. Wer Schwarzfährt raubt auch Omas ihre Handtaschen? Worin besteht die zwingende Logik?

Ist es schon kriminell, das Urheberrecht (ganz oder teilweise) in Frage zu stellen? Besteht ein Denkverbot im Hinblick auf die Anpassung des Rechtssystems an das 21. Jahrhundert?

Herr Müller-Sönksen sagt in seiner Rede ebenfalls:

“Für uns Liberale ist die Wahrung des Urheberrechts eine staatspolitische Aufgabe.”

Staatspolitik besteht nicht im Zementieren eines Rechtssystems ungeachtet der gesellschaftlichen Ansprüche und Änderungen. Sonst würden wir uns immer noch im Feudalsystem befinden, und das “ius primae noctis” wäre weiterhin das gute Recht der Grundbesitzer. Die Schaffung von Recht und Ordnung schließt auch ein, dass dieses Recht einen fairen Ausgleich zwischen Bürgern herstellt, und ist damit auch gesellschaftlichen Änderungen unterworfen.

Enttäuscht kann man über die “Bürgerrechtspartei” FDP sein. Sie stellt offenbar die Rechte gewisser Klientelgruppen über die der Bürger, und achtet die Interessen letzterer auf Zugang zu Kultur, Bildung und Forschung nicht allzu hoch. Zur Beförderung der Klientelinteressen wird sogar auf Polemik und Falschinformation zurückgegriffen. Sehr bedauerlich.

Wer seinen Augen nicht recht glauben will, findet es im stenografischen Bericht auf der Seite 47 zum Thema “Filmförderung” neben dem Buchstaben (B):

http://www.bundestag.de/dokumente/protokolle/plenarprotokolle/17047.pdf

Interview auf Kölncampus Radio zum Thema Datenschutz

Schreck in der Abendstunde, ich erhielt kurzfristig eine Einladung zu einem Radiointerview bei Kölncampus, dem Radiosender der Kölner Hochschulen und des Kölner Studentenwerks auf 100,0Mhz. Ich wusste natürlich nicht, worum es genau gehen sollte, aber das übt ja ungemein – dafür sollte es wenigstens live gesendet werden.

Also fand ich mich am frühen Morgen zur unstudentischen Zeit um 8:45 Uhr am 10. Juni im Studio an der Kölner Uni ein.

Das Interview gehörte zum Thema “Netzkultur”, und war nur knapp drei Minuten lang, daher auch eher oberflächlich, es gab wenig Gelegenheit, irgendwo in die Tiefe zu gehen. Es ging schließlich um Facebook und den Datenschutz, sowie das Thema Transparenz – ich also als Experte, wo ich nicht mal einen Facebook-Account habe (allerdings aus gutem Grund). Ich fand mich zwar ganz cool, habe aber dann doch ein paar viele Ähs abgesondert.

Wer es unbedingt hören will (nur das Interview, Anmoderation und Jingles sind ausgeschnitten):

Das Datenschutz-Interview

Die geheimen ACTA-Verhandlungen und die Bürgerrechte

Es könnte eine Geschichte aus einem Spionage-Thriller sein: Die Regierungen der Welt verhandeln heimlich mit multinationalen Konzernen über die Änderung und Abschaffung von Gesetzen zu deren wirtschaftlichem Wohle, ohne dass Parlamente oder die Bevölkerung darüber informiert sind.

Es handelt sich jedoch nicht um einen Bestseller-Roman, sondern um die Wirklichkeit: Seit einigen Jahren verhandeln die USA, die Europäische Union, Kanada, Japan, die Schweiz, Australien und einige andere Staaten über ein „Anti-Counterfeiting Trade Agreement“ (ACTA) genanntes Abkommen. Vorgebliches Ziel ist die Bekämpfung von Produktpiraterie und Urheberrechtsverletzungen, wobei Internationale Kooperation, Abstimmung des Gesetzesvollzugs und schließlich die Schaffung neuer Gesetze zur Verwertung geistigen Eigentums beschlossen werden sollen.

Waren diese Verhandlungen zunächst vollkommen geheim, sind vor einigen Monaten spärlich Informationen an die Öffentlichkeit gelangt, die Anlass zu höchster Besorgnis geben müssen. Dabei wird klar, dass die Verhandlungen ganz im Sinne einer kleinen Industrie von Rechteverwerten geführt wird, die damit ihre wirtschaftlichen Interessen vorantreiben.

