Neue Video-Podcasts zu Störerhaftung und BND-Spionageaffäre

Hallo liebe Blogleser_innen,

ich möchte zukünftig zu wichtigen Themen Video-Podcasts erstellen, damit Ihr einen schnellen Überblick über meine Arbeit erhaltet. Anbei die ersten beiden Podcasts.

Über die Störerhaftung und geplante Änderungen des Telemediengesetzes:

Zur BND-Spionageaffäre und unsere Reaktion darauf:

BND-Spionageskandal: Auch Unternehmen bei und aus Köln betroffen!

CDv1_GkW8AAP4mAIn Anlehnung an die heute abgehaltene aktuelle Stunde habe ich eine Pressemitteilung verfasst, die ich den Pressevertretern in Köln und Umgebung zukommen lasse.

BND-Spionageskandal – Auch Unternehmen aus und bei Köln betroffen – Daniel Schwerd erstattet Anzeige.

Daniel Schwerd, Kölner Landtagsabgeordneter der Piratenpartei erstattete heute Strafanzeige [1] gegen führende Beamte im Kanzleramt und beim Bundesnachrichtendienst (BND).
Der BND soll nach neuesten Erkenntnissen des NSA-Untersuchungsausschusses, bereits 2008 eng mit dem US-Geheimdienst NSA zusammengearbeitet und zur Ausspähung von Tausenden deutschen Unternehmen und Bürgern beigetragen haben.

Der Untersuchungsausschuss wurde darüber informiert, dass über 40.000 Suchparameter angelegt worden sind, so genannte Selektoren. Damit wurden gezielt Daten deutscher und europäischer Unternehmen an Internet-Knotenpunkten abgegriffen und Spionage betrieben. Über die Zahl der durchgeführten Operationen schweigen sich die Verantwortlichen bisher aus. Experten gehen davon aus, dass diese Zahl um ein Vielfaches höher ist.

Daniel Schwerd prangerte die Untätigkeit der Landes- und Bundesregierung in der heutigen aktuellen Stunde des Landtages an. „Es wurde bekannt, dass zwei Kommunikationsunternehmen in der Nähe von Köln vom britischen Nachrichtendienst ausgehorcht wurden. Wir waren bei einem der betroffenen Unternehmen vor Ort und haben hier im Landtag diverse Anträge gestellt, die samt und sonders abgelehnt wurden. Das Kölner Unternehmen DE-CIX wurde ebenfalls abgehört, und hat seinerseits Strafanzeige erstattet.

Eine Taktik der Nachrichtendienste ist es, gezielt Arbeitnehmer dieser Firmen auszuspionieren, um mit den gewonnenen Informationen in die Firmennetzwerke einzudringen. Es sind also Menschen in Nordrhein-Westfalen ganz persönlich betroffen. Die verantwortlichen Politiker aus dem zuständigen Bundeskanzleramt sowie die Führungsspitze des Bundesnachrichtendienstes müssen nach §99 Strafgesetzbuch (Geheimdienstliche Agententätigkeit) zur Rechenschaft gezogen werden,“ so Daniel Schwerd.

[1] Text der Strafanzeige: http://www.piratenfraktion-nrw.de/2015/04/bnd/

Störerhaftung: Angst schaden Internet

people-314481_640Der folgende Artikel wurde am 13.April bei politik-digital e.V. in der Rubrik „Netzpolitischer Einspruch“ veröffentlicht.

Es scheint eine zutiefst deutsche Eigenart zu sein: Die Suche nach jemandem, den man für den Fall des Scheiterns verantwortlich macht. Kann man den Verursacher selbst nicht greifen, soll wenigstens jemand anderes für den Schaden haften. Und bevor man etwas Neues zulässt, unterhält man sich erst einmal über die Schadenersatzpflicht. Im deutschen Internet gibt es dafür die sogenannte Störerhaftung: Wenn über ein drahtloses Netzwerk urheberrechtsgeschützte Dateien heruntergeladen werden, so kann nach gegenwärtiger Rechtsprechung der Betreiber des Netzwerkes als „Mitstörer“ in Anspruch genommen werden.

Dabei hat der Gesetzgeber es anders gewollt: Im Telemediengesetz ist niedergelegt, dass ein Netzwerkzugangsbetreiber für Rechtsverletzungen seiner Nutzer nicht haftet, solange er davon keine Kenntnis hat. Diese Haftungsfreistellung nennt sich „Providerprivileg“. Dabei orientiert man sich an der Post: Auch sie ist nicht dafür verantwortlich, wenn sie Bombenbaupläne, Erpresserbriefe, anstößige Fotos oder raubkopierte Bücher transportiert. Und niemand verlangt von ihr, jeden Brief zu öffnen und auf Rechtsverstöße zu überprüfen – ganz im Gegenteil, das Postgeheimnis verbietet ihr das sogar.

Das Providerprivileg im Telemediengesetz ist aber kein Freibrief: Es gilt nämlich nicht, wenn sich der Netzbetreiber die Inhalte zu eigen macht, er Kenntnis von illegalen Inhalten bekommt, oder ihn jemand auf Rechtsverstöße hinweist: Er muss dann umgehend tätig werden und ist ab diesem Zeitpunkt sehr wohl haftbar für beanstandete Inhalte. Damit soll verhindert werden, dass sich jemand auf dem Providerprivileg ausruht und es zulässt, dass in seinem Netz fortlaufend Rechtsverstöße begangen werden. Aber es handelt sich um eine Ex-Post-Regelung: Zu vorauseilendem Gehorsam ist niemand verpflichtet.

