5 Jahre Landtag NRW: Eine persönliche Bilanz

Nach 5 Jahren, so kurz vor der nächsten Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen ist es Zeit, eine (ganz subjektiv-unvollständige) Bilanz meiner Arbeit im Landtag aufzustellen.

478 parlamentarische Dokumente gehen – ganz oder teilweise – auf mich zurück:

Insgesamt 213 der 478 Dokumente stammen aus der Zeit nach dem 23.10.2015, in der ich keiner Fraktion angehört habe, davon 196 Kleine Anfragen, 11 Anträge (einer davon gemeinsam mit allen Fraktionen), 3 Änderungs- und 3 Entschließungsanträge.
(Stand: 30.04.2017)

Erwartungsgemäß sind fast alle Anträge abgelehnt worden, an denen die Regierungsfraktionen nicht beteiligt waren. In wenigen Fällen sind kleine Teile angenommen worden, oder es wurden nach Änderungsanträgen der Regierungsfraktionen Anträge beschlossen.

Ich konnte einige der Anträge ganz oder in Teilen an anderer Stelle wiederfinden. So kann man beispielsweise meinen Antrag „Sicheren Aufenthalt für Edward Snowden in Deutschland“ vom 19.11.2013 nahezu wörtlich im Antrag „Ein Jahr NSA-Skandal: Aufenthalt in Deutschland für Edward Snowden ermöglichen“ der SPD und Bündnis 90/Die Grünen in der Bremischen Bürgerschaft vom 29.07.2014 wiederfinden – während mein Antrag in NRW von SPD und Bündnis 90/Die Grünen zuvor noch abgelehnt worden war. Die Umstände der Debatte und die Tage davor waren geradezu dramatisch.

Dass steter Tropfen den Stein höhlt, zeigte das Bemühen um den Breitbandausbau. Ich forderte mehrfach, das Netz mit Glasfasertechnologie auszubauen, da die weitere Investition in Kupferkoaxialkabel meiner Meinung nach eine technologische Sackgasse ist. Nachdem es von Seiten der Landesregierung lange Zeit eine „technologieneutrale“ Förderung geben sollte, änderte sich die Sprachregelung gegen Ende der Legislaturperiode in ein eindeutigeres Bekenntnis zu der zukunftssichereren Technologie. Ich kann mir gut vorstellen, dass auch die Forderung nach Bündelung der Internetkompetenz in ein Ministerium in der kommenden Legislaturperiode Wirklichkeit werden könnte. Seitens der Opposition aus CDU und FDP wurden die diversen von mir gestellten Forderungen zum Breitbandausbau schnell übernommen. Das im Laufe der Legislaturperiode entstandene Interesse der Landesregierung an Freifunk und Netzneutralität hat sicher auch mit den fortgesetzten Anträgen zu diesem Thema zu tun.

Stolz bin ich auf den Antrag „Operation Last Chance“ – Die letzten lebenden NS-Täter müssen ihrer strafrechtlichen Verfolgung zugeführt werden. Dieser Antrag von mir wurde als gemeinsamer Antrag aller Fraktionen am 30.04.2015 angenommen. Für mich persönlich war das einer der bewegendsten Momente der Legislaturperiode. Als Folge dieses Antrages berichtete die Landesregierung von 12 aktuellen Verfahren wegen nationalsozialistischer Massenverbrechen.

Die Kleinen Anfragen haben manchmal Überraschendes ergeben, waren bisweilen vielsagend nichtssagend, und oft warfen sie neue Fragen auf. Ich erfuhr beispielsweise, dass die Polizei immer noch nicht weiß, ob der Mord an einem türkischen Familienvater in Schloss Holte-Stukenbrock ein frühes NSU-Attentat gewesen sein könnte, dass das Innenministerium nicht dementieren mag, ob der Attentäter, der die Kölner Bürgermeisterkandidatin Henriette Reker im Wahlkampf mit einem Messer angriff, ein V-Mann des Verfassungsschutzes gewesen war, und dass die Akten von Opfern des schwulenfeindlichen ehemaligen Strafrechtsparagrafen 175 vernichtet worden sind, obwohl die Pläne zur Entschädigung bereits bekannt waren. Eine kleine Anfrage zu einer umstrittenen Millionen-Gage für den Entertainer Thomas Gottschalk führte zu einer Änderung im WDR-Gesetz.