Es ist in höchstem Maße verwunderlich, dass Handelsabkommen dieser Art geheim stattfinden müssen – ist es doch Konsens in allen westlich orientierten Staaten, das Produktpiraterie und Urheberrechtsverletzungen illegal sind, Gesetze zum Schutz der Urheber notwendig sind, und Ansprüche international durchgesetzt werden sollen. Es besteht kein Grund, solche Abkommen nicht mit rechtsstaatlichen Mitteln außerhalb des Parlamentsweges durchzuführen, und die Völker nicht über die Ziele der Aktion zu informieren und zu beteiligen.

Schaut man jedoch auf die bislang nur spärlich vorliegenden Informationen, versteht man die Motivation für die Geheimhaltung dagegen sehr schnell: Es werden Bündel von Aktionen und Maßnahmen verhandelt, die einen erheblichen Einfluss auf Bürgerrechte und demokratische Freiheiten, auf Unschuldsvermutung, Bewegungsfreiheit, Meinungsfreiheit, Haftungsfragen des Internets und Gesetzgebung haben.

Eine der Maßnahmen sieht vor, dass – entgegen der bestehenden Rechtslage – Internetdienstanbieter für von ihren Kunden begangene Urheberrechtsverletzungen als Störer haftbar gemacht werden können. Bislang haftet man als Dienstanbieter erst ab Kenntnis, also wenn man Wissen über einen Rechtsverstoß eines Nutzers haben kann. ACTA sieht das aber anders: Internetdienstanbieter sollen auch ohne Kenntnis haften, und das nur dadurch vermeiden können, dass sie den Datenverkehr ihrer Kunden überwachen, und selbstständig den Internetzugang ihrer Kunden nach Urheberrechtsverstößen sperren.

Damit macht man den Zugangsprovider zu einer Urheberrechtspolizei, genaugenommen zu Polizei, Richter und Vollstrecker von Industrieinteressen in einer Person. Mehr noch, man verpflichtet sie zu einer Zensur- und Schnüffelfunktion ähnlich dem chinesischen Internet, und setzt jeden Nutzer unter Generalverdacht.

Abgesehen davon, dass damit jeder Internetdienstanbieter vor unabsehbaren Haftungsfragen steht, sieht er sich zu technologischem und organisatorischem Aufwand gezwungen, den letztlich die Nutzer der Dienste bezahlen müssen – und da heutzutage quasi jeder Mensch der westlichen Hemisphäre Internetdienstleistungen nutzt, damit also die gesamte Bevölkerung. Ich bin sicher, dass die Kosten dieser Maßnahme die der damit möglicherweise verhinderten Rechtsverstöße um ein Vielfaches übersteigen werden.

Gleichzeitig wird die Privatsphäre unerträglich verletzt. Das Interesse einer kleinen Industriegruppe scheint schwerer zu wiegen als der Anspruch der Menschheit, seine Kommunikation privat und ohne inhaltliche Überwachung durchführen zu können. Die Bürgerrechte der überwiegenden Mehrheit rechtstreuer Menschen werden handstreichartig abgeschafft, um wirtschaftlichen Interessen einer einzelnen Industrie entgegenzukommen.

Zudem wird die Exekutive und Judikative umgangen. Rechtsverstöße dürfen nicht durch private Organisationen verfolgt und bestraft werden, sondern dafür ist immer die Polizei sowie die Gerichte zuständig. Die Abschaltung des Internetzuganges stellt für manche Personen die soziale oder kulturelle Isolation, oder auch den wirtschaftlichen Ruin dar, daher darf eine solche Strafe niemals automatisch nach jeder Art von Rechtsverletzung folgen, sondern sie muss immer im Einzelfall geprüft, und ins Verhältnis zum Vergehen gesetzt werden. Dies sollen aber stets nur Gerichte entscheiden dürfen, keine Internetunternehmen.

Weiter fordert ACTA Internetsperren, womit scheinbar nicht nur die in Deutschland kürzlich debattierten DNS-Sperren gemeint sind, es wird eine Methode der internationalen Zensur verlangt. Eine weitere Forderung ist offenbar das verdachtsunabhängige Recht auf Durchsuchung von Computer-Festplatten nach urheberrechtsgeschütztem Material bei der Einreise in ein Land. Beide Maßnahmen verletzen in extremem Ausmaß Bürgerrechte.