Störerhaftung – ein deutscher Sonderfall

Aus irgendeinem Grund hat die deutsche Rechtsprechung die Betreiber von drahtlosen Internetzugängen, also von WLAN-Netzwerken, bislang oft anders behandelt. Ihnen wurden die Kosten der Rechtsverfolgung auferlegt, auch wenn ihnen persönlich gar kein Rechtsverstoß nachgewiesen wurde: Das Gericht ordnete dem Betreiber des Netzwerkes das Delikt auch ohne sein Wissen und Wollen zu. Daraus hat sich eine Abmahnindustrie in Deutschland entwickelt, die gezielt nach Urheberrechtsverstößen über Internetzugänge sucht und von den Betreibern des Zugangs dann horrende Kosten des Rechtsinstrumentes der Abmahnung einfordert. Darauf spezialisierte Kanzleien erzielten zwei- bis dreistellige Millionenbeträge an Gebühren pro Jahr.

Betreiber von WLAN-Netzwerken in Schulen, Cafés, Hotels, aber auch private Betreiber von Netzwerken in Wohngemeinschaften, Nachbarschaften und Familien sahen sich mit solchen kostenpflichtigen Abmahnungen konfrontiert und sollten zahlen, auch wenn sie die Rechtsverletzungen weder persönlich begangen hatten noch überhaupt davon wissen konnten. Menschen, die ihren Internetzugang mit ihren Nachbarn oder Passanten teilen, Betreiber von sogenannten Freifunk-Knoten, mussten mit diesen Problemen ebenfalls rechnen. Unter diesen Voraussetzungen sind nicht viele Netzwerkbetreiber bereit, ihren Internetzugang zu teilen – und das ist schlecht für die öffentliche Netzversorgung mit drahtlosen Internetzugängen in Deutschland.

In vielen anderen Ländern ist WLAN-Zugang im öffentlichen Raum eine Selbstverständlichkeit. Ob in öffentlichen Nahverkehrsmitteln, Fußgängerzonen oder irgendwo in Wohngebieten: Ein freies WLAN findet sich immer. So etwas wie die Störerhaftung gibt es nur in Deutschland, kein anderes Land kennt dieses Rechtskonstrukt.

Die Politik hat das Problem ebenfalls erkannt: Eine Klarstellung, dass das Providerprivileg, die prinzipielle Haftungsfreistellung für Netzwerkbetreiber, eben auch für WLAN-Betreiber gelten muss, wurde gefordert. Und der derzeitig vorliegende Gesetzentwurf des Bundeswirtschaftsministeriums nimmt sich dieser Forderung vordergründig zunächst an. Doch wie so oft in der deutschen Netzpolitik geht es einen Schritt voran und gleichzeitig zwei Schritte zurück: Der Gesetzentwurf enthält einen ganzen Katalog von Ausnahmen und Vorschriften, die das Providerprivileg für Betreiber freier Netzwerke sogleich wieder aushebeln. Und damit wird eben gerade keine Haftungsfreistellung erreicht, sondern Haftung für Rechtsverstöße auch ohne Kenntnis wird festgeschrieben – damit wird die bisherige Rechtsprechung zementiert und gesetzlich festgelegt, und neue Abmahnfallen werden eröffnet.

WLAN-Betreiber sollen nämlich laut Gesetzentwurf „geeignete Maßnahmen“ ergreifen, Rechtsverstöße im Vorfeld zu verhindern. Welche das sein könnten, zählt das Gesetz nur exemplarisch auf: Verschlüsselung des Zugangs, Belehrung zu Beginn, keine Rechtsverstöße zu begehen, Identifizierung der Nutzer etc. Private WLAN-Betreiber sollen sogar den Namen jedes Benutzers feststellen. Damit werden Interpretationsspielräume eröffnet, die die Abmahnindustrie dankbar aufgreifen wird. Denn was ist eine geeignete, zumutbare Maßnahme? Es wird wieder Klagen und Prozesse geben, und Richter werden interpretieren, wieweit diese Maßnahmen ex-ante gehen müssen. Zu leicht kann man dann im Betrieb eines Netzwerkes etwas falsch machen, und die Abmahnung ist da.

Keine Ausnahmen beim Providerprivileg

Warum sollen WLAN-Betreiber grundsätzlich schlechter gestellt werden als andere Netzzugangsanbieter? Warum werden private Anbieter wiederum schlechter gestellt als gewerbliche? Und warum soll der Betrieb eines offenen, unverschlüsselten WLAN völlig vom Providerprivileg ausgenommen werden? Ein echter Freifunk ist mit einer Identifizierungspflicht seiner Nutzer nicht mehr realisierbar.

Mit der Klarstellung, dass auch WLAN-Betreiber Provider sind, und das Providerprivileg somit auch für sie gelten soll, ist eigentlich bereits alles Notwendige gesagt: Denn auch damit sind WLAN-Betreiber nicht frei von jeglicher Verantwortung: Sie müssen – wie alle anderen Provider auch – ab Kenntnis eines Rechtsverstoßes handeln. Tun sie das nicht, sind sie sehr wohl verantwortlich für illegale Vorkommnisse.

Wie albern die Vorschrift ist, den Nutzer eines Netzwerkes zu belehren, keine Rechtsverstöße zu begehen, ist offensichtlich: Wer illegale Downloads durchführen will, wird sich durch eine Vorschaltseite kaum davon abhalten lassen – dass man sich an geltende Gesetze halten soll, ist eine Selbstverständlichkeit, die eigentlich keines Hinweises bedürfen sollte. Hier zeigt sich vielmehr wieder der Versuch, unbedingt jemanden verantwortlich machen zu wollen, wenn etwas scheitert.

