Untersuchungsausschuss zur Kölner Silvesternacht 2015 – Video und Redetext

Kranhäuser

Anlässlich der Ereignisse in der Silvesternacht am Kölner Hauptbahnhof haben die Fraktionen von CDU, SPD, Grünen und FDP gemeinsam einen Untersuchungsausschuss beantragt. Dieser Antrag wurde in der Plenardebatte vom 27.01.2016 behandelt. Ich hätte an diesem Antrag gerne einige Erweiterungen vorgenommen, jedoch haben die vier Fraktionen auf meine diesbezügliche Anfrage nicht mehr reagiert. Daher habe ich selbst einen Änderungsantrag zu dieser Einsetzung eingereicht. Den zugehörigen Änderungsantrag findet man hier: Drucksache 16/10884.

Ich wollte nämlich einen Schwerpunkt auf die Opferperspektive setzen: Stehen genug Hilfsangebote bereit? Sind sie schnell genug verfügbar? Sind sie ausreichend finanziert? Was kann man bei der Versorgung von Opfern, bei Anzeigenaufnahme etc. noch verbesser? Und was kann man gegen sexualisierte Gewalt noch tun?

Meine Rede kann man hier nachsehen:


Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren auf der Tribüne und an den Bildschirmen! An der politischen Verantwortung für dieses Desaster, für dieses vollkommene Staatsversagen in der Silvesternacht ändert auch ein Untersuchungsausschuss nichts. Die politische Verantwortung dafür tragen die obersten Dienstherren der Polizei: die Innenminister von Land und Bund, Jäger und de Maizière. Da beißt die Maus keinen Faden ab.

Dennoch ist dieser Untersuchungsausschuss dringend nötig. Aufklärung dieses ungeheuerlichen Vorgangs tut bitter not. Wir müssen erfahren, warum zu wenig Beamte vor Ort waren, warum sie so hilflos waren, warum keine Verstärkung kam. Wir müssen wissen, warum die Kommunikation während des Einsatzes und danach so katastrophal war, und wir müssen daraus die entsprechenden Lehren zur Verstärkung der Polizei und zur Verbesserung von Planung und Organisation ziehen.

Die einfache Lösung in Form von mehr Überwachung hat sich jedenfalls als unwirksam erwiesen. Mehr davon nützt eben nicht mehr.

Doch all das hilft den Opfern der Silvesternacht herzlich wenig, und das kommt mir in der öffentlichen Debatte deutlich zu kurz. Man konzentriert sich auf die mutmaßliche Herkunft der Täter. Das wird dann für miese Stimmungsmache gegen geflüchtete Menschen verwendet. Die Opfer sind diesen Scharfmachern doch total egal. Die Opfer müssen den Eindruck bekommen, niemand interessiere sich für sie.

Auch im Antrag auf den Untersuchungsausschuss kommt mir die Perspektive der Opfer ganz deutlich zu kurz. Dabei sollte das ein Hauptaugenmerk unserer Bemühungen sein.

(Beifall von den PIRATEN)

Wie kann man Opfern der sexualisierten Gewalt effektiv helfen? Was müssen wir für die Verbesserung ihrer Situation veranlassen? Haben wir genug Angebote dafür? Sind sie schnell genug verfügbar? Werden Betroffene ernst genug genommen? Was können wir weiter tun, um sexualisierte Gewalt zu verhindern? Wie kann man die öffentliche Aufklärung und die öffentliche Debatte befördern? Was für Strafbarkeitslücken haben sich offenbart?

Ein ganz krasses Beispiel ist der Verlauf der Anzeigenaufnahme in der Polizeiinspektion 1. Um 23:30 Uhr standen etwa 30 bis 50 Personen, die Anzeige erstatten wollten, gerade einmal zwei Beamte zur Anzeigenaufnahme gegenüber. Wie lange hätten die Opfer denn warten sollen, bis sich jemand um sie kümmert? Kein Wunder, dass man sich da im Stich gelassen fühlt.

Daher habe ich hier einen Änderungsantrag zu diesem Einsetzungsantrag vorgelegt, der neben einer Reihe von ungeklärten Detailfragen des Einsatzes vor allen Dingen einen Schwerpunkt auf die Perspektive der Betroffenen legt. Es ist schade, dass ein gemeinsamer Antrag mit den vier Fraktionen von den vier Fraktionen nicht gewünscht worden war. Wenigstens auf meine Bitte hätten Sie antworten können. Das wäre fairer Umgang gewesen. – Aber das ist kein guter Stil von Ihnen.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Guter Stil! Das sagt gerade Daniel Schwerd!)

Ich denke, wir müssen unsere Untersuchungskapazität sinnvollerweise auch dafür verwenden, wie man Opfern sexualisierter Gewalt wirklich helfen kann, wie man sexualisierte Gewalt im Vorfeld eindämmt und nicht für Wahlkampfgetöse nutzt. Daran würde ich gerne mitarbeiten, und dafür bitte ich um Ihre Unterstützung. – Herzlichen Dank.


Was Kollege Mostofizadeh mit seinem Zwischenruf gemeint hat, ist mir unklar. Auf meine spätere Frage an ihn, worin ich keinen guten Stil gezeigt habe, hat er nicht reagiert. Er antwortete weder auf eine entsprechende Mail noch kam er meinem Wunsch nach einem Gespräch entgegen. Aber das sagt auch einiges über guten Stil aus.

Sondersitzung des Landtags zu Übergriffen am Kölner Bahnhof in der Silvesternacht – Video und Redetext

BahnhofKoeln

Anlässlich der Ereignisse am Kölner Hauptbahnhof in der Silvesternacht, wo hunderte Frauen beraubt und sexuell belästigt worden sind, hat der Landtag am 14. Januar eine Sondersitzung veranstaltet. Zuerst hat die Landesregierung informiert, anschließend gab es eine Aussprache. Meinen Redebeitrag kann man hier nachsehen:


Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Zuschauerinnen und Zuschauer im Saal und an den Bildschirmen!