Sehr kritisch zu sehen ist die Forderung nach einem Verbot der Umgehung von Internetfiltern und –Sperren. Damit wird es illegal, einen Anonymisierungsdienst zu nutzen, mit dem sich ein höheres Maß an Sicherheit der Kommunikation erreichen lässt. Gleichfalls illegal wäre die Verwendung von VPN-Verbindungen, den Einsatz alternativer DNS-Provider und PGP-Schlüssel sowie der Verschlüsselung von Kommunikation allgemein. Anonymität ist jedoch eine wichtige Voraussetzung von freier Meinungsäußerung, Verschlüsselung in vielen Fällen der wichtigste Schutz vor Betrug und Phishing einerseits, und Abhörung firmeninterner und betrieblicher Kommunikation andererseits. Das Internet wird dadurch ein erhebliches Stück unsicherer für alle Benutzer.

Die Verhandlungen finden ohne Beteiligung der Parlamente statt, was sogar das Europäische Parlament zum Anlass nahm, die beteiligten Parteien dazu aufzufordern, über den Stand der Verhandlungen zu informieren – sonst wären diese vollkommen ohne Öffentlichkeit und rechtstaatliche Kontrolle durchgeführt worden, und eine Verpflichtung zur Umsetzung von Gesetzen hätte bestanden, bevor die Bevölkerungen der Länder überhaupt Gelegenheit zur Kenntnisnahme gehabt hätten – international ein absolut einmaliger Vorgang, und ein Bruch demokratischer Rechte sondergleichen.

Mit den geheimen Verhandlungen soll eine demokratische Debatte verhindert werden, vermutet die Organisation „Reporter ohne Grenzen“. Den Initiatoren des ACTA-Abkommens ist offenbar bewusst, dass sich die Öffentlichkeit über die Ausmaße der Verletzung der Privatsphäre empören würde, und man hielt es für angezeigt, erst nach Abschluss der Verträge die quasi fertigen Gesetze der Bevölkerung und den demokratischen Gremien anzuzeigen. Das ist eine Ungeheuerlichkeit.

Die Piratenpartei fordert, die Gespräche zu ACTA sofort einzustellen. Legt ACTA ad acta! Ich denke, dass diese Initiative vollkommen einseitig motiviert ist, und sich von den ursprünglichen Zielen des Schutzes von Erfindern und Urhebern vollkommen entfernt hat. Internationale Handelsabkommen gegen die Produktpiraterie und zur internationalen Durchsetzung von Urheberrechten halte ich für erlaubt, sie sollten jedoch niemals im Verborgenen stattfinden, sondern es sollte rechtsstaatliche Kontrolle erfolgen, und es sollten selbstverständlich die Bürgerrechte und die Privatsphäre gewahrt bleiben.

Anlasslose, massenhafte Kontrolle und Überwachung zugunsten von Wirtschaftsinteressen muss unterbleiben – die anlassbezogene Überwachung bleibt ja möglich, und war bislang schon erfolgreich in der Verfolgung von Gesetzesbrüchen. Nur Polizei und Gerichte sollen für die Verfolgung von Rechtsverstößen zuständig sein, Internetdienstleister und Netzbetreiber müssen neutral bleiben, und erst ab Kenntnis eines Rechtsbruchs einschreiten. Eine Zensur findet nicht statt. Das Internet ist kein rechtsfreier Raum – es gilt nämlich das Grundgesetz.

Weitere Informationen finden Sie auf den Seiten des Bündnisses „Stopp ACTA“:
http://www.stopp-acta.info/deutsch/index.html

Eine öffentliche e-Petition fordert die Bundesregierung auf, die Verhandlungen offenzulegen. Diese können Sie hier mitzeichnen:
https://epetitionen.bundestag.de/index.php?action=petition;sa=details;petition=10695

Das Demokratieverständnis des Volker Beck

Volker Beck, Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der Grünen, wirft der Partei Die Linke und der Piratenpartei Verrat vor. Seiner Meinung nach sind sie dafür verantwortlich, dass es keine klare Mehrheit für eine Koalition aus SPD und Grünen im Landtag von Nordrhein-Westfalen gibt, was zu einer Neuauflage der Regierung Rüttgers führen kann. Dazu sagt er wörtlich: “Wer hat uns verraten? Die Piraten! Wer war mit dabei? Die Linkspartei!”