Alle Dinge bergen das Risiko des Missbrauchs in sich. Auch eine Latte aus einem Gartenzaun kann dazu benutzt werden, sie jemandem über den Schädel zu ziehen. Wenn dann so ein Missbrauch passiert, ist der Gartenbesitzer nicht verantwortlich, und auch ein Verbotsschild am Zaun hätte die Tat nicht verhindert.

Wir sind gut beraten, dem Fortschritt des Internets mit Optimismus entgegenzutreten, und ihn nicht aus Angst vor Missbrauch stoppen zu wollen. Oder wie Victor Hugo es ausdrückte: „Die Zukunft hat viele Namen. Für Schwache ist sie das Unerreichbare, für die Furchtsamen das Unbekannte, für die Mutigen die Chance.“

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Geheimdienstangriffe auf Integrität und Vertraulichkeit von Infrastruktur und Kommunikation beenden!

mole-13299_640Westliche Nachrichtendienste wie die US-amerikanische National Security Agency (NSA) und die britischen Government Communications Headquarters (GCHQ), aber auch der Bundesnachrichtendienst (BND) spielen eine verhängnisvolle Rolle im Umgang mit Integrität und Vertraulichkeit von Kommunikations- und Authentifizierungssystemen. Digitale Systeme und Netzwerke werden systematisch korrumpiert und gestört, wobei die beteiligten Dienste offenbar selbst nicht einmal davor zurückschrecken, auf illegalem Wege den Schutz dieser Systeme auszuhebeln. Beispiele gefällig?

Der britische Geheimdienst GCHQ ist in die Systeme des niederländischen Chipkartenherstellers Gemalto eingebrochen und hat dort offenbar Millionen von Schlüsseln entwendet, die für die Authentifizierungs- und Verschlüsselungsfunktionen der u. a. damit erstellten Bankkarten, Krankenkarten und Telefonkarten benötigt werden. Die Integrität der darauf basierten Mechanismen ist grundsätzlich in Frage gestellt worden. Die gesetzlich geschützte Vertraulichkeit der Mobilfunkkommunikation, von Krankenakten wie Bankkonten ist damit mutmaßlich gebrochen worden.

Im Februar wurde bekannt, dass es Außenstehenden verhältnismäßig leicht fällt, IP-Telefonate abzuhören. Laut Telekommunikationsanbietern ist die fehlende Standardisierung einer Verschlüsselung dafür ein Grund. Sicherheitsexperten und Datenschützer weisen darauf hin, dass Geheimdienstmitarbeiter an diesen Standardisierungen mitarbeiten und aktiv darauf hinwirken, dass Verschlüsselungen nicht zum Standard werden, damit die Überwachung und Ausforschung solcher Kommunikation einfach fällt. Teilnehmer des Bundesnachrichtendienstes und anderer Geheimdienste nehmen regelmäßig an Standardisierungsdefinitionen von elektronischer Kommunikation und Authentifizierung teil.

Auf dem letztjährigen Chaos Communications Congress haben Sicherheitsexperten Mängel im Signalling System #7 (SS7), einer Sammlung von Signalisierungsprotokollen in Mobilfunknetzen aufgedeckt. Auch hier wird Einfluss von Nachrichtendiensten auf die fehlerhafte Standardisierung angenommen. Diese Lücken erlauben es, Mobilfunk weltweit ohne Zugriff auf die Telefone umzuleiten und abzuhören sowie den Träger eines Mobiltelefons weltweit zu orten.

Bestechungsgeld für NSA-Hintertür

Für Besorgnis hatte die Information gesorgt, dass die NSA dem IT-Verschlüsselungssystemhersteller RSA Security Inc., eine Tochtergesellschaft der EMC Corporation mit Sitz in Massachusetts und Zweigstellen unter anderem in Irland und Großbritannien, insgesamt 10 Millionen Dollar dafür gezahlt hat, dass sie in die Sicherheitsbibliothek eine Krypto-Backdoor der NSA implementierte hat.

Zuvor hatte die NSA beim National Institute of Standards and Technology (NIST) bewirkt, dass zum vermeintlichen Schutz von Verschlüsselungen ausgerechnet ein fragwürdiger Zufallszahlengenerator der NSA zum Standard für Kryptoanwendungen definiert wurde. Es ist davon auszugehen, dass die Geheimdienste damit Zugriff auf sämtliche mit diesen Standards realisierten Sicherheits- und Verschlüsselungssystemen haben. RSA stellt unter anderem auch Sicherheitstokens für den Zugriff auf IT-Systeme her, wie sie beispielsweise im nordrhein-westfälischen Landtag verwendet werden.

Die NSA unterhält eine Abteilung mit der Bezeichnung Office of Tailored Access Operations (TAO). Diese sammelt und erstellt Sicherheitslücken in IT-Systemen, Soft- und Hardware. Nicht jedoch, um diese dann zu schließen und die diese Systeme nutzenden Organisationen und Menschen zu schützen, sondern um maßgeschneiderte Angriffs- und Spionagewerkzeuge dafür zu bauen. Ein fünfzig seitiger Katalog von darauf basierenden Angriffswerkzeugen ist Ende 2013 bekannt geworden. Sicherheitslücken in Festplatten, Mobiltelefonen, Internet-Infrastruktur, USB-Ports und vielen weiteren Systemen sind darin dokumentiert. Manche weltweit zu beobachtende Malware-Angriffe wie Stuxnet und Regin basieren augenscheinlich auf den dort beschriebenen Sicherheitslücken und Angriffswerkzeugen.