Man kann als Oppositionspolitiker, zumal als Angehöriger der kleinsten Oppositionsfraktion oder gar als Fraktionsloser keine Wunder vollbringen. Es ist nicht zu erwarten, dass man entscheidende Gesetze oder umwälzende Anträge einbringen und beschließen lassen kann. Dennoch bin ich zufrieden: An zahlreichen Stellen sind kleine Änderungen entstanden oder es wurde ein langsames Umdenken erkennbar, und ich darf sagen, daran unmittelbar mitgewirkt zu haben. Ich glaube, dabei bin ich erfolgreicher gewesen, als man das für einen einzelnen Abgeordneten hätte erwarten können. Darauf bin ich stolz, und ich bin dankbar, die Chance dazu gehabt zu haben.

Und wenn es so klappt, wie die aktuellen Umfragen es derzeit sagen, werde ich ab dem 14. Mai einen neuen Auftrag erhalten, diese Ziele zusammen mit einer neuen Fraktion von DIE LINKE im Landtag Nordrhein-Westfalens weiter zu verfolgen. Geht bitte wählen, ich würde mich freuen, wenn Ihr mir und uns diese Chance ermöglicht. Es braucht eine starke LINKE im Landtag!

WDR Kandidatencheck

Der WDR hat für die kommende Landtagswahl sämtliche Kandidaten befragt – und zwar nicht nur die Listenkandidaten, sondern auch alle Direktkandidaten aller Wahlkreise. Alle Kandidaten erhielten die gleichen Fragen in der gleichen Reihenfolge, und insgesamt 4 Minuten Zeit. Keine Schnitte, kein zweiter Versuch, nach 4 Minuten wurde die Aufnahme – notfalls mittem im Wort – abgeschnitten. Bis auf die Kandidaten der AfD haben sich alle Parteien beteiligt. Ein interessantes Format, und eine Herausforderung, denn die Zeit verfliegt und man muss sich kurzfassen.

Meine Antworten findet man hier.

„Wen wählen?“-Interview

„Wie geht reale Politik im Landtag? Ex-Pirat und Linken-Politiker Daniel Schwerd im Gespräch.“ So hat Alvar Freude sein Interview betitelt, das er am 11.04.2017 mit mir über Internetstream für sein Projekt „Wen wählen?“ geführt hat. Das Video wurde live gestreamt und aufgezeichnet. Mir hat es Spaß gemacht, ich danke Alvar Freude für sein Interesse und seine Fragen. Viel Spaß beim Anschauen!

Gefährlich und am Ziel vorbei: Das neue Hate-Speech-Gesetz

Das Bundeskabinett hat heute das sogenannte „Gesetz zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken“ (kurz Netzwerkdurchsetzungsgesetz oder NetzDG) auf den Weg gebracht. Soziale Medien wie Facebook, Twitter und Co. sollen gezwungen werden, rechtswidrige Postings zu unterbinden. Das eigentlich ehrenwerte Ziel, Hasspostings und Fake News zu verhindern, wird damit aber nicht erreicht – dahingegen privatisiert man Rechtsdurchsetzung bei einer Vielzahl von Delikten im Internet und etabliert eine mehr als fragwürdige Zensurinfrastruktur, die sehr bald Begehrlichkeiten wecken wird.

Social Media-Anbieter mit mehr als 2 Mio. Kunden sollen nach erfolgtem Hinweis Postings löschen, wenn sie „offensichtlich“ gegen eine in einem Katalog aufgelistete Gesetzesnorm verstößt – darunter auch die „Verunglimpfung des Bundespräsidenten“ oder „Aufforderung zu Straftaten“. Anschließend sollen die Unternehmen von sich aus verhindern, dass diese Postings erneut erscheinen. Reagieren sie nicht, können Bußgelder verhängt werden.

Fake News, Hasspostings, Cybermobbing, all diese Begriffe werden in der Debatte derzeit wild durcheinandergeworfen. Die Gefahr dieser Phänomene sollte man beileibe nicht herunterspielen: Der junge syrische Geflüchtete Anas Modamani zum Beispiel wurde mit Hass überzogen, nachdem ein Selfie von ihm mit Kanzlerin Merkel für die Behauptung missbraucht wurde, er sei ein Terrorist. Letztlich können Fake News, kann Cybermobbing Existenzen vernichten, Gesundheit und Leben gefährden.

So wild die Begriffe durcheinandergeworfen werden, so schwierig ist es aber auch, sie klar abzugrenzen. Je nach Definition würde auch schnell mal Satire oder Ironie als „Fake News“ eingestuft. Man denke nur an die Nachrichten des „Postillon“, die immer wieder von zahlreichen Lesern ernst genommen werden.

Wir müssen bei jeder Maßnahme überlegen, ob sie den vorgesehenen Zweck überhaupt erreicht, und welche schädlichen Nebenwirkungen sie hat. Und bei diesem Gesetz würde ich Nutzen klar verneinen.

Beleidigung, Verleumdung, falsche Tatsachenbehauptung, Mobbing und Stalking – all das ist bereits jetzt schon verboten. Im Internet wie außerhalb. Rechtliche Handhabe gibt es also bereits. Das hält jetzt schon niemanden davon ab, solche Postings zu veröffentlichen – daran wird auch ein neues Gesetz nichts ändern. Die Täter agieren ja in der Regel aus der vermeintlichen Anonymität heraus.

So richtet sich dieses Gesetz nur gegen erkennbar illegale Postings – Hassbotschaften und Fake News“ sind aber meist nicht klar illegal, sondern bewegen sich allenfalls im Randbereich, werden also von dem neuen Gesetz gar nicht umfasst.

Die angedrohten Bußgelder werden Social Media-Anbieter dazu bewegen, lieber einmal mehr als einmal zu wenig zu löschen – und damit Gesetze sicherheitshalber besonders weit auszulegen. Nicht jede „offensichtlich“ illegale Aussage ist vorsätzlich und wird tatsächlich geahndet. Und um die Wiedereinstellung einmal gelöschter Nachrichten zu verhindern werden die Unternehmen automatische Filter installieren, mit allen bekannten Nachteilen von Fehlfilterung und Overblocking. Eine staatliche oder privatwirtschaftliche Vorabkontrolle von Nachrichten jedenfalls birgt die unmittelbare Gefahr der Zensur. Diesen spiegelglatten Weg sollten wir nicht gehen.

Effektiver wäre vielmehr, wenn Polizei und Justiz bei der Rechtsdurchsetzung gut ausgerüstet sind und zügig arbeiten, wenn von Hass im Internet Betroffene ernst genommen werden und unsere Solidarität erfahren. Und es ist wichtig, dass die Betreiber der sozialen Medien mitwirken, und sich nicht hinter irgendwelchen Firmenstandards verschanzen. Es ist nicht falsch, wenn jedes Unternehmen eine standardisierte Möglichkeit anbieten müsste, wie Betroffene falsche Nachrichten oder Hass melden können, und es anschließend über die weitere Bearbeitung transparent informieren muss.

Vor allen Dingen aber muss Medienkompetenz vermittelt werden. Damit ist nicht nur technische Kompetenz gemeint, sondern gerade auch Medienkritik, also eben der kritische Umgang mit Medien und Inhalten. Das kommt derzeit viel zu kurz.

All das wäre wirksamer als irgendwelche neuen Gesetze, und könnte sofort umgesetzt werden. Regulierung nach dem Motto „Weil nicht sein kann, was nicht sein darf“ ist auf jeden Fall der falsche Weg.


Dieser Artikel erschien auch am 12.04.2017 im Neues Deutschland.