Herr Beck, wie wir in der Twitteria sagen: #Fail! Was für ein Demokratieverständnis offenbaren Sie denn damit? Ist es dem Wähler vorzuwerfen, wenn er eine demokratisch legitimierte Partei wählt, der Sie nicht angehören? Besteht ein Verrat darin, dass man Überzeugungen hat, und zu seiner Meinung stehen will? Ist es etwa hinterhältig, wenn man Ideale hat, an die Demokratie und die Bürgerrechte glaubt und sich für Sie einsetzt? Welcher Verrat besteht darin, sich nicht verbiegen zu wollen, und auf eine taktische Wahlentscheidung zu verzichten, sondern zu der Partei zu stehen, die am besten zu den eigenen Wertvorstellungen, Idealen und Zielen passt?

Herr Beck, so funktioniert Demokratie. Die Bürger werden zur Wahlurne gerufen und stimmen über die Zusammensetzung des Parlamentes ab. Ihnen passt das zustande gekommene Ergebnis nicht – meinen Sie, dann wären Sie dazu berechtigt, den Wähler zu beschimpfen, und die durch ihn gewählten Parteien als Verräter zu bezeichnen? Sie können das Ergebnis mögen oder nicht, aber es ist nicht an Ihnen, den Wähler dafür zu kritisieren.

Ihre Äußerungen erinnern mich an die Regierung der DDR, die 1953 nach den Volksaufständen das Volk kritisierte und ihm vorwarf, das Vertrauen der Regierung enttäuscht zu haben. Es offenbart eine grundsätzlich falsche Einstellung zum Verhältnis zwischen Politik und Volk: Politiker haben dem Volk zu dienen, und nicht umgekehrt. Wenn das nicht in Ihrem Sinne ist, schlage ich vor, Sie entziehen dem Volk Ihr Vertrauen und wählen sich ein neues.

Ihre Denke ist es doch, die zur extremen Politik- und Parteienverdrossenheit in der Bevölkerung geführt hat. Eine Politik, die nicht für Inhalte steht, sondern die aus taktischen Entscheidungen besteht kotzt die Bürger an. Man will keine Politik der Interessenvertreter und Lobbyisten, keine Entscheidung des geringsten Übels auf dem Wahlzettel, und keine Austauschbarkeit der Inhalte, wie es gerade in die politische Landschaft passt. Der von Ihnen angesprochenen Punkt, die Wahlentscheidung anhand der daraus möglicherweise resultierenden Machtverhältnisse ausrichten zu sollen, stellt die Bedeutung einer Wahl auf den Kopf. Wer nur die Auswahl aus mehreren Übeln hat, entscheidet sich schnell und leicht: Für keines davon.

In Ihrem Blogpost lese ich: “Die verschenkten 119.581 Stimmen für die Piratenpartei und zusätzlichen 434.846 Stimmen für die Linke wollten, das unterstelle ich ihnen nun einfach, lieber Rot-Grün als Rüttgers oder große Koalition. Sie haben es aber mit ihrem Votum vermasselt.”

Seit wann sind Stimmen an demokratische Parteien verschenkt? Nur weil Sie nicht Ihrer eigenen Partei gegolten haben? Sie richten Ihre Vorwürfe jedenfalls an die Falschen. Sollte der Vorwurf nicht eher an die Nichtwähler gehen? Mit ihrer Passivität ermöglichen Sie es einer effektiven Minderheit, Politik zu machen, und fatale Entscheidungen zu Lasten der Allgemeinheit zu treffen. Gerade die Engagierten, die Aktiven anzugreifen ist jedenfalls fehl am Platze. Ich weiß aus vielen Gesprächen im Wahlkampf und dem Internet, dass ohnehin viele Wähler genau Ihren taktischen Erwägungen erlegen sind, und die Grünen gewählt haben, zu Lasten der anderen, der kleineren Parteien. Sich jetzt zu beschweren, dass das nicht noch mehr Wähler gemacht haben, ist billig – bei einer Neuwahl werden, so bin ich sicher, die Grünen nicht mehr so viele Zweitstimmen der kleinen Parteien abfischen können wie am 9. Mai.