Sicherheitslücken können nicht nur von befreundeten Geheimdiensten, sondern auch von feindlich gesinnten Diensten, Verbrechern und Erpressern genutzt werden. Dieses Vorgehen der Nachrichtendienste sorgt also nicht für Sicherheit, sondern im Gegenteil für eine größere Unsicherheit von Organisationen, Behörden, Unternehmen, Menschen und Gesellschaft. Geheimdienste befördern auf diesem Wege eine Gefährdung der Privatsphäre sowie Vertraulichkeit und Integrität elektronisch basierter Kommunikation. Auch der Industriespionage ist damit Tür und Tor geöffnet

Ende-zu-Ende-Verschlüsselung als Gegenwehr

Einzig die Verschlüsselung von Kommunikation, insbesondere wenn sie durchgängig von Nutzer zu Nutzer reicht, schützt die Privatsphäre nachhaltig, da nur der Empfänger die Nachrichten lesen kann. Zudem ist es durch Signierung sofort erkennbar, ob Kommunikation auf dem Transportweg manipuliert worden ist.

Ein Recht auf Anonymität elektronischer Kommunikation gibt es bereits: In § 4 Abs. 6 Teledienstedatenschutzgesetz heißt es: „Der Diensteanbieter hat dem Nutzer die Inanspruchnahme von Telediensten und ihre Bezahlung anonym oder unter Pseudonym zu ermöglichen, soweit dies technisch möglich und zumutbar ist. Der Nutzer ist über diese Möglichkeit zu informieren“. In § 18 Abs. 6 Mediendienstestaatsvertrag ist die gleiche Vorschrift für Anbieter von Mediendiensten niedergelegt. Das Recht auf Verschlüsselung leitet sich aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes ab, welches in einem Leitsatz festlegte: „Das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) umfasst das Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme“. Verschlüsselung sichert die Integrität von elektronischer Kommunikation gegen ungewünschte Veränderungen.

Tatsächlich wird allerdings das Recht auf Anonymität sowie das Recht auf Verschlüsselung immer häufiger in Frage gestellt. Derzeit wird über ein Verschlüsselungsverbot oder aber die Pflicht zu einer Hintertür für Geheimdienste diskutiert. Sicherheitspolitiker sehen in verschlüsselter oder anonymer Kommunikation oft eine Gefahr, da sie sich nicht ohne Weiteres überwachen lässt. Es wird die Angst vor Terroranschlägen oder schweren Straftaten zur Argumentation genutzt. Dabei ist offensichtlich, dass wirkliche Verbrecher sich nicht von Verschlüsselungsverboten davon abhalten lassen werden, ihre Kommunikation zu verschlüsseln, und im Zweifel auf Algorithmen ohne staatliche Hintertüren ausweichen werden. Durch Verbote und Hintertüren kann das Schutzniveau in diesem Bereich nicht erhöht werden.

Hintertüren in Verschlüsselungssystemen schwächen die Integrität der Systeme grundsätzlich, da sie systembedingt eine Schwachstelle in der Kryptographie an sich darstellen, die das Auftreten von Angriffen und Sicherheitslücken befördert. Ein Verschlüsselungsverbot selbst wäre der Todesstoß für Privatsphäre und Vertraulichkeit legaler elektronischer Kommunikation generell und würde die Authentifizierungsfunktion elektronischer Systeme grundsätzlich in Frage stellen.

Forderungen

  • Die Menschen haben ein grundlegendes Recht auf Vertraulichkeit und Integrität ihrer informationstechnischen Systeme. Kommunikation muss auch anonym möglich sein, wo die Identifikation des Nutzers nicht zwingend erforderlich ist.
  • Eine lückenlose Verschlüsselung elektronischer Kommunikation von Sender zu Empfänger ist der beste Schutz für Integrität und Vertraulichkeit dieser Kommunikation. Wo immer es technisch möglich ist, muss Bürgern, Unternehmen und Behörden die Möglichkeit von echter Ende-zu-Ende-Verschlüsselung geboten werden.
  • Echte Ende-zu-Ende-Verschlüsselung muss zur Standardeinstellung jeder elektronischen Kommunikation werden.
  • Bemühungen von Geheimdiensten, Verschlüsselung und sichere Authentifizierung aufzuheben und systematisch zu zerstören, sind scharf zu verurteilen. Hohe Sicherheitsstandards dürfen nicht daran scheitern, dass Geheimdienste ihren Einfluss geltend machen und sie verhindern oder schwächen, um einfacher überwachen bzw. leichter Unternehmensgeheimnisse ausspionieren zu können.
  • Hintertüren in Verschlüsselungs- und Authentifizierungssystemen stellen eine strukturelle Schwäche dar und senken das Sicherheitsniveau der Systeme.
  • Es bedarf einer digitalen Abrüstung des Geheimdienstarsenales an Angriffswerkzeugen auf Kommunikation und Verschlüsselung. Die Sammlung von Sicherheitslücken durch Geheimdienste schwächt die Sicherheit unserer elektronischen Systeme insgesamt. Geheimdienste müssen verpflichtet werden, Kenntnisse über Sicherheitslücken an Hersteller und Nutzer der Systeme zeitnah weiterzugeben.

