Das Demokratieverständnis des Volker Beck

Volker Beck, Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der Grünen, wirft der Partei Die Linke und der Piratenpartei Verrat vor. Seiner Meinung nach sind sie dafür verantwortlich, dass es keine klare Mehrheit für eine Koalition aus SPD und Grünen im Landtag von Nordrhein-Westfalen gibt, was zu einer Neuauflage der Regierung Rüttgers führen kann. Dazu sagt er wörtlich: “Wer hat uns verraten? Die Piraten! Wer war mit dabei? Die Linkspartei!”

Herr Beck, wie wir in der Twitteria sagen: #Fail! Was für ein Demokratieverständnis offenbaren Sie denn damit? Ist es dem Wähler vorzuwerfen, wenn er eine demokratisch legitimierte Partei wählt, der Sie nicht angehören? Besteht ein Verrat darin, dass man Überzeugungen hat, und zu seiner Meinung stehen will? Ist es etwa hinterhältig, wenn man Ideale hat, an die Demokratie und die Bürgerrechte glaubt und sich für Sie einsetzt? Welcher Verrat besteht darin, sich nicht verbiegen zu wollen, und auf eine taktische Wahlentscheidung zu verzichten, sondern zu der Partei zu stehen, die am besten zu den eigenen Wertvorstellungen, Idealen und Zielen passt?

Herr Beck, so funktioniert Demokratie. Die Bürger werden zur Wahlurne gerufen und stimmen über die Zusammensetzung des Parlamentes ab. Ihnen passt das zustande gekommene Ergebnis nicht – meinen Sie, dann wären Sie dazu berechtigt, den Wähler zu beschimpfen, und die durch ihn gewählten Parteien als Verräter zu bezeichnen? Sie können das Ergebnis mögen oder nicht, aber es ist nicht an Ihnen, den Wähler dafür zu kritisieren.

Ihre Äußerungen erinnern mich an die Regierung der DDR, die 1953 nach den Volksaufständen das Volk kritisierte und ihm vorwarf, das Vertrauen der Regierung enttäuscht zu haben. Es offenbart eine grundsätzlich falsche Einstellung zum Verhältnis zwischen Politik und Volk: Politiker haben dem Volk zu dienen, und nicht umgekehrt. Wenn das nicht in Ihrem Sinne ist, schlage ich vor, Sie entziehen dem Volk Ihr Vertrauen und wählen sich ein neues.

Ihre Denke ist es doch, die zur extremen Politik- und Parteienverdrossenheit in der Bevölkerung geführt hat. Eine Politik, die nicht für Inhalte steht, sondern die aus taktischen Entscheidungen besteht kotzt die Bürger an. Man will keine Politik der Interessenvertreter und Lobbyisten, keine Entscheidung des geringsten Übels auf dem Wahlzettel, und keine Austauschbarkeit der Inhalte, wie es gerade in die politische Landschaft passt. Der von Ihnen angesprochenen Punkt, die Wahlentscheidung anhand der daraus möglicherweise resultierenden Machtverhältnisse ausrichten zu sollen, stellt die Bedeutung einer Wahl auf den Kopf. Wer nur die Auswahl aus mehreren Übeln hat, entscheidet sich schnell und leicht: Für keines davon.

In Ihrem Blogpost lese ich: “Die verschenkten 119.581 Stimmen für die Piratenpartei und zusätzlichen 434.846 Stimmen für die Linke wollten, das unterstelle ich ihnen nun einfach, lieber Rot-Grün als Rüttgers oder große Koalition. Sie haben es aber mit ihrem Votum vermasselt.”

Seit wann sind Stimmen an demokratische Parteien verschenkt? Nur weil Sie nicht Ihrer eigenen Partei gegolten haben? Sie richten Ihre Vorwürfe jedenfalls an die Falschen. Sollte der Vorwurf nicht eher an die Nichtwähler gehen? Mit ihrer Passivität ermöglichen Sie es einer effektiven Minderheit, Politik zu machen, und fatale Entscheidungen zu Lasten der Allgemeinheit zu treffen. Gerade die Engagierten, die Aktiven anzugreifen ist jedenfalls fehl am Platze. Ich weiß aus vielen Gesprächen im Wahlkampf und dem Internet, dass ohnehin viele Wähler genau Ihren taktischen Erwägungen erlegen sind, und die Grünen gewählt haben, zu Lasten der anderen, der kleineren Parteien. Sich jetzt zu beschweren, dass das nicht noch mehr Wähler gemacht haben, ist billig – bei einer Neuwahl werden, so bin ich sicher, die Grünen nicht mehr so viele Zweitstimmen der kleinen Parteien abfischen können wie am 9. Mai.

Darüber hinaus ist der Vorwurf, die Stimmen an Piraten oder Linken hätten eine Neuauflage einer Rüttgers-Regierung wahrscheinlicher gemacht, sogar sachlich falsch. Wer eine neue Regierung Rüttgers verhindern wollte, der konnte auch nicht wirklich die Grünen wählen, denn die Grünen haben sich nicht ausdrücklich gegen eine Koalition mit der CDU ausgesprochen. Ihr Spitzenkandidat Cem Özdemir und Jürgen Rüttgers haben einen auffälligen Schmusekurs vor der Wahl gefahren, und ich bin sicher, dass es zu einer Koaltion gekommen wäre, hätten CDU und Grüne eine gemeinsame parlamentarische Mehrheit erhalten. Es gibt bereits Koalitionen aus Grünen und CDU auf Landesebene, die als Vorbild hätten dienen können. Wollen Sie etwa sagen, das die Grünen sich gegen eine neue Regierung Rüttgers ausgesprochen hätten, wenn sie eine Koalition mit der CDU hätten eingehen können?

Übrigens, auch eine Stimme an die SPD hätte nicht automatisch eine gegen die CDU bedeutet, denn eine große Koalition war und ist immer möglich, schließlich hatten wir sie vor gar nicht allzu langer Zeit schon auf Bundesebene, und auch in einigen Landesparlamenten gibt es “große” Koalitionen.

Nein, wer tatsächlich gegen einen neuen Ministerpräsident Rüttgers mit CDU-Ministern in entscheidenden Positionen gewesen ist, dem blieb de facto nichts anderes übrig, als z.B. die Linke zu wählen, und eben die Piratenpartei, denn mit diesen beiden Parteien hätte es eine Koalition dieser Art und diesen Themen nicht gegeben.

Nachtreten ist unsportlich. Sich an den Kleineren vergreifen ist unfair. Die Fehler stets bei den Anderen suchen ist unsensibel.

Herr Beck, eine Entschuldigung ist fällig. An die Wähler, dessen Votum für demokratische Parteien Sie nicht zu kritisieren haben. Und an die Parteien, die das Gegenteil von Verrat begangen haben, sondern ihre Versprechen gegenüber den Wählern halten und zu ihren Zielen und Überzeugungen stehen.

Update 19. Mai 00:10: Nun soll es Ironie gewesen sein, zumindest der Verrats-Vorwurf – Volker Beck hat seinen ursprünglichen Post editiert, und einen Ironie-Tag um das Verrats-Zitat angefügt. Herr Beck, sehr glaubhaft ist das nicht, denn den Vorwurf haben Sie zunächst mehrfach wiederholt, Sie reagierten erst nach dem Ihnen entgegengeschlagenen massiven Gegenwind. Inhaltlich sind Sie nicht auf die Entgegnung eingegangen. Schade.

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