Darüber hinaus ist der Vorwurf, die Stimmen an Piraten oder Linken hätten eine Neuauflage einer Rüttgers-Regierung wahrscheinlicher gemacht, sogar sachlich falsch. Wer eine neue Regierung Rüttgers verhindern wollte, der konnte auch nicht wirklich die Grünen wählen, denn die Grünen haben sich nicht ausdrücklich gegen eine Koalition mit der CDU ausgesprochen. Ihr Spitzenkandidat Cem Özdemir und Jürgen Rüttgers haben einen auffälligen Schmusekurs vor der Wahl gefahren, und ich bin sicher, dass es zu einer Koaltion gekommen wäre, hätten CDU und Grüne eine gemeinsame parlamentarische Mehrheit erhalten. Es gibt bereits Koalitionen aus Grünen und CDU auf Landesebene, die als Vorbild hätten dienen können. Wollen Sie etwa sagen, das die Grünen sich gegen eine neue Regierung Rüttgers ausgesprochen hätten, wenn sie eine Koalition mit der CDU hätten eingehen können?

Übrigens, auch eine Stimme an die SPD hätte nicht automatisch eine gegen die CDU bedeutet, denn eine große Koalition war und ist immer möglich, schließlich hatten wir sie vor gar nicht allzu langer Zeit schon auf Bundesebene, und auch in einigen Landesparlamenten gibt es “große” Koalitionen.

Nein, wer tatsächlich gegen einen neuen Ministerpräsident Rüttgers mit CDU-Ministern in entscheidenden Positionen gewesen ist, dem blieb de facto nichts anderes übrig, als z.B. die Linke zu wählen, und eben die Piratenpartei, denn mit diesen beiden Parteien hätte es eine Koalition dieser Art und diesen Themen nicht gegeben.

Nachtreten ist unsportlich. Sich an den Kleineren vergreifen ist unfair. Die Fehler stets bei den Anderen suchen ist unsensibel.

Herr Beck, eine Entschuldigung ist fällig. An die Wähler, dessen Votum für demokratische Parteien Sie nicht zu kritisieren haben. Und an die Parteien, die das Gegenteil von Verrat begangen haben, sondern ihre Versprechen gegenüber den Wählern halten und zu ihren Zielen und Überzeugungen stehen.

Update 19. Mai 00:10: Nun soll es Ironie gewesen sein, zumindest der Verrats-Vorwurf – Volker Beck hat seinen ursprünglichen Post editiert, und einen Ironie-Tag um das Verrats-Zitat angefügt. Herr Beck, sehr glaubhaft ist das nicht, denn den Vorwurf haben Sie zunächst mehrfach wiederholt, Sie reagierten erst nach dem Ihnen entgegengeschlagenen massiven Gegenwind. Inhaltlich sind Sie nicht auf die Entgegnung eingegangen. Schade.

Wie NRW wirklich gewählt hat

Ich habe eine kleine Grafik erstellt, um zu verdeutlichen, wie Nordrhein-Westfalen wirklich gewählt hat:

Die stärkste Fraktion im Landtag wäre demnach die der Nichtwähler. Die beiden sogenannten “großen” Parteien vereinen auf sich gerade mal 20% – also nur jeden fünften Wahlberechtigten im Land. Eigentlich, so muss man feststellen, fehlt ihnen die Legitimation für die Bürger in NRW zu sprechen. Wenn also die großen Parteien von einem Auftrag erzählen, den sie von den Bürgern erhalten hätten, so ist das nur für eine Minderheit der Bürger tatsächlich der Fall. Die große Mehrheit der Wahlberechtigten hat sie jedenfalls nicht gewählt.

Nun kann man sich auf den Standpunkt stellen, dass die Nichtwähler freiwillig auf ihr Wahlrecht verzichten, und daher auch ihr Recht auf Berücksichtigung Ihrer Interessen und Meinungen verwirkt haben. Damit macht man es sich aber zu einfach – warum ist es denn so? Warum ist die Wahlbeteiligung so historisch niedrig?

Meiner Meinung nach liegt es am hohen Maße der Parteienverdrossenheit. Auf den Infoständen während des Wahlkampfes bekam man oft zu hören, dass die Politiker alle gleich seien, nicht auf die Wünsche des Volkes hörten, von Lobbyisten gekauft und bestechlich seien. Kurz vor der Wahl klettern sie aus ihren Löchern, verschenken Kugelschreiber und Luftballons an Passanten, versprechen das Blaue vom Himmel, um dann nach den Wahlen mit ihrem Programm weiterzumachen und (außer im Fernsehen) nicht mehr in Erscheinung zu treten.