Aufgaben von Politik und Verwaltung des Landes

Die Politik und Verwaltung unseres Landes könnte wirksam etwas unternehmen. Sie könnte

  • an allen Stellen politisch darauf hinzuwirken, dass höchstmögliche Sicherheit und Verschlüsselung zum Standard in elektronischer Kommunikation und Authentifizierung wird,
  • Versuchen, solche Standards zu verhindern, zu schwächen oder zu schädigen entschieden entgegenzutreten,
  • daran mitzuwirken, dass das Recht auf bestmögliche Verschlüsselung und Integrität von Kommunikations- und Authentifizierungssystemen zum Grundrecht wird,
  • eine Bundesratsinitiative auf den Weg zu bringen, welches die Kommunikation mit echter Ende-Zu-Ende-Verschlüsselung als Standardeinstellung für alle Kommunikations- und Informationssysteme vorschreibt,
  • Forderungen nach staatlichen Hintertüren und Verschlüsselungsverboten eine klare Absage zu erteilen,
  • daran mitzuwirken, dass Geheimdiensten die systematische Zerstörung von elektronischen Sicherheitssystemen und Standards sowie der heimliche Besitz von Sicherheitslücken untersagt wird, eine Initiative zu starten bzw. zu fördern, die die lückenlose Ende-zu-Ende-Verschlüsselung als Standard von IP-Telefonie zum Ziel hat,
  • weitere Initiativen zu fördern, die lückenlose Ende-zu-Ende-Verschlüsselungen elektronischer Kommunikation zum Ziel haben,
  • auf eine Abrüstung der digitalen Arsenale von Angriffswerkzeugen bei Geheimdiensten weltweit hinzuwirken.

Einen entsprechenden Antrag hatte ich unter Drucksache 16/8109 eingereicht, welcher am späten Abend des 19. März im Landtag NRW beraten wurde. Er wurde mit den Stimmen aller anderen Fraktionen gegen die Piraten abgelehnt. So sieht das aus.

Generalangriff auf freie #WLAN-Netzwerke stoppen: Verschärfung der #Störerhaftung verhindern!

dead-end-206862_640Die von der Bundesregierung geplante verschärfte Störerhaftung schadet dem Internet-Standort NRW. Die neuen Regeln widersprechen dem gemeinsamen Entschlussstand im Landtag NRW. Ich fordere in der nächsten Plenarsitzung in einem Antrag die Landesregierung auf, sich gegen diese schädliche Neuregelung einzusetzen und die Verschärfung der Störerhaftung zu verhindern.

Die geplante Neuregulierung der Haftung von WLAN-Anbietern versetzt Freifunk-Initiativen den Todesstoß. Sie stellt eben keine rechtliche Klarstellung dar, sondern eröffnet neue Felder für die Abmahnindustrie. Der Entwurf ist ein Rückschritt auf dem Weg zur Informationsgesellschaft und steht dem digitalen Wandel im Weg. Das schadet dem Internet-Standort Deutschland und insbesondere NRW und passt so gar nicht zur gerade von der Landesregierung ausgerufenen ´Digitalen Reform´ NRW 4.0.

Dienstanbieter haften bislang nicht ohne Kenntnis

Im §8 des Telemediengesetzes (TMG) ist das sogenannte Providerprivileg von Internet-Diensteanbietern geregelt. Hierin ist niedergelegt, dass Dienstanbieter für fremde Informationen, die durch ihre Netze und Angebote durchgeleitet werden, ohne eigene Kenntnis oder Mitwirkung grundsätzlich nicht verantwortlich sind.

In der deutschen Rechtsprechung gab es bisher unterschiedliche Interpretationen, ob derjenige, der einen drahtlosen Netzwerkzugang bereitstellt, ebenso als Internet-Diensteanbieter zu gelten hat, und inwieweit er von der Haftung für fremde Inhalte freigestellt ist. Aufgrund dieser Unklarheiten hat sich eine Abmahnindustrie darauf spezialisiert, Betreiber von WLAN-Netzwerken abzumahnen, indem ihnen Verantwortung für fremde Inhalte aufgrund einer angenommenen Störerhaftung zugewiesen wird.

Die Bundesregierung plant, den §8 des Telemediengesetzes zu überarbeiten. Es sollen zwei weitere Absätze hinzugefügt werden, die zur rechtlichen Klarstellungen dienen sollen. Ein entsprechender Entwurf ist an die Öffentlichkeit gelangt. Dieser gibt Anlass zu Besorgnis, denn er führt zu einer Verschlechterung der Lage von WLAN-Anbietern und ruft neue rechtliche Unsicherheiten hervor.

Zwar wird im Entwurf die Haftungsfreistellung explizit auf Betreiber von WLAN-Netzwerken ausgedehnt. Gleichzeitig wird dem Netzwerkbetreiber auferlegt „zumutbare Maßnahmen“ zu ergreifen, um Missbrauch zu verhindern. Es soll, so der Entwurf, „in der Regel durch Verschlüsselung oder vergleichbare Maßnahmen“ verhindert werden, dass sich „außenstehende Dritte“ unberechtigten Zugriff auf das jeweilige WLAN verschaffen.

Auferlegte Maßnahmen sabotieren Freifunk

Damit ist der Betrieb eines echten Freifunknetzes nicht mehr möglich. Dieses richtet sich ausdrücklich an jedermann im Netzbereich, ohne dass die Identität jedes Nutzers bekannt ist. Gerade durch den Verzicht auf Verschlüsselung oder Zutrittskontrolle steht ein solches Netz jedem Menschen im Einzugsbereich zur Verfügung, auch Passanten und Besuchern. Es ist schlichtweg nicht möglich, jeden im Einzugsbereich eines Freifunknetzes zu registrieren und zu identifizieren. Der „digitale Schluck Wasser“, den man seinen Nachbarn und Passanten seines Hauses anbieten möchte, wird dadurch faktisch ausgeschlossen.

Dies ist ein fatales Signal für den Standort Deutschland: In nahezu allen Ländern Europas ist ein freier WLAN-Zugang an allen Orten eine Selbstverständlichkeit. Man kann sich überall in den Städten und öffentlichen Verkehrsmitteln bewegen und findet an vielen Orten freie Netzwerkzugänge ohne Registrierung und Namenspflicht. Nur in Deutschland kann es solche Zugänge dann nicht mehr geben. Damit schließt sich Deutschland selbst vom digitalen Fortschritt, Partizipation und Teilhabe im Netz aus. Die Breitbandstrategie von Bund und Ländern wird konterkariert. Breitbandzugang, der laut Bundesgerichtshof Teil der materiellen Lebensgrundlage der Menschen ist, wird verkompliziert und verwehrt.