Die Ereignisse der Silvesternacht und des Neujahrsmorgens am Kölner Hauptbahnhof haben uns alle entsetzt. Massenhaft waren Frauen sexualisierter Gewalt ausgesetzt, wurden begrapscht, beraubt und bestohlen.

Wir sind uns alle in dem Abscheu über diese Taten und in dem Wunsch einig, dass all das restlos aufgeklärt werden und den Opfern alle erdenkliche Hilfe zukommen muss.

Unzulässig ist allerdings die Vermischung der Ereignisse mit der Frage, wie wir in Zukunft mit geflüchteten Menschen umgehen wollen.

Natürlich gibt es unter Geflüchteten auch Kriminelle. Alles andere wäre realitätsfremd. Sind damit aber auch alle anderen nach Deutschland geflohenen Menschen Täter? Asylrecht ist ein Menschenrecht und kein Gastrecht. Das kann man nicht entziehen.

Unzulässig ist auch der Ruf nach härteren Strafen. Das, was da am Kölner Hauptbahnhof passiert ist, ist bereits jetzt strafbar. Doch gibt es zum Beispiel im Bereich „sexuelle Belästigung in der Öffentlichkeit“ noch Schutzlücken. Das sollte dann aber bitte unabhängig von der Nationalität der Täter geregelt werden; das soll dann bitte auch in der U-Bahn, im Karneval und beim Oktoberfest gelten. Nein heißt nein – ausnahmslos.

Unzulässig hingegen ist der Ruf nach harter Antwort des Rechtsstaats. Sollen Muslime jetzt härter bestraft werden? Das ist Quatsch. Der Rechtsstaat soll nicht hart sein, er soll konsequent sein. Die Strafe soll der Tat und den Tatumständen angemessen sein, dann aber bitte für alle Täter gleichermaßen. Das Asylrecht zum Beispiel ist gerade erst zum 1. Januar 2016 verschärft worden.

Überhaupt ist dieser ganze Diskurs meiner Meinung nach unzulässig; denn er soll vom eigentlichen Problem ablenken: dem totalen Staatsversagen in dieser Nacht. Der eigentliche Skandal ist, dass diese Taten unter den Augen der Polizisten geschahen – stundenlang.

Lassen Sie mich das klarstellen: Ich bin davon überzeugt, dass die Beamten vor Ort absolut alles getan haben, was in ihrer Macht lag. Das ändert aber nichts daran, dass es offensichtlich viel zu wenige waren. Das ändert nichts daran, dass sie unzureichend ausgerüstet waren, dass die Kommunikation nicht funktionierte. Das ist nicht die Schuld der einzelnen Beamten.

Wenn an Polizeibeamten, an deren Ausrüstung und Organisation, gespart wird, dann werden wir es irgendwann erleben, dass sie ihre Aufgaben nicht mehr erfüllen können. Und wenn so etwas bereits in einer alkoholgeschwängerten Silvesternacht passiert, wie wäre es dann erst bei einer Umweltkatastrophe oder bei einem Anschlag?

Stattdessen setzt man auf esoterische Überwachungstechnik. Sagen Sie mir: Wie sollen mehr Kameras, wie sollen neue Strafen die Frauen schützen? Das ist doch Verhöhnung der Opfer! Das ist eine Illusion von Sicherheit. Natürlich muss man Täter fangen und überführen. Das ist eine ganz klassische Aufgabe der Polizei. Aber wenn bereits der Schutz zu kurz kommt, hilft das auch nichts mehr.

Die Verantwortung dafür liegt bei der Polizeiführung. Es ist ein starkes Stück, dass der Herr Minister jetzt so tut, als sei er nicht Teil dieser Polizeiführung, dass er die Verantwortung an eine untergeordnete Behörde abschiebt. Dabei ist er deren Dienstherr und damit in vollem Umfang dafür verantwortlich. Wer denn sonst?

(Beifall von Michele Marsching [PIRATEN])

Ein gleiches Versagen trifft übrigens auch die Führung der Bundespolizei, die für den Bereich des Bahnhofs zuständig ist. Auch hier waren viel zu wenige Beamte vor Ort. Auch hier war die Situation vollkommen außer Kontrolle. Auch hier sitzt der dafür Verantwortliche auf einer Regierungsbank, nämlich in Berlin: Bundesinnenminister de Maizière.

Wollen wir No-go-Areas in unserem Land? Wollen wir in unseren Straßen weitere Treibjagden auf Ausländer unter den Augen der Polizei? Vergessen wir nicht die erste HoGeSa-Demo: Betrunkene Hooligans und Nazis randalieren stundenlang in der Stadt. Auch hier war die Kölner Polizei überfordert.

Verehrter Herr Minister Jäger, vielleicht erinnern Sie sich an den Satz, den Sie hier damals sagten: „Mit dieser massiven Gewalt haben die Sicherheitsbehörden und hat auch das Polizeipräsidium Köln nicht gerechnet.“ – Das war 2014. Wird das jetzt zur Standardausrede?

Die Bürger dieses Landes haben ein Recht darauf, dass der Staat sie vor Gewalt beschützt. Wenn man sich darauf nicht verlassen kann, dann hat der Staat versagt. So ein Versagen muss Konsequenzen haben, und zwar keine Bauernopfer.

Der Innenminister des Landes NRW und der Innenminister des Bundes müssen gehen. Herr Jäger, Herr de Maizière, packen Sie Ihre Sachen! Und wir brauchen hier einen Untersuchungsausschuss.

Vielen herzlichen Dank.