Dies haben die Politiker der Parteien zu vertreten: Keine der etablierten Parteien hat es geschafft, dieses Bild zu verändern. Keine der Parteien hat sich wirkliche Transparenz ihrer Arbeit auf die Fahnen geschrieben, und echte Bürgerbeteiligung angestrebt. Keine der Parteien – außer der Piratenpartei Deutschland.

Für die nächsten Wahlen muss es uns gelingen, mehr Nichtwähler zu aktivieren. Die Piratenpartei stellt eine echte Alternative zu der bestehenden Parteienlandschaft dar, weil sie genau an den Stellen ansetzen will, die besonders zur Verdrossenheit unter den Wählern geführt hat: Lobbyismus, Vorteilsnahme, Intransparenz und fehlende Einflussmöglichkeit.

Wenn Sie also von den etablierten Parteien enttäuscht und abgeschreckt sind, so ziehen Sie sich bitte nicht zurück – sonst wird sich niemals etwas ändern! Wählen Sie die Piraten, und sorgen sie für frischen Wind. Bei der nächsten Wahl. Sie haben die Wahl!

Erste Analyse der Landtagswahl NRW

Ich bin zufrieden, und doch enttäuscht. Natürlich hatten wir insgeheim mehr erwartet – ich hatte erhofft, das Ergebnis der Bundestagswahl zu schlagen – leider ist uns das nicht gelungen. Die Piratenpartei hat in Nordrheinwestfalen 1,5% der Zweitstimmen erhalten, das entspricht insgesamt knapp 120.000 Stimmen. Zur Bundestagswahl hatten wir im Land NRW insgesamt 1,7%, welches knapp 160.000 Stimmen entsprach.

Vermutlich hat uns das Kopf-an-Kopf-Rennen der beiden großen Parteien geschadet – vielen Wählern war es offenbar wichtiger, für die Abwahl von Ministerpräsident Rüttgers zu sorgen. Ein Indiz dafür ist das extrem gute Abschneiden der Grünen, denen ich zu Ihrem Wahlsieg ganz herzlich gratulieren möchte.

Mein, Ziel, die größte unter den kleinen Parteien zu werden, haben wir auf Landesebene erreicht. Die rechtspopulistische proNRW kam nur auf 1,4%. Der Abstand ist zwar nicht so deutlich, sorgt aber immerhin dafür, dass wir in Zukunft auf den Wahlzetteln in NRW auf Position 6 stehen werden. Damit können uns auch die Medien in zukünftigen Prognosen und Hochrechnungen mit guten Gewissen einen eigenen, orangenen Balken spendieren, ohne auch den Rechten einen opfern zu müssen.

In Köln sieht die Lage etwas positiver aus. Wir haben in Köln ein Stimmenergebnis von 1,8% erreicht, ein überdurchschnittlich gutes Ergebnis, gemessen am Landesschnitt. In der Bundestagswahl lagen wir allerdings in Köln insgesamt noch bei 1,9%, aber auch hier mag der Wunsch der Bürger vorgeherrscht haben, für eine Abwahl der regierenden Koalition zu sorgen.

Zudem kommt in Köln noch die Unzufriedenheit mit Klüngel und U-Bahn-Bau-Pfusch hinzu. Es konnte nämlich die SPD nicht sonderlich profitieren, sondern insbesondere die Grünen, die in Köln auf über 20% gekommen sind. In einigen Stadtteilen liegen sie damit vor den beiden großen Parteien.

Unglücklich macht mich hingegen das gute Abschneiden der proNRW in Köln, die mit 2,0% Ergebnis vor den Piraten liegen. Ich finde es bedauerlich, dass die Rattenfänger mit ihren fremden- und islamfeindlichen, populistischen Sprüchen einen solchen Wiederhall gefunden haben – berücksichtigen muss man, dass proNRW ihre Heimat in der proKöln hat, also gewissermaßen hier ihre Basis, bedauerlicherweise.