Aber selbst ein verschlüsseltes WLAN mit Zutrittskontrolle ist nicht sicher darstellbar. Wie Passanten eines WLANs in zumutbarer Weise identifiziert werden sollen, ist vollkommen unklar und wird auch wieder Gegenstand von juristischer Klärung und neuen Abmahnwellen sein. Die Erfassung und Speicherung von Nutzern stellt ihrerseits ein Datenschutzrisiko dar. Durch die Identifikation und Vorratsdatenspeicherung innerhalb der WLANs werden Bewegungsprofile möglich. Eine solche Speicherung auf Ebene der Netzwerke ist mit dem Gebot der Datensparsamkeit nicht zu vereinen.

Weiter sieht der Gesetzentwurf vor, dass die Nutzer des WLAN explizit einwilligen sollen, in der Nutzung des Dienstes keine Rechtsverletzungen zu begehen. Eine solche Einwilligung ist ein rein formaler Akt und bestätigt eine Selbstverständlichkeit, welche niemand von Rechtsverletzungen abhält, der solche zu begehen plant. Sie ist inhaltlich unwirksam und stellt Zugangsanbieter vor Probleme, eine solche Zustimmung rechtssicher einzuholen und zu dokumentieren. Die Probleme der Störerhaftung werden mit den vorgesehenen Änderungen nicht aus dem Weg geräumt, sie werden verschärft.

Vorratsdatenspeicherung bei privat betriebenen WLAN

Im vorliegenden Entwurf findet sich ein Formulierungsvorschlag, der Anbietern, die den Zugang nicht „anlässlich einer geschäftsmäßigen Tätigkeit oder als öffentliche Einrichtung zur Verfügung stellen“, auferlegt, auch den Namen des Nutzers zu kennen. Dies beträfe dann neben allen Privatleuten auch alle Freifunk-Anbieter. Wie Privatleute und Freifunk-Anbieter den tatsächlichen Namen aller ihrer Besucher feststellen und speichern sollen, ist vollkommen unklar und technisch sowie rechtlich nicht sicher darstellbar.

Im Übrigen kann ein Rechtsverstoß ohnehin nicht einer einzelnen Person zugeordnet werden, da alle Nutzer in einem WLAN-Netzwerk unter derselben IP im Internet unterwegs sind, und die Aufzeichnung, wer dieser Benutzer wann, welche Inhalte im Netz abgerufen hat, gegen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Benutzer verstößt.

Zur rechtssicheren Erfüllung dieser Auflage wären sonst ausgerechnet gerade die privaten Betreiber von WLAN-Netzwerken zu einer sogenannten „Deep Packet Inspection“ sowie einer vollständigen Vorratsdatenspeicherung genötigt. Unter Deep Packet Inspection ist zu verstehen, Datenpakete inhaltlich zu überwachen und zu filtern. Es müssten sowohl der Datenteil als auch der Headerteil des Datenpaketes untersucht werden, um festzustellen und zu speichern, wer welche Inhalte wann aufgerufen hat. Ein tatsächlicher, vom Nutzer beabsichtigter Missbrauch eines offenen Netzzuganges würde damit in keinem Fall verhindert.

Spezialgesetz für Filehoster

§10 des Telemediengesetzes regelt, wann Provider für Daten haften, die sie für einen Nutzer speichern. Bislang tritt diese Haftung erst nach Kenntnis eines rechtswidrigen Vorgangs ein, auch hier profitiert der Provider von einem Haftungsprivileg für fremde Inhalte.

Dieses Privileg soll nun eingeschränkt werden. Der Entwurf sieht vor, „besonders gefahrgeneigte Dienste“ zu definieren, auf die das Privileg nicht anzuwenden ist. Ein solcher Dienst sei dadurch gekennzeichnet, dass

• „die Speicherung oder Verwendung der weit überwiegenden Zahl der gespeicherten Informationen rechtswidrig erfolgt“,
• „der Diensteanbieter durch eigene Maßnahmen gezielt die Gefahr einer rechtsverletzenden Nutzung fördert“,
• „in vom Diensteanbieter veranlassten Werbeauftritten mit der Nichtverfolgbarkeit bei Rechtsverstößen geworben wird“ oder
• „keine Möglichkeit besteht, rechtswidrige Inhalte durch den Berechtigten entfernen zu lassen“.

Was eine „weit überwiegende Zahl“ ist, wie diese festgestellt wird und welches eigene Maßnahmen sind, eine solche Gefahr zu fördern, ist vollkommen unklar und wird Gegenstand von rechtlichen Auseinandersetzungen und neuen Abmahnungswellen sein. Prinzipiell kann jeder Speicheranbieter genutzt werden, auch illegale Inhalte abzuspeichern – es kann aber nicht die Lösung sein, ganze Dienstklassen zu kriminalisieren.

Gerade Anbieter von Cloud-Dienstleistungen in Deutschland werden sich mit Problemen der Auslegung auseinandersetzen müssen, welches den digitalen Gründerstandort Deutschland erneut schwächt. Eine Haftung für fremde Inhalte auch ohne Kenntnis davon macht den Betrieb eines solchen Dienstes unmöglich.

Der NRW-Landtag ist gegen Störerhaftung

Mit Drucksache 16/4427 hat der Landtag NRW in einem gemeinsamen Antrag von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Piratenpartei die Landesregierung aufgefordert, auf die Beschränkung des Haftungsrisikos für die Betreiberinnen und Betreiber offener WLANs durch eine Ausweitung der Haftungsprivilegierung für Access-Provider gemäß §8 Telemediengesetz hinzuwirken sowie die stärkere Verbreitung offener Zugänge zum Internet zu fördern.

