Warum es Netzsperren gar nicht gibt

Ich bin nicht besonders glücklich über den Begriff „Netzsperren“ – denn diese sogenannten Netzsperren sind gar nichts, jedenfalls keine Sperren. Genauso falsch finde ich daher den an sich sinnvollen Slogan „Löschen statt Sperren“ – zutreffender wäre „Löschen statt Wegsehen”.

Der Begriff „Netzsperren“ suggeriert, dass mit den im sogenannten „Zensursula“-Gesetz niedergelegten Maßnahmen tatsächlich im Internet etwas gesperrt würde, also der Zugriff auf kinderpornographisches Material blockiert werden würde.

Tatsächlich ist die Sperrwirkung dieser Sperren aber nicht größer als die von rot-weiß gestreiftem Flatterband, dem sogenannten Absperrband: Aufgehalten wird dadurch nur derjenige, der sich aufhalten lassen will. Wer sich nicht aufhalten lassen möchte, auf den hat es keinen Einfluss.

Die Sperren setzen nämlich nicht am Material selbst, oder am speichernden Server an, sondern lediglich an der Namensauflösung im Internet, also dem Verzeichnis, in dem Webserver zu Internetadressen zugeordnet werden. Das Gesetz fordert von allen deutschen Zugangsprovidern, das von ihnen betreute Verzeichnis dahingehend zu ändern, dass Adressen mit kinderpornografischen Inhalten auf die bekannte Stopp-Seite umleiten.

Und da liegt der Hase im Pfeffer: Niemand zwingt den Internetnutzer dazu, die Namensauflösung seines Zugangsproviders zu nutzen – vielmehr ist es bereits durch eine simple Einstellung mit Bordmitteln bei Windows möglich, ein anderes Verzeichnis zu nutzen, etwa das eines ausländischen Dienstes. Zur Umgehung der Sperre ist also nicht einmal kriminelle Energie, oder eine Form von Expertenwissen erforderlich – mehr noch, es gibt keine Möglichkeit, das Umgehen zu verhindern. Und damit kann man also mit hundertprozentiger Sicherheit davon ausgehen, dass alle Kriminellen, die sich kinderpornografisches Material ansehen wollen, diese Änderung vornehmen werden.

Gegen wen wird also diese sogenannte Sperre wirksam? Wer wird auf diese Art gehindert, die abscheulichen Bilder und Videos zu sehen? Alleine diejenigen, die ohnehin nicht vorhatten, solches Material anzusehen. Damit sind diese Sperren und das damit verbundene Gesetz bestenfalls nutzlos.

Darüber hinaus offenbart sich darin die besondere Verlogenheit der Debatte: Das Gesetz unterstützt nämlich nur das Wegsehen. Das Gesetz schützt weder die Opfer, noch unternimmt es irgendeinen Schritt gegen die Täter. Es sorgt dafür, dass die Nicht-Kriminellen mit dem ekelhaften Material nicht belästigt werden können, und sonst gar nichts. Man könnte das ungefähr mit der Situation vergleichen, dass Polizei zum Tatort einer Vergewaltigung gerufen wird – die dann anrückt und Stellwände rund um Täter und Opfer aufstellt, auf das zufällig vorbeikommende Passanten nicht mit dem gewalttätigen Anblick belästigt werden.

Oder würden Sie eine Nachrichtensperre in Deutschland über Berichte zu Menschenrechtsverletzungen in China für eine wirksame Maßnahme halten, den dortigen Dissidenten zu helfen?

Mehr noch, meiner Meinung nach hat das Gesetz sogar eine gegenteilige Wirkung: Es nimmt nämlich den Fahndungsdruck von Tätern und Konsumenten. Wenn der Polizei eine Maßnahme in die Hand gegeben wird, Webseiten auf eine sogenannte Sperrliste zu setzen, könnten ihre Bemühungen vermindert sein, die Täter zu fassen und das Material wirklich aus dem Internet zu entfernen – denn mit dem Eintrag in die Sperrliste hat man scheinbar alles Mögliche unternommen, und dem Gesetz Genüge getan. Tatsächlich aber bleibt alles erreichbar und sichtbar wir bisher, und die Kriminellen machen – geschützt durch den Zensursula-Vorhang – fröhlich weiter mit ihrem Tun, unbeachtet von Öffentlichkeit und Medien.

Mich macht der Gedanke krank! Wie kann man nur meinen, mit einem Deckmäntelchen sei das Problem aus der Welt zu schaffen? Die Vergewaltigung von Kindern ist sicher in allen Ländern mit Internetanschluss illegal. Polizei und Justiz müssen intensiv und auf internationaler Ebene miteinander arbeiten, damit die Produzenten und Konsumenten geschnappt werden, und das ekelerregende Material von den Servern gelöscht wird – nur so werden die Kinder geschützt. Hierzu gibt es Ansatzmöglichkeiten über Provider und Registrare, die genutzt werden könnten.

Fatal finde ich, dass wir als Piratenpartei immer wieder mit Kinderschändern in einen Topf geworfen werden, obwohl Sie bei der Piratenpartei vermutlich die einzige Kompetenz finden werden, Kinderpornographie im Internet wirklich und wirksam zu bekämpfen, und offenbar auch den einzigen Willen, das wirklich zu tun.

Wenn man das alles ins Kalkül zieht, drängt sich die Frage auf, warum das Gesetz dennoch – gegen den Rat eines jeden Experten – ursprünglich beschlossen wurde, und zwar mit Zustimmung aller großen Parteien (auch wenn es jetzt keiner mehr gewesen sein will). Dazu sind folgende Gründe denkbar: Womöglich waren die Politiker zu einfältig, das Problem zu verstehen – das würde ein Schlaglicht auf die Kompetenz der dafür verantwortlichen Spitzenpolitiker werfen.

Oder sie haben es sehr wohl verstanden, das Gesetz aber dennoch beschlossen – und das finde ich die weitaus unangenehmere Variante, wenn man nach den Gründen fragt, die dann in Lobbyismus, Parteiendünkel und Zensurbestrebungen liegen müssen. Aber damit möchte ich mich in einem anderen Blogpost beschäftigen.

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