Jetzt zu meinem persönlichen Wahlkreis, Köln II. Mich freut ganz besonders, dass wir hier in Erst- und Zweitstimmen 1,7% erhalten haben: 1215 Bürger gaben mir ihre Erststimme, 1241 gaben den Piraten ihre Zweitstimme. In beiden Werten liegen wir vor den Rechten, und sind stärkste der kleinen Parteien geworden.

Zudem konnten wir im Stadtbezirk Lindenthal gegen den Landes- und Stadttrend die Prozentzahl unserer Wähler sogar ausbauen: In den Bundestagswahl lag die Piratenpartei im Stadtbezirk Lindenthal noch bei 1,6%!

Köln II ist sicherlich ein eher bürgerlicherer Bereich innerhalb Kölns, in dem mich die Akzeptanz der Piratenpartei froh macht. Wir liegen im Schnitt der Stadt, obwohl der Wahlkampf hier nicht so einfach war wie im Stadtkern. Mir ist das ein Ansporn, auf diesem Weg weiterzumachen, und die Piratenpartei und ihre Themen noch bekannter zu machen.

In meiner Heimat Widdersdorf erhielt ich sogar 2,4% der Erststimmen, und 2% Zweitstimmen für die Piraten. Liebe Nachbarn und Freunde, vielen Dank!

Allen Kölner Wählern möchte ich für ihr Interesse an der Piratenpartei und ihr in uns und mich gesetztes Vertrauen ganz herzlich danken. Wir werden sie nicht enttäuschen.

Das verstaatlichte Internet

Heute Morgen blieb mir das Frühstück im Halse stecken: Ich las einen Artikel, in dem Herr de Maizière, unser Innenminister, die Verstaatlichung der Adressvergabe im Internet fordert. Das private Einrichtungen das Internet kontrollieren, sei “keine ausreichende Antwort für die Zukunft”. Staatliche Einrichtungen hätten eine “Schutzpflicht für sichere Online-Kommunikation”, um das Vertrauen der Bürger in die Sicherheit von Diensten wie Online-Banking und E-Mails zu sichern.

Zuvor sagt er bereits, es sei ein Phänomen, dass die Adressvergabe überhaupt funktioniere, obwohl sie nur von Privatleuten verabredet sei.

Herr de Maizière, ich bin überrascht! Hat nicht Ihre Partei die Privatisierung der Deutschen Post unterstützt? Mit dem Vertrauen der Bürger in die Sicherheit ihrer Briefe hatten Sie dabei offenbar keine Probleme. Sie ließen sogar weitere Dienstleister zu, die Briefe befördern dürfen.

Wie sieht es denn mit den Banken aus? Sollte man diese nicht ebenfalls privatisieren? Damit ließe sich das Vertrauen der Bürger in die Stabilität ihrer Banken und der Bankgeschäfte bestimmt erhöhen.

Wo wir doch dabei sind, wie ist es denn mit der Nahrungsmittelindustrie und dem Einzelhandel? Die Deutschen sind besorgt um die Zusammensetzung und die Qualität ihres Essens, würde die Verstaatlichung nicht den Verbraucherschutz deutlich stärken?

Was halten Sie von Medienunternehmen in privater Hand? Sind verstaatlichte Medien nicht eher geeignet, entstellende oder verleumderische Inhalte zu verhindern und unsere Jugend vor ungeeigneten und pornografischen Inhalten zu schützen?

Lieber Leser, bitte verstehen Sie mich nicht falsch – ich bin selbst Unternehmer, und stehe staatlichen Eingriffen in die Wirtschaft generell äußerst kritisch gegenüber. Die obigen Fragen sind rhetorische, natürlich fordere ich nicht die Verstaatlichung von ganzen Industrien.

Es zeigt sich darin aber die Hybris der CDU. Was der Innenminister hier fordert, ist eigentlich Sozialismus, nämlich Vergesellschaftlichung der Wirtschaftsordnung durch einen starken, beschützenden Staat.

Normalerweise sieht die CDU das fundamental anders: Sie setzt auf die Selbstregulation des Marktes, und möchte staatlichen Einfluss auf Industrie und Wirtschaft zurückdrängen. Forderungen nach mehr staatlicher Kontrolle wird abgelehnt. Selbst nach der durch gierige Spekulanten ausgelösten Weltwirtschaftskrise hat sie die direkte Einflussnahme auf die Banken vermieden.

Anders sieht es aber mit der Meinungsfreiheit aus – damit hat die CDU keine Schwierigkeiten. Denn die Denic ist eine Genossenschaft, die nicht gewinnorientiert arbeitet – ist also kein Wirtschaftsunternehmen im eigentlichen Sinn. Hier hat der Innenminister kein Problem, großflächig staatliche Kontrolle zu fordern, denn in Sicherheitsbelangen wünscht sich die CDU einen starken Staat.

Dennoch wollen Sie dem deutschen Volk diese Maßnahme zu dessen eigenem Wohl als segensreich verkaufen. Sie behaupten, dass nur auf diese Weise der Schutz des Onlinebankings und der Email-Kommunikation herzustellen sei, so als sei dies das Mittel der Wahl für Postgeheimnis, Verbraucher- und Jugendschutz.

Herr de Maizière, ich gehe davon aus, dass Ihnen der Widerspruch zwischen der von Ihnen vorgebrachten Forderung nach Verstaatlichung und der grundsätzlichen Position Ihrer Partei klar ist.

Tatsächlich geht es ihnen nämlich um etwas anderes. Der Verbraucherschutz ist nur vorgeschoben, Sie wünschen die Kontrolle über das Internet, um auf diese Weise auch die Inhalte und die Kommunikation kontrollieren zu können. Die Kontrolle der Namensvergabe durch den Staat würde es Ihnen ermöglichen, unerwünschte Inhalte tatsächlich zu zensieren, und gäbe Ihnen eine mächtige Waffe in die Hand, öffentliche Meinung und Wahrnehmung zu steuern. Man stelle sich das Internet in der Hand Chinas, des Irans, oder selbst in der der USA vor.

Ich finde es verlogen, dass Sie seelenruhig sozialistische Argumente zur Begründung Ihrer Bemühungen anführen, um der Bevölkerung glauben zu machen, in ihrem Sinne zu handeln, während es Ihnen um Zensur, Kontrolle und Durchsetzung von Wirtschaftsinteressen einer kleinen Lobby geht. Tatsächlich ist der Schutz des Verbrauchers ihnen aber genauso egal wie der der Kinder – denn sonst hätten Sie in beiden Angelegenheiten zuvor schon etwas unternommen.

Herr de Maizière, das Internet funktioniert nicht trotz, sondern wegen privater Organisation so gut: Es ist frei. Und für die Freiheit werden wir kämpfen. Wenn ich nicht schon bei den Piraten wäre, ich würde jetzt eintreten.

Beide Stimmen für die Piraten

Häufig höre ich im Wahlkampf und von Bekannten, die Piraten ja grundsätzlich wählen zu wollen, aber seine Stimme nicht verschwenden zu wollen, da wegen der 5-Prozent-Hürde der Einzug der Piraten ungewiss sei.

Eine solche Einstellung finde ich sehr bedauerlich. Ich kann natürlich gut verstehen, dass man sich für Nordrhein-Westfalen eine andere Politik wünscht, und daher sicherstellen möchte, dass es eine andere Landesregierung gibt als bislang.

Allerdings stört es mich, dass man eine zweit- oder drittbeste Alternative aus rein strategischen Erwägungen wählt. Wenn man einer ganz bestimmten Überzeugung ist, dann sollte man auch für sie einstehen und sie unterstützen, ungeachtet strategischer Erwägungen.

Wenn man stets nur aus den vorhandenen Alternativen diejenige auswählt, die einem am wenigsten aus dem Hals hängt, wird sich niemals etwas ändern. Querdenken ist angesagt! Wenn man langfristig den Wandel schaffen will, muss man irgendwann einmal damit anfangen.

Übrigens, die Forschungsgruppe Wahlen sieht im aktuellen ZDF-Politbarometer die Piraten bei 3% – das würde erneut eine nahezu doppelte Stimmenzahl gegenüber dem Ergebnis der NRW-Stimmen zur Bundestagswahl bedeuten. Und zugleich bedeutet es, dass die 5%-Hürde durchaus übersprungen werden kann. Wenn nicht im ersten, dann im zweiten Anlauf.

Was die Erststimme angeht, natürlich macht es Sinn, die Piraten dort mit der Erststimme zu wählen, wo ein Pirat als Direktkandidat aufgestellt ist. Es zeigt, dass die Piratenpartei eine landesweit auch regional vertretene Organisation ist, und dass wir bereit sind, Verantwortung zu übernehmen.