Der derzeitige Entwurfsstand des Telemedien-Änderungsgesetzes erfüllt diese Forderungen nicht nur nicht, er sorgt sogar für eine Verschlechterung der Lage. In ihrer Regierungserklärung vom 29.01.2015 hat Ministerpräsidentin Hannelore Kraft die Bedeutung des digitalen Wandels herausgestellt und erklärt, den notwendigen Beitrag leisten zu wollen, diesen Wandel zum Wohle des Landes, seiner Wirtschaft und seiner Bürgerinnen und Bürger zu gestalten. Gerade die konsequente Hinwendung zur Digitalisierung bietet Chancen für unsere Wirtschaft, wie sie die Ministerpräsidentin in ihrer Rede betonte. Auch die Bedeutung von frei zugänglichen WLAN für unser Land hat sie herausgestellt.

Der vorliegende Entwurf stellt einen Rückschritt auf dem Weg zur Informationsgesellschaft dar und steht dem digitalen Wandel im Weg.

Ich habe beantragt, dass der Landtag NRW folgende Feststellungen trifft:

• Der unbeschränkte Zugang zu freien Netzen an möglichst vielen Orten ist Voraussetzung eines erfolgreichen Wandels zur Informationsgesellschaft. So wird das Grundrecht auf breitbandigen Internetzugang unterstützt, welcher zur materiellen Daseinsvorsorge aller Menschen gehört.
• Betreiber offener Netzzugänge müssen dem Providerprivileg unterliegen, ganz gleich ob der Zugang per WLAN oder kabelgebunden erfolgt, ganz gleich ob der Zugang aus kommerziellen oder nicht geschäftsmäßigen Gründen zur Verfügung steht.
• Der Landtag begrüßt die Absicht, das Providerprivileg in §8 TMG grundsätzlich auch auf WLAN-Betreiber auszudehnen.
• Die vorgesehenen Kontroll-, Identifikations-, Belehrungs- und Aufzeichnungspflichten stellen Betreiber vor neue Haftungsrisiken und ungeklärte technische und rechtliche Probleme, ohne dass sie zu zusätzlicher Sicherheit vor Rechtsverletzungen führen.
• Hürden und Einschränkungen von offenen Netzwerkzugängen sind kontraproduktiv für den digitalen Wandel.
• Innovative Anbieter neuer Cloud-Dienstleistungen dürfen nicht unter Generalverdacht gestellt werden.

Folgende Aufforderungen an die Landesregierung soll der Landtag NRW richten:

• sich auf allen politischen Ebenen dafür einzusetzen, dass die Änderung des Telemediengesetzes auf die Klarstellung beschränkt bleibt, dass die Haftungsfreistellung gem. §8 TMG auch für Anbieter von WLAN-Zugängen gilt,
• sich gegen Kontroll-, Identifikations-, Belehrungs- und Aufzeichnungspflichten einzusetzen, die WLAN-Betreibern auferlegt werden sollen,
• sich gegen die Einführung neuer „besonders gefahrgeneigter Dienste“ in §10 TMG einzusetzen, welche für gespeicherte Inhalte ihrer Nutzer auch ohne Kenntnis haften sollen.


#Netzneutralität: Oettinger sieht Taliban-ähnliche Entwicklung

Image: Martin Kraft Licence: CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons
Image: Martin Kraft
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In einer Diskussionsrunde der Reihe „BMF im Dialog: Wachstumstreiber Digitalisierung“ des Bundesministerium für Finanzen sprach der EU-Kommissar für Digitale Wirtschaft und Gesellschaft Günther Oettinger über Netzneutralität, Telemedizin und intelligente Verkehrssicherheitssysteme in einem Podium mit dem Parlamentarischen Staatssekretär Steffen Kampeter (CDU) und dem Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Telekom AG Timotheus Höttges. Oettinger stellte darin die These auf, dass es zugunsten von Telemedizin und Verkehrssicherheitssystemen geboten sei, auf Netzneutralität zu verzichten, er deutete an, dass es Leben gefährde, wenn solche Systeme nicht mit Vorrang im Internet bedient werden. Die Bemühungen (speziell auch aus Deutschland), Netzneutralität gesetzlich zu sichern, nannte er „Taliban-ähnliche“ Entwicklungen.

Julia Reda hat den bemerkenswerten Monolog von Oettinger hier hochgeladen, und dazu hier einen lesenswerten Blogpost verfasst.

Oettinger stößt damit argumentativ in das gleiche Horm wie Angela Merkel vergangenen Dezember auf einem Vodafone-Kongress, was ich im Handelsblatt online hier kommentiert hatte: „Frau Merkel, sie spielen falsch!“

Ich frage mich, wie man Telemedizin und Verkehrssicherheitssysteme gestalten will, die auf eine permanente Internetverbindung angewiesen sind, wo es doch bekannt ist, das Internet mobil nicht überall zur Verfügung stehen kann, und man mit Verbindungsabbrüchen auch im stationären Internet rechnen muss. Unverständlich ist auch, wie eine Aufhebung der Netzneutralität dieses Problem lösen soll. Am unverständlichsten ist es für mich allerdings, warum der Parlamentarische Staatssekretär Kampeter und der Vorstandsvorsitzende der Deutsche Telekom AG Höttges ihm diesen Unsinn nicht achtkantig um die Ohren geschlagen haben.

