TTIP & Co.: Kein kritisches Begleiten möglich

Dieser Text ist anlässlich des TTIP-Aktionstages 18. April 2015 bei Freitag Online veröffentlicht worden.

dock-441989_640Welthandel ist grundsätzlich eine gute Sache. Welthandel kann Bauern in Entwicklungsregionen emanzipieren, wenn sie ihre Produkte unter Umgehung von möglichst vielen der bisherigen Zwischenstationen weltweit verkaufen können, um einen möglichst fairen Preis zu erhalten. Werktätige, Dienstleisterinnen und Dienstleister, Produzentinnen und Produzenten können ihr Angebot an dem Ort der Welt anbieten, wo die Nachfrage einen für sie attraktiven Erlös verspricht. Gerade das Internet verstärkt und unterstützt diese Form des Handels.

Der Abbau von Handelsschranken, die Schaffung eines gemeinsamen Handelsraumes ist ein Weg, um Grenzen zu überwinden und Menschen zusammenzuführen. Ein freier Handel wirkt gegen Monopole und die Macht weniger Konzerne in abgeschotteten Wirtschaftsräumen.

Abkommen, die den Freihandel fördern, können also sinnvoll und wünschenswert sein. Dazu müssen sie so konstruiert sein, dass sie in erster Linie den Menschen dienen: Die Interessen der Menschen müssen an erster Stelle solcher Vereinbarungen stehen.

Die aktuellen, in Verhandlungen befindlichen Abkommen wie TTIP, CETA, TISA und TPP erfüllen diese Grundforderung jedoch gerade nicht. Zudem erleben wir in den letzten Jahren einen sich verstärkenden Trend, Kosten zu sozialisieren und Gewinne zu privatisieren. Das Versprechen von sich durch den Freihandel erhöhendem Wirtschaftswachstum basiert zum großen Teil auf diesem Effekt. Doch was nützt Wirtschaftswachstum, wenn es mit steigenden Kosten für die Allgemeinheit finanziert wird? Das stellt lediglich eine sich verstärkende Umverteilung von unten nach oben dar.

Standards auf dem höheren Niveau harmonisieren

Wir haben in den unterschiedlichen Regionen der Erde unterschiedlich hohe Standards in Arbeitnehmerrechten, Verbraucherschutz und Umweltschutz erreiche, oft erst nach jahrzehntelangem Kampf. Das Bewusstsein, dass Kosten von Umweltverschmutzung, sozialer Sicherung und Verbraucherschutz von denjenigen zu tragen sind, die sie verursachen, hatte dazu geführt, dass bislang sozialisierte Produktionskosten stärker den Produzierenden auferlegt worden sind. Diese Bemühungen waren aber national höchst unterschiedlich von Erfolg gekrönt.

Die Handelsabkommen wie TTIP und CETA begreifen solche Bemühungen nur als Handelshemmnis. Wenn unterschiedliche Standards in den Regionen existieren, oder wenn an einem Ort ein neuer, höherer Schutz erkämpft wird, bieten diese Abkommen Instrumente an, mit welchen Unternehmen Schutzstandards zerstören können. Der in den Verträgen formulierte sogenannte Investorenschutz bietet mit den umstrittenen Schiedsgerichtsverfahren ein gefährliches, außergesetzliches Werkzeug zum Angriff auf diese Rechte.

Der Ansatz, Schutzstandards aus Umweltschutz, Bürgerrechten, Arbeitnehmerrechten oder Verbraucherrechten als Hindernis zu sehen, ist grundfalsch. Im Gegenteil: Überall dort, wo die Schutzstandards niedrig sind, stellt dies eine Subvention der Wirtschaft dar, denn die mit niedrigen Standards verbundenen Kosten für Sozialsysteme, für Abfallentsorgung, für Umweltschutz trägt die Allgemeinheit, und nicht das verursachende Unternehmen. Geringerer Verbraucherschutz geht zulasten der Verbraucherinnen und Verbraucher. Die auf diese Weise erhöhte Gewinnspanne ist eine unmittelbare Subvention der Wirtschaft, und daher eine Wettbewerbsverzerrung.

Niedrige Schutzstandards wirken wie versteckte Subventionen. Ein Handelsabkommen sollte darauf gerichtet sein, solche Wettbewerbsverzerrungen abzubauen. Ein Klagerecht für Gewerkschaften, für Verbraucherverbände, für Umweltverbände gegen niedrige Schutzstandards verbunden mit einem Recht, die jeweils höheren Schutzstandards der Handelspartner auch bei sich durchzusetzen, könnte eine Lösung sein. Der Handel findet dann auf beiden Seiten gleiche Bedingungen vor, und die Chancengleichheit ist hergestellt. Das höhere Schutzniveau wurde von dem einen Land in das andere exportiert.

Grenzen nach innen und außen abbauen

Ein bilaterales Handelsabkommen baut Grenzen im inneren ab, verstärkt diese jedoch nach außen. Eine solche Vereinbarung zwischen stärker entwickelten Regionen schwächt und benachteiligt außenstehende Entwicklungs- und Schwellenländer. So mag das bilaterale Abkommen helfen, Menschen der betroffenen Länder einander näher zu bringen – schließt die übrigen jedoch aus.

Daher muss jedes Handelsabkommen zwischen stärker entwickelten Ländern eine Fairnessklausel enthalten: Schwächer entwickelte Regionen dürfen nicht ausgeschlossen werden, sie müssen von den gleichen Vorteilen des freien Handels profitieren dürfen. Die vertraglich verbundenen Länder dürfen ihre gemeinsame Macht nicht nach außen wenden, sie müssen sich solidarisch mit den außenstehenden Ländern zeigen, die nicht mit solcher Macht ausgestattet sind. Ein derartiger Vertragsschluss ist die einmalige Gelegenheit, sich zu diesem Handeln zu verpflichten.

Nicht zuletzt darf ein internationales Handelsabkommen nicht von der Exekutive und einzelnen Interessengruppen hinter verschlossenen Türen verhandelt werden. Der postdemokratische Trend, zivilrechtliche Verträge zwischen Ländern und Unternehmen zu schließen, und dabei demokratische Prozesse außer Kraft zu setzen, muss gestoppt werden. Es sind die demokratisch gewählten Volksvertreter, die diese Verhandlungen führen müssen, es sind zivilgesellschaftliche Gruppen und Verbände, es sind die Menschen, die mit am Verhandlungstisch sitzen müssen. Und das ganze muss transparenter, demokratischer Kontrolle unterzogen werden. Jeder Schritt, jede Verhandlung muss öffentlich sein

Solange die Verträge weit von solchen Anforderungen entfernt sind, solange darf man ihnen nicht zustimmen. Man muss die Gegenposition einnehmen: TTIP, CETA, TISA, TPP müssen unbedingt abgelehnt werden. Es ist erforderlich, die Verhandlungen jetzt zu beenden, ein neuer internationaler Ansatz, ein neuer Vertrag mit dem Menschen im Zentrum ist notwendig. Ein lediglich „kritisches Begleiten“ der TTIP-Verhandlungen, so wie es der Bundesparteitag von Bündnis 90/Die Grünen im Februar 2014 beschlossen hatte, ist jedenfalls deutlich zu wenig.

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Runter vom toten Pferd! Angstmache beenden, Vorratsdatenspeicherung ablehnen!

man-358969_640Wir haben heute zu einem CDU-Antrag, der eine Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung fordert, einen Entschließungsantrag eingereicht:

„Runter vom toten Pferd! Angstmache beenden, Vorratsdatenspeicherung ablehnen!“ (Drucksache 16/7849).

Dazu habe ich das folgende Pressestatement abgegeben:


Die Vorratsdatenspeicherung ist ein datenschutztechnischer Alptraum. Mit ihr
werden die Kommunikationsdaten und damit die persönlichen Informationen über
Millionen Bürger anlasslos, massenhaft und grundlos gespeichert. Demgegenüber
steht die anlassbezogene Datenspeicherung, bei der in einem Verdachts- oder
Ermittlungsfall selbstverständlich ganz gezielt Daten von bestimmten
Verdächtigen gesammelt werden.

In der Debatte gehen diese beiden Arten von Datenspeicherung wild durcheinander.
Die eine wird mit der anderen begründet. Diese absichtsvolle Vermischung darf
nicht toleriert werden. Verwerflich ist auch die Instrumentalisierung der Opfer
der Anschläge von Paris, um die Vorratsdatenspeicherun zu rechtfertigen.

Bisherige Versuche auf bundesdeutscher oder europäischer Ebene, eine anlasslose
Vorratsdatenspeicherung einzuführen, sind an verfassungsrechtlichen Bedenken
gescheitert. In Deutschland darf es keine Einführung der Vorratsdatenspeicherung
gegen die Grundrechte geben. Sicherheit gibt es nur durch mehr Freiheit, nicht
durch den Abbau von Freiheitsrechten. Der beste Datenschutz ist immer noch,
sowenig Daten wie möglich zu sammeln. Und Datenschutz erhöht unser aller
Sicherheit.

#Eikonal: Die Kernschmelze staatlicher Integrität

camera-89012_640Aus der deutschen Geschichte, vor allem der NS-Zeit, haben wir das Bewusstsein gewonnen, dass Rechtsstaatlichkeit ein hoher Wert ist. Sie zu verteidigen ist uns von den Müttern und Vätern des Grundgesetzes zu einer Verpflichtung erhoben worden.

So erklärte einmal Konrad Adenauer: „Demokratie ist mehr als eine parlamentarische Regierungsform, sie ist eine Weltanschauung, die wurzelt in der Auffassung von der Würde, dem Werte und den unveräußerlichen Rechten eines jeden einzelnen Menschen“.

Es ist nicht bekannt, ob Adenauer dies an einem Sonntag sagte. Bekannt hingegen ist, was er veranlasste, als sein Innenminister Hermann Höcherl einst verfassungsgesetzlich geschützte Grundrechte mit den Füßen trat. Dieser erlaubte dem Verfassungsschutz, von alliierten Nachrichtendiensten gesetzwidrig abgehörte Telefongespräche und ausgespähte Briefe der Bürger auszuwerten. Bürgerrechte, die laut Grundgesetz Artikel 10 unverletzlich sind.

Die Antwort lautet: Er veranlasste nichts. Selbst, als jener Innenminister über den bekannt gewordenen Grundrechtsverstoß spottete und dazu nur hämisch anmerkte: „Die Beamten können nicht den ganzen Tag mit dem Grundgesetz unter dem Arm herumlaufen“.

Daraufhin geschah wiederum nichts. Entfernte der Bundeskanzler damals einen solchen Mann aus seinem Amt? Nein, er stellte sich noch hinter ihn. Der Bürger rieb sich die Augen.

Eine bittere Lektion, so den Unterschied zwischen Verfassungstext und Verfassungswirklichkeit zu enthüllen.

Seitdem sind mehr als fünfzig Jahre vergangen. Die Welt hat sich verändert. Die Mauer ist gefallen. Der „Unrechtsstaat“ der DDR ist passé. Und sogar Gregor Gysi erklärte aus den Erfahrungen im anderen Teil Deutschlands: „Rechtssicherheit ist die beste Staatssicherheit.“

Gleichwohl haben sich zwischen 2004 und 2008 die Dinge wiederholt. Diesmal stellte sich im Nachhinein heraus, dass der Bundesnachrichtendienst grundgesetzlich geschützte Informationen an den amerikanischen Geheimdienst NSA weitergab.

Dies geschah vom deutschen Internetknotenpunkt De-Cix aus und hätte – wenn überhaupt – nur in sehr wenigen begründeten Einzelfällen und mit Richtervorbehalt geschehen dürfen. Das wusste der BND sehr genau. Denn zumindest versuchte er erfolglos, aus den weitergeleiteten Daten und Inhalten diejenigen der deutschen Benutzer herauszufiltern. Die Beamten hatten also ihr Grundgesetz diesmal sehr wohl unter dem Arm. Aber nicht die Politik!

Als feststand, dass der angestrebte Filter nicht hinreichend funktioniert und innerhalb des BND ernste verfassungsrechtliche Bedenken geäußert wurden, was geschah? Man setzte die Praxis des systematischen Verfassungsbruchs ungerührt weiter fort.

Damit noch nicht genug. Den politisch Verantwortlichen war sehr wohl bewusst, dass es den US-Amerikanern nicht um die Abwehr einer akuten Terrorgefahr ging. Vielmehr geht aus den inzwischen enthüllten Unterlagen eindeutig hervor, dass das Interesse der USA an Wirtschaftsspionage an vorderster Spitze stand.

So rufen wir Piraten in unserem vorliegenden Antrag dazu auf, aus der massiven Grundrechtsverletzung diesmal Konsequenzen zu ziehen.

Weder gibt es einen Grund, die Wahrung der verfassungsmäßigen Grundrechte einer wie auch immer gearteten „Staatsräson“ unterzuordnen. Der Preis dafür wäre die Glaubwürdigkeit unseres Staatswesens zu unterminieren.

Noch kann eine wie auch immer begründete vage „Bedrohungslage“ die Preisgabe von zentralen Verfassungsrechten rechtfertigen. Kant drückte das so aus: Der Sinnspruch des Notrechtes heißt zwar „Not hat kein Gebot“, doch kann es keine Not geben, die aus Unrecht Recht macht.

Wer anderer Meinung ist, sollte sich schleunigst eine Antwort auf die Frage einfallen lassen: Wie oft soll den Bürgern dieses Landes eigentlich noch diese bittere Lektion zugemutet werden?

In Sonntagsreden werden Verfassungsstaat und die Rechtsstaatlichkeit beschworen, im politischen Alltag aber soll es zu einer Binsenweisheit werden, dass zwischen Verfassungstext und Verfassungswirklichkeit Welten liegen? Dies wäre die Konsequenz aus der Normativität des Faktischen. Das ruiniert jedes Vertrauen in den Staat.

Auch die Bundesregierung hat inzwischen erkannt, wie weit die Angelegenheit greift. Doch welche Schlussfolgerung zog sie daraus? Sie sanktionierte das Bekanntwerden weiterer Details auf das Schärfste und klassifizierte die Vernehmung eines hochrangigen BND-Mitarbeiters zu Eikonal mit der höchsten denkbaren Geheimhaltungsstufe ein.

Aufgeschlüsselt bedeutet diese laut Geheimschutzordnung des Bundestags, dass die Weitergabe von Kenntnissen an Unbefugte „den Bestand der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder gefährden würden“.

In der Tat haben wir es mit einem derart ernsthaften Fall des Versagens staatlicher Vertreter zu tun, dass man von drohender Kernschmelze staatlicher Integrität sprechen kann.

Unseren Antrag „Der Landtag Nordrhein-Westfalen verurteilt den millionenfachen Grundrechtsbruch durch Eikonal“ findet man hier:
http://daniel-schwerd.de/drucksachen/7151

Europäisch-kanadisches Freihandelsabkommen #CETA stoppen!

flag-472394_640Folgenden Text habe ich als Antrag Drucksache 16/7150 für die kommenden Plenartage eingereicht. Er wird am Donnerstag, den 06.11., etwa gegen 14:30 Uhr im Landtag NRW debattiert und abgestimmt werden.

Das europäisch-kanadische Freihandelsabkommen CETA (Comprehensive Economic and Trade Agreement) steht nach fünfjähriger Beratungszeit unter Ausschluss der Öffentlichkeit kurz vor seinem Abschluss. Am 26. September 2014 wurde von den Vertragsparteien eine Erklärung zum Abschluss der Verhandlungen unterzeichnet. CETA gilt auch als Blaupause für das sich in den Beratungen befindliche Freihandelskommen zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und Europa, TTIP.

An CETA ist vielfache Kritik laut geworden. Es heble demokratische Kontrolle aus und bevorzuge einseitig die Interessen internationaler Großkonzerne. Die Vereinbarungen sind den Parlamentariern von Bund und Ländern nicht zur Verfügung gestellt worden. Eine transparente öffentliche Debatte fand bisher ebenso wenig statt.

Wegen unklarer Rechtsbegriffe im Abkommen und der fehlenden institutionellen Unabhängigkeit privater Schiedsgerichte könnten Maßnahmen und Auflagen des Landes zum Grundrechts-, Menschenrechts-, Sozial-, Arbeits-, Verbraucher-, Natur- oder Umweltschutz dem Risiko unüberschaubarer Schadensersatzforderungen ausgesetzt werden.

Die privaten Schiedsgerichte, die internationale Unternehmen zur Durchsetzung ihrer Interessen anrufen können, werden ad-hoc gebildet, wobei die Verdienstmöglichkeiten der Schiedsrichter mit der Zahl der Verfahren steigen. Es gibt keine Rechtsmittel gegen einen Schiedsspruch. Selbst wenn der Staat obsiegt, ist eine vollständige Erstattung seiner Rechtsverteidigungskosten nicht gewährleistet, so dass alleine schon das hohe Kostenrisiko eine Kommune oder ein Land veranlassen kann, auf ihr Regulierungsrecht zu verzichten.

Schiedsverfahren zwischen demokratischen Rechtstaaten etablieren unnötigerweise eine doppelte Gerichtsbarkeit, da ausländische Konzerne gegen Beschränkungen gleichzeitig vor staatlichen Gerichten vorgehen und vor dem privaten Schiedsgericht Entschädigung fordern können. Auch die kommunalen Spitzenverbände wenden sich in einem gemeinsamen Positionspapier zu internationalen Handelsabkommen und kommunalen Dienstleistungen vom Oktober 2014 gegen eine solche Schiedsgerichtsbarkeit. Sie sehen in den transatlantischen Freihandelsabkommen eine Gefährdung der kommunalen Rechte.

Weiter besteht die Ansicht, dass CETA die demokratischen Gesetzgebungskompetenzen von Bund und Ländern vielfach beschränken. So sollen staatliche Genehmigungsverfahren laut CETA „so einfach wie möglich“ und ohne „unangemessene Verzögerung oder Verkomplizierung“ zu gestalten sein. Bei so unbestimmten Rechtsbegriffen könnte schon eine Beteiligung der Öffentlichkeit oder Umweltverträglichkeitsgutachten als „unangemessen“ oder „kompliziert“ angesehen werden.

Auch dort wo das Abkommen den bestehenden Standards entsprechen soll, könnte es die gewählten Volksvertretungen an zukünftigen Änderungen hindern, etwa wenn Umwelt oder Verbraucher auf der Grundlage neuer Erkenntnisse oder einer neuen Bewertung besser geschützt werden sollen. Es ist zudem vollkommen unklar, ob das Tariftreue- und Vergabegesetz NRW als „ungerechtfertigte Diskriminierung“ oder „unnötige Handelsbeschränkung“ im Sinne von CETA verworfen würde.
Im Kapitel über „Rechte am geistigen Eigentum“ finden sich zahlreiche Ansätze des von der europäischen Öffentlichkeit und vom Europäischen Parlament mehrheitlich abgelehnten ACTA-Abkommens wieder. So soll etwa privaten Internetprovidern die Durchsetzung von Urheberrechten aufgebürdet werden, wodurch die Interpretation von Gesetzen privatwirtschaftlichen Firmen überlassen würde. Bestimmte Urheberrechtsverstöße könnten sogar unter das Strafrecht fallen. CETA würde die Spielräume bei der für die laufende Legislaturperiode anvisierte und mittlerweile auch seitens der Kommission geforderte EU-Urheberrechtsreform massiv einschränken.

CETA geht über bestehende Freihandelsabkommen nicht nur insofern hinaus, als es neben Handel und Dienstleistungen erstmals für jegliche „wirtschaftliche Tätigkeit“ gelten soll, beispielsweise auch für den Abbau und die Weiterverarbeitung natürlicher Ressourcen. Erstmals sollen von dem geplanten CETA-Abkommen zudem nur noch solche Bereiche ausgenommen sein, die in dem Abkommen ausdrücklich aufgeführt sind (sog. Negativliste). Aufgrund dessen ist intransparent und nicht vorhersehbar, in welchen Bereichen das Abkommen Anwendung finden wird. Aufgrund der Komplexität des Abkommens besteht ein hohes Risiko, dass die definierten Ausnahmen lückenhaft sind und das Abkommen somit Auswirkungen auf Politikfelder entfaltet, die nach derzeitigem Stand gar nicht absehbar sind.

Wir fordern daher vom Landtag, folgendes festzustellen:

  1. Der Entstehungsprozess von CETA ist in höchstem Maße intransparent. Der Ausschluss von Parlamentariern auf EU-, EU-Länder, Bundes- und Länderebene sowie das Fehlen einer breiten zivilgesellschaftlichen Debatte ist zu verurteilen.
  2. CETA enthält zahlreiche unbestimmte Klauseln und Rechtsbegriffe und stellt daher Staat, Gesellschaft und heimische Wirtschaft vor ungewisse Risiken.
  3. Private Schiedsgerichtsverfahren sind in Abkommen zwischen demokratischen Rechtsstaaten unnötig.
  4. Ein vollständiger Ausschluss von Kultur, Bildung und Presse ist nicht vorgesehen, es gibt zahlreiche Schlupflöcher und Ausnahmen.
  5. CETA geht weit über die Zuständigkeiten der EU hinaus. Ein vom Bundeswirtschaftsministerium in Auftrag gegebenes Gutachten kommt ebenso zu dem Schluss, dass es sich bei CETA um ein „gemischtes Abkommen“ handelt, welches die Zustimmung aller Mitgliedsländer erforderlich macht.
  6. CETA greift in die Zuständigkeiten der Länder, insbesondere in den Bereichen Kultur- und Medienpolitik, ein. Das Abkommen bedarf auch der Ratifizierung durch den Bundesrat.

Wir fordern die Landesregierung dazu auf,

  1. auf allen politischen Ebenen darauf hinzuwirken, dass CETA in der derzeitigen Form weder unterzeichnet bzw. ratifiziert wird.
  2. auf allen politischen Ebenen die Zustimmungspflicht aller EU-Mitgliedstaaten sowie insbesondere des deutschen Bundesrats zum CETA-Abkommen einzufordern.
  3. sich auf allen politischen Ebenen für die Herausnahme der Investorenschutzklauseln und Negativlisten aus dem CETA-Abkommen einzusetzen.
  4. eine breite gesellschaftliche und politische Debatte zum CETA-Abkommen zu fördern.
  5. im Bundesrat gegebenenfalls gegen das CETA-Abkommen zu votieren.

Habt Ihr gerade mal drei Stunden Zeit? #AuAcast 002

frog-164398_640Ich habe gestern die lieben @Meta_Bolismus und @MenschZwoMull besucht, und damit endlich ein altes Versprechen eingelöst. Wir haben zwei Stunden und 46 Minuten gesprochen, über Politik, Piraten, Computer und Utopien. Und anschließend Pizza gegessen. Wer zuviel Zeit und Lust hat, hört hier #AuAcast – der Podcast mit und für mehr Anarchie und AlkoholFolge 2: „Mitglied der Lurche“.

AuA002 – Mitglied der Lurche – CC-BY-SA [ 2:46:40 | 132.74 MB ]

Mitglied und Stellvertreter für LfM-Medienkommission NRW gesucht!

audio-72119_640Wir Piraten fordern schon lange, dass nicht nur die gut organisierten Verbände und Organisationen, Parteien und Regierungsvertreter in den Aufsichtsgremien öffentlicher Institutionen vertreten sind, sondern dass sich auch ganz normale Bürger dort engagieren können. Das ist für uns gelebte Teilhabe und öffentliche Kontrolle.

Als vor einigen Wochen das Landesmediengesetz NRW überarbeitet wurde, haben wir es geschafft, diese Forderung in das Gesetz zu schreiben.

Der neue § 93 Absatz 5 LMG NRW ermöglicht, dass sich interessierte Einzelpersonen um eine Mitgliedschaft in der Medienkommission der Landesanstalt für Medien (LfM) bewerben können. Bewerber sollen über Kenntnisse im Bereich des Rundfunks und der Telemedien verfügen. Außerdem dürfen keine Interessenskonflikte bestehen und es gilt ein Kontrahierungsverbot (§ 95 Absatz 4 LMG NRW).

Die Medienkommission nimmt die Aufgaben der LfM wahr. Dazu gehören zum Beispiel Beobachtung von Rundfunk und Telemedien, die Förderung der Medienkompetenz und der Bürgermedien, sie berät Veranstalter, Betriebsgesellschaften, Anbieter und Betreiber von Kabelanlagen und andere, deren Rechte und Pflichten das Landesmediengesetz regelt, und erteilt allgemeine Auskünfte über die Rechte von Rundfunkteilnehmern und die Rechtewahrnehmung. Sie unterstützt Projekte, die eine flächendeckende Versorgung der Bevölkerung mit lokalem Rundfunk gewährleisten oder der Einführung und Erprobung neuer Rundfunktechniken dienen.

Außerdem kann sie Maßnahmen zur Sicherstellung der Netzneutralität ergreifen.

Ausführliche Informationen findet Ihr unter www.lfm-nrw.de, das Bewerbungsverfahren ist unter www.lfm-nrw.de/fileadmin/lfm-nrw/Medienkommission/Bewerbungsverfahren_28.08.2014.pdf beschrieben.

Wenn Ihr Interesse an der Arbeit der Medienkommission habt und über die notwendigen Qualifikationen verfügt, bewerbt euch als ordentliches oder stellvertretendes Mitglied!

Bewerbungen sind bis 31.10.2014 schriftlich direkt an die Landesanstalt für Medien NRW zu richten.

Die Sache mit der Glaubwürdigkeit

gummibarchen-359950_640Zum kommenden Landesparteitag der Piraten NRW am 30. und 31. August in Kleve stehen zwei Positionspapiere zur Diskussion, die mir persönlich ziemliche Bauchschmerzen bereiten. Leider findet zeitgleich die wichtige „Freiheit statt Angst“-Demonstration in Berlin statt, was mir die Teilnahme unmöglich macht. Die Terminfindung des LPT finde ich überaus unglücklich, ich fürchte, dass für eine Menge Piraten die Entscheidung zwischen Parteitag und Demonstration schwer fällt. Ich möchte daher hier niederlegen, welche Bedenken ich zu den Positionspapieren habe.

Der Beisitzer im NRW-Landesvorstand Daniel „Stahlrabe“ Rasokat hat die Positionspapiere PP001 „Positionierung zum Feminismusbegriff“ und PP002 „Geschlechtsbezogene Quoten in der Gesellschaft“ eingereicht.

Sprechend sind die vom Antragssteller selbst vergebenen Zusammenfassungen der beiden Anträge. Zu PP001 schreibt er „Ablehnung des Feminismusbegriffs“ und PP002 fasst er mit „Ablehnung von geschlechtsbezogenen Quoten“ zusammen.

Wörtlich heißt es im Antragstext PP001:

Wir, die Mitglieder des Landesverbandes NRW, betrachten die Piratenpartei Deutschland vom Selbstverständnis her nicht als feministische Partei. Die Gleichberechtigung aller Geschlechter ist ein wichtiges Thema in unserer Gesellschaft. Dafür setzen wir uns im Rahmen unseres Grundsatzprogramms ein. Weder in der Gesellschaft noch in der Partei gibt es jedoch eine allgemeingültige, akzeptierte Definition für den Begriff „Feminismus“. Ein explizites Bekenntnis zum Feminismusbegriff lehnen wir deshalb ab.

 
PP002 formuliert wie folgt:

Der Landesverband NRW möge als Aussage feststellen: In unserem Bemühen um Geschlechtergerechtigkeit sehen wir Quoten als nicht geeignet an, struktureller, gesellschaftlicher Benachteiligung von Frauen entgegenzuwirken.

 
Ich appelliere an den Landesverband NRW, diese beiden Positionen abzulehnen.

Ich finde es schwierig, im Kampf gegen Diskriminierung und Ausgrenzung von Menschen, in der Arbeit gegen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit die Benachteiligung von Frauen explizit auszuschließen. Sexismus, die Diskriminierung von Menschen aufgrund ihres Geschlechts, ist eine Form gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, die wir – wie jede andere Form der Diskriminierung auch – bekämpfen, gegen die wir uns aussprechen und die mit unserem Menschenbild und der Satzung nicht vereinbar ist. Warum man Feminismus als Gegenposition zum Sexismus explizit ausschließen will, sich expressis verbis als nicht-feministisch definieren will, erschließt sich mir nicht. Im Gegenteil, es beschädigt unsere Position, unsere Glaubwürdigkeit in den anderen Gebieten, wo wir beispielsweise gegen Homophobie, Rassismus, Ableismus oder Antisemitismus tätig sind.

Wenn wir an anderer Stelle für Inklusion, für die Abschaffung von Barrieren, für Teilhabe und Partizipation sind, klingt das hohl, wenn wir eine Quotierung von Frauen von vorneherein in allen Fällen als ungeeignet ausschließen. Damit wird die erfolgreiche Arbeit der vielen Menschen im Bereich Inklusion unglaubwürdig gemacht.

Niemand verlangt, dass sich jeder mit Feminismus befasst. Niemand muss seine eigene Sprache ständig und überall geschlechtergerecht formulieren, wenn er das nicht will (ich tue das auch nicht immer). Jedoch sollen es die Menschen innerhalb der Piraten dürfen, die das gerne tun wollen. Wir haben innerhalb der Piratenpartei eine Vielzahl von Themen, an denen verschiedene Menschen mit viel Einsatz ehrenamtlich arbeiten. Soweit es nicht im Widerspruch zu unserem Programm, unserem Menschenbild steht, soll es doch bitte jedem Mensch erlaubt sein, sich da einzusetzen, wo er das möchte.

Ich bitte Euch daher inständig, diese beiden Positionspapiere abzulehnen.

Zum Weiterlesen im Thema empfehle ich Feminismus, Quote und eine Antwort auf einen Blogartikel von Rüdiger Sehls, Ursula Bub-Hielscher, Alexander Thomas und Birgit Rydlewski.

Busfahrt zur Freiheit statt Angst-Demo am 30.08. in Berlin

BerlinAm 30. August findet in Berlin wieder die alljährliche „Freiheit statt Angst“-Demonstration gegen Überwachungswahn und Sicherheitsparanoia statt.

Von NRW aus gibt es mehrere gesponserte Busfahrgelegenheiten.

Dieses Jahr hat sich das Bündnis #StopWatchingUs Köln bereiterklärt, einen Bus ab Köln zu organisieren:
http://cologne.stopwatchingus.info/fsa14.html
Vielen Dank dafür, daher muss ich dieses Jahr keinen Bus organisieren.

Mein Kollege Frank Herrmann sponsert Busfahrten von Düsseldorf und Bielefeld aus:
http://www.piratenfraktion-nrw.de/2014/07/fahr-mit-zur-freiheit-statt-angst-in-berlin/

Wer nicht in einer der genannten Städte ist, sollte bei den üblichen Fernbuslinien mal umschauen, möglicherweise eine Mitfahrzentrale nutzen, oder das Wiki des Bündnisses Freiheit statt Angst nach einer Mitfahrmöglichkeit durchsuchen.

Kommt zahlreich! Aufstehen statt Aussitzen – Freiheit statt Angst.

Stellungnahme zu antisemitischen Vorfällen im Zuge von „Antikriegsdemos“ in NRW

memorial-255507_640Im Zuge sogenannter „Anti-Kriegs-Demos“ ist es in unserem Land zu Hassausbrüchen und Todesdrohungen gegen Juden und Israel gekommen. In Essen ist gestern eine Demonstration gegen die „Bombardierung von Gaza“ derart aus dem Ruder gelaufen, dass Schutzmaßnahmen für die Synagoge der Stadt getroffen werden mussten, und eine zeitgleich stattfindende Pro-Israel-Demo Ziel eines wütenden Mobs war.

Im Zuge der Demonstration wurden antisemitische und Holocaust-leugnende Plakate gezeigt.

Auch in anderen Städten des Landes ist es zu solchen Hassausbrüchen gekommen. Juden in Düsseldorf erhielten Postkarten mit Drohungen und Beleidigungen.

Es ist entsetzlich, dass im Jahre 2014 wieder antisemitische Parolen in den Strassen Nordrhein-Westfalens gerufen werden können, dass Menschen jüdischem Glaubens verfolgt und bedroht werden, dass es Schutzmaßnahmen für jüdische Einrichtungen und Synagogen bedarf.

Es ist beschämend, dass diese Hassausbrüche ungehindert unter den Augen der Polizei stattfinden können, und dass die Polizei eine gleichzeitig stattfindende Pro-Israel-Demo nicht so schützen kann, dass diese friedlich zuende geführt werden kann.

Die aktuelle Auseinandersetzung im Nahen Osten darf nicht den Vorwand liefern, dass Antisemitismus in unserem Lande wieder salonfähig wird, und ungeahndet in unserem Land verbreitet werden darf. Es ist möglich, legitime Kritik am Krieg und an Israel zu äußern, ohne sich dabei rassistischer Formen zu bedienen, und ohne die Millionen Opfer der Shoa zu verhöhnen.

Wir haben eine besondere Verantwortung aus unserer Geschichte geerbt. Antisemitismus und Rassismus darf in unserem Land nie wieder eine Betätigungsform finden. Die Polizei muss in diesen Fällen umgehend eingreifen, und allen Formen von Hass- und Gewaltaufrufen gegen Juden entschieden entgegentreten.

Daniel Schwerd

Ein Jahr kaputtes Internet

Zum Jahrestag der NSA-Veröffentlichungen durch Edward Snowden.

car-accident-337764_640Man untertreibt mit Sicherheit nicht, wenn man festhält, dass das Internet seit dem 05. Juni 2013 nicht mehr dasselbe ist wie zuvor. Das Internet ist kaputt, und es sind westliche Geheimdienste, die es zerstört haben. Doch die schlimmsten Auswirkungen sind nicht technischer Natur, sondern die fatalen Folgen für unsere Wirtschaft, unsere Demokratie und unsere Freiheit.

An diesem Tag fanden die ersten Veröffentlichungen über den weltweiten Spionageangriff durch westliche Nachrichtendienste statt. Edward Snowdens Dokumente offenbarten einen ersten Blick auf die totalitäre Überwachung, die Geheimdienste der „Five Eyes“, allen voran der US-amerikanische Nachrichtendienst NSA sowie der britische GCHQ, im Internet errichtet haben.

Was vorher als Verfolgungswahn von leicht paranoiden Sicherheitsspezialisten verlacht wurde, hat sich als zutreffend, oder sogar als noch zu blauäugig erwiesen. Die Aluhüte hätten sehr viel größer sein dürfen.

Wir wissen heute, dass die Geheimdienste die Telefonate eines ganzen Landes speichern können, aus Glasfaserkabeln die gesamte Kommunikation mitlesen, unbegrenzten Zugriff auf private Google-, Facebook- und Microsoft-Konten haben. Wir wissen, dass sie Mobiltelefone in Wanzen verwandeln können, ohne sie berühren zu müssen – und sie selbst dann aktivieren können, wenn diese ausgeschaltet sind. Wir wissen, dass sie Privataccounts von Administratoren angreifen, um darüber die Netzwerke ihrer Arbeitgeber zu infiltrieren. Sie betreiben Wirtschaftsspionage zum Vorteil ihres eigenen Landes auf dem Boden ihrer angeblichen Freunde. Sie brechen in die Internetinfrastruktur weltweit ein und verwanzen diese. Sie hören Kommunikation aller Menschen auf der Welt ab, und speichern diese Informationen unbegrenzt. Auf Privatsphäre, auf schutzwürdige Daten wird nicht die geringste Rücksicht genommen.

Alles, was technisch möglich ist, wird auch gemacht. Schranken durch Moral oder Gesetz gelten nicht.

Wirtschaftsspionage per Formular

Wirtschaftsspionage ist eine Hauptaufgabe der Nachrichtendienste geworden. Nachweislich werden Unternehmen auch der befreundeten Länder angegriffen, um heimischer Industrie Wettbewerbsvorteile zu verschaffen. Die NSA betreibt eine Internetseite, auf der US-amerikanische Unternehmen ihre Spionagewünsche online eingeben können. In den Fokus gerät dabei Know-how gerade auch kleiner und mittelständischer Unternehmen.

Absurderweise sind es die besten Absolventen der US-amerikanischen Eliteuniversitäten, welche die NSA für exorbitante Gehälter einstellt – und die dann der Wirtschaft in den USA verloren gehen. Die dadurch fehlende Brain Power muss dann offenbar durch Wirtschaftsspionage wieder ausgeglichen werden.

Auch internationale Organisationen und Konferenzen, wie die Europäische Union, die Vereinten Nationen oder die Weltklimakonferenz sind zum Spionageziel geworden. Indem man Positionen, Planungen und Absichten von Verhandlungspartnern ausspäht, gewinnt man einen strategischen Vorsprung in Verhandlungen. Dabei geht es nur um eines: Um Macht.

Geheimdienste entziehen sich dabei jeder Kontrolle. Sie agieren im Verborgenen, belügen die Parlamente, die sie kontrollieren sollen. Es wird nur zugegeben, was sich nicht leugnen lässt. Lokale Gesetze, wonach die eigenen Staatsbürger nicht ausgespäht werden dürfen, werden umgangen, indem man diesen Auftrag durch einen befreundeten Auslandsgeheimdienst der „Five Eyes“ ausführen lässt, und die gewonnenen Daten austauscht.

Ein unwürdiges Theater in Deutschland

hut-172789_640Auch Deutschland macht auf seine Weise mit. Obwohl Deutschland als besonders interessantes Ziel für Überwachung durch die NSA markiert worden ist, funktioniert der Datenaustausch reibungslos. Man stellt den westlichen Geheimdiensten Daten zur Verfügung, man bekommt offenbar auch hin und wieder interessante Daten – und stellt keine Fragen. Von Spionageabwehr, also der Abwehr gegen diese grundrechtswidrigen Angriffe durch „befreundete“ Nachrichtendienste gibt es keine Spur.

Vielleicht mag eine noch stärkere Verstrickung deutscher Geheimdienste in diese Affäre einer der Gründe sein, warum die deutsche Politik sich gegen eine Aufklärung mit Händen und Füßen wehrt. Übergroß ist jedenfalls die Angst vor dem Verlust der „transatlantischen Freundschaft“ mit den USA. So groß, dass Bundesstaatsanwalt Range sich nicht traut, in größerem Rahmen Ermittlungen einzuleiten – ein „Staatswohl“ postulierend, welches wohl wichtiger zu sein scheint als Bürgerrechte, Demokratie und Grundgesetz. Oder muss man gar annehmen, dass die totale Überwachung aller Menschen auch von der deutschen Politik genau so wie sie stattfindet erwünscht und befördert wird?

Im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss wird derweil ein unwürdiges Theater aufgeführt: Seit Monaten ist unklar, ob man den Kronzeugen Edward Snowden überhaupt anhören will. Die Bundesregierung hat schon erklärt, ihre Informationen nur geschwärzt an den Ausschuss übergeben zu werden. Die Ausreden könnten kaum skurriler sein. Eine Aufklärung ist in diesem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss jedenfalls nicht zu erwarten.

Ungewisse Zukunft für Snowden

Überhaupt, Edward Snowden: Er sitzt seit einem Jahr in Russland fest – wahrlich kein Hort von Demokratie und Bürgerrechten. Sein Asyl läuft im Juli aus, seine Zukunft ist ungewiss. Nachdem mittlerweile die meisten Menschen der Ansicht sind, dass seine Leistung anerkennenswert ist, und dass er Schutz und sichere Zukunft verdient, ringt sich immer noch kein demokratisches Land dazu durch, ihn aufzunehmen. Eine Schande. Das Signal, welches dadurch an potentielle Whistleblower der Zukunft gesendet wird, ist fatal.

Edward Snowden – ein Mensch mit im Grunde konservativen Wertvorstellungen – konnte die täglichen Rechtsbrüche der Geheimdienste nicht hinnehmen, er verließ seine Heimat, seine Familie, eine langjährige Beziehung und einen gutdotierten Job, er begab sich unter Lebensgefahr in eine ungewisse Zukunft, um der Weltöffentlichkeit von diesem Skandal zu berichten. Er bewies damit Integrität, Aufrichtigkeit und Mut – landläufig nennt man jemanden, der große persönliche Last auf sich nimmt, um die Allgemeinheit zu schützen, einen Held. Leider jedoch sind das keine Merkmale, die wir von Politikern in unserem Land in dieser Angelegenheit erwarten dürfen.

Wo bleibt die Empörung?

auto-245447_640Warum fehlt jedoch der öffentliche Aufschrei angesichts eines täglichen, millionenfachen, fortgesetzten Grundrechtsbruchs? Wo sind die Massendemonstrationen, die öffentlichen Apelle? Wo schlägt sich die Besorgnis in Wählerstimmen nieder? Oder auch: Warum hört man von Piraten in der Angelegenheit nichts (obwohl diese seit einem Jahr ununterbrochen aus vollem Hals alarmieren)?

Offenbar ist das allgemeine Interesse doch nicht so hoch, wie es der Sache angemessen wäre. Das Thema scheint abstrakt, wird nicht ausreichend erklärt, und betrifft nach Meinung vieler wohl nur Menschen, die intensiv im Internet unterwegs sind. Es geht vermeintlich um „Internetkommunikation“, also im Internet fließende Daten, und im Grunde wusste man von der Überwachung auch vorher. Der Schutz vor Terrorismus oder dem Missbrauch von Kindern wird vorgeschoben. Man habe ja nichts zu verbergen. Mit der letzten Supermacht auf der Welt mag man es sich nicht verscherzen. Und gegen die Macht weltweit vernetzter Geheimdienste mit unbegrenzten technischen und finanziellen Mitteln könne man ohnehin nichts tun.

Doch ist das tatsächlich so? Beschränkt sich diese Überwachung einfach nur auf Internetkommunikation, auf Daten? Ist das ein Territorium unserer Welt, welches wir einfach „verloren geben“, und ansonsten weitermachen wie zuvor?

Das Internet wurde zerstört

Das Internet ist heute unsicherer als zuvor. Spezialabteilungen der NSA sammeln Sicherheitslücken in Hard- und Software und unterminieren Kryptografie allerorten. Anonymität wurde abgeschafft. Geheimdienste haben das Internet in ein Waffensystem verwandelt, um Menschen, Organisationen, Unternehmen und Staaten weltweit angreifen zu können. Und es sieht nicht so aus, als ob sie damit in absehbarer Zeit aufhören wollen. Die NSA ist wie ein Krebsgeschwür, das wuchert und den Wirt, das Internet, ständig weiter zerfrisst.

So wird das grundsätzliche Vertrauen in die Privatheit elektronischer Kommunikation fundamental zerstört. Und dabei handelt es sich nicht nur um Kommunikation zwischen Menschen, sondern auch Kommunikation über Menschen, die Unternehmen, Banken, Versicherungen oder Behörden untereinander austauschen.

Doch es ist eben nicht einfach nur Kommunikation, die bespitzelt wird. Es ist unser Leben, was damit ausgespäht wird. Es ist unser ganzes Leben, welches minuziös erfasst und gespeichert wird. Aus den Bewegungsdaten der Mobiltelefone ergibt sich ein Bild, wer wann wo war. Es ist erkennbar, wer mit wem spricht, also wer mit wem befreundet ist, wer Kollege, Vereinsmitglied, Liebhaber ist. Es ist erkennbar, welche Interessen jemand hat, welche Partei er wählt, welche Gesellschaftsauffassungen er vertritt. Man kennt seine Einkäufe. Natürlich auch, welche Krankheiten er hat, seine kompletten Finanzen, seine im Privaten ausgetauschten Fotos. Da ist das persönliche Tagebuch nur das Tüpfelchen auf dem I.

Es sind nicht „wir im Internet“, die überwacht werden. Es ist unser gesamtes, vollumfängliches Leben, das da überwacht und gespeichert wird. Wir alle, überall und zu jeder Zeit.

Das Ende der freien Meinungsäußerung

glass-101792_640Im Wissen, dass jede Meinungsäußerung im Internet mitgelesen und für immer gespeichert werden kann, setzt jetzt schon eine innere Zensur ein: Kann ich das so noch sagen? Wird mir diese Äußerung womöglich zum Nachteil ausgelegt werden? Muss ich mit Restriktionen bei zukünftigen Flugreisen rechnen, bei der Einreise in bestimmte Staaten? Mit Problemen im Beruf, im Ausland? Und wie verhält es sich, wenn diese Informationen anderen Menschen in die Hände fallen, etwa Kriminellen, Extremisten, oder einem totalitären Staat in der Zukunft?

Die Überwachung wird spürbar, wenn sie in Repression mündet. Bereits jetzt wurden Aktivisten an der Einreise in die USA gehindert, welche sich beispielsweise gegen die Spionagepraxis der NSA oder das geplante Freihandelsabkommen engagieren. Oder Menschen, die sich auf Facebook unpassend geäußert hatten. Und dies dürften erst die Anfänge sein. Die Auswahl der Drohnen-Ziele in Pakistan und anderen Ländern, also der durch Drohnen zu tötenden Menschen basiert letztlich auch auf durch die NSA gesammelten Daten, sowie dem von der NSA gefälltem Urteil über die Gefährlichkeit dieser Menschen.

Das Wissen darüber, dass es Anonymität und Privatsphäre im Netz nicht mehr gibt, sickert allmählich in das Bewusstsein aller Menschen. Dies führt zu selbstzensierten Meinungsäußerungen, einem verarmenden demokratischen Diskurs, und damit zu einer Gefahr für die Grundlage unserer Demokratie.

Regierungen von Bund und Ländern verletzen ihren Amtseid, wenn sie uns davor nicht schützen.