„Wenn man in die falsche Richtung läuft, hat es keinen Zweck, das Tempo zu erhöhen.“
Birgit Breuel, dt. Politikerin u. Managerin, bis 1995 Präsidentin der Treuhandanstalt

Ich kenne keine konkreten Produkte, Anwendungen, Dienste oder Forschungen aus den Bereichen Telemedizin oder intelligenter Verkehrssicherheit, deren verlässliches Funktionieren von einem Echtzeit-Internetzugang einerseits, und der Abwesenheit von Netzneutralität andererseits angewiesen sind. Ganz im Gegenteil: Lebenswichtige oder lebensbedrohliche Systeme, wie die Tele-Operation im Organbereich oder die Kollisionswarnung im Straßenverkehr dürfen sich nicht auf Echtzeit-Internetkommunikation verlassen. Das Internet ist prinzipbedingt nicht zu 100% ausfallsicher, und das mobile Internet erst recht nicht überall lückenlos verfügbar, man denke z.B. an Unterführungen oder abgelegene Bereiche. Kein lebensgefährliches System darf sich in solchen Situtationen auf Internet verlassen müssen.

Aber vielleicht liege ich ja falsch. Inspiriert von vergleichbaren Fragen, die Julia Reda an die EU-Kommission geschickt hat, werde ich die Landesregierung in einer kleinen Anfrage folgendes fragen:

  1. Welche konkreten Produkte, Anwendungen und Forschungen aus dem Bereich Telemedizin sind der Landesregierung bekannt, deren verlässliches Funktionieren von einem Echtzeit-Internetzugang sowie der Abwesenheit von Netzneutralität abhängig ist? Nennen Sie für jeden einzelnen Fall jeweiliges Unternehmen bzw. Institut oder Krankenhaus und Anwendungsbereich. Bitte nennen Sie nur konkrete Produkte, Anwendungen bzw. Forschungen, keine Cluster oder generelle Debatten.
  2. Welche konkreten Produkte, Anwendungen und Forschungen aus dem Bereich intelligenter Verkehrssicherheit und Mobilität (wie etwa Kollisionswarner) sind der Landesregierung bekannt, deren verlässliches Funktionieren von einem Echtzeit-Internetzugang sowie der Abwesenheit von Netzneutralität abhängig ist? Nennen Sie für jeden einzelnen Fall jeweiliges Unternehmen bzw. Institut und Anwendungsbereich. Bitte nennen Sie nur konkrete Produkte, Anwendungen bzw. Forschungen, keine Cluster oder generelle Debatten.
  3. Sind der Landesregierung sonstige Produkte bekannt, deren verlässliches Funktionieren von einem Echtzeit-Internetzugang sowie der Abwesenheit von Netzneutralität abhängig ist? Nennen Sie für jeden einzelnen Fall das Produkt, jeweiliges Unternehmen bzw. Institut und Anwendungsbereich. Bitte nennen Sie nur konkrete Produkte mit deren (Marken-)Bezeichnungen, keine Cluster oder generelle Debatten.
  4. Wie bewertet die Landesregierung lebenswichtige bzw. lebensbedrohliche Systeme (wie zum Beispiel Tele-Operationen im Organbereich bzw. Kollisionswarner im Straßenverkehr), deren einwandfreies Funktionieren von einem Echtzeit-Internetzugang sowie der Abwesenheit von Netzneutralität abhängig ist?
  5. Welche Schritte ergreift die Landesregierung, um Netzneutralität auf Bundes-, Landes- und Europaebene im Sinne des Landtagsbeschlusses „Für echtes Netz: Netzneutralität dauerhaft gewährleisten und gesetzlich festschreiben!“ mit der Dokumentennummer 16/5777 voranzutreiben?

Auf mein Betreiben hin gibt es einen gemeinsamen Antrag der Fraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und der Piratenfraktion „Für echtes Netz: Netzneutralität dauerhaft gewährleisten und gesetzlich festschreiben!“ mit der Dokumentennummer 16/5777 Jetzt ist die Landesregierung gefordert, diesem Beschluss Leben zu verleihen.


Die kleine Anfrage kann man in Gänze hier lesen:
Netzneutralität: Taliban-ähnliche Entwicklung?

Eine Übersicht aller meiner kleinen Anfragen findet man hier:
http://www.daniel-schwerd.de/glaeserner-mdl/kleine-anfragen/

Runter vom toten Pferd! Angstmache beenden, Vorratsdatenspeicherung ablehnen!

man-358969_640Wir haben heute zu einem CDU-Antrag, der eine Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung fordert, einen Entschließungsantrag eingereicht:

„Runter vom toten Pferd! Angstmache beenden, Vorratsdatenspeicherung ablehnen!“ (Drucksache 16/7849).

Dazu habe ich das folgende Pressestatement abgegeben:


Die Vorratsdatenspeicherung ist ein datenschutztechnischer Alptraum. Mit ihr
werden die Kommunikationsdaten und damit die persönlichen Informationen über
Millionen Bürger anlasslos, massenhaft und grundlos gespeichert. Demgegenüber
steht die anlassbezogene Datenspeicherung, bei der in einem Verdachts- oder
Ermittlungsfall selbstverständlich ganz gezielt Daten von bestimmten
Verdächtigen gesammelt werden.

In der Debatte gehen diese beiden Arten von Datenspeicherung wild durcheinander.
Die eine wird mit der anderen begründet. Diese absichtsvolle Vermischung darf
nicht toleriert werden. Verwerflich ist auch die Instrumentalisierung der Opfer
der Anschläge von Paris, um die Vorratsdatenspeicherun zu rechtfertigen.

Bisherige Versuche auf bundesdeutscher oder europäischer Ebene, eine anlasslose
Vorratsdatenspeicherung einzuführen, sind an verfassungsrechtlichen Bedenken
gescheitert. In Deutschland darf es keine Einführung der Vorratsdatenspeicherung
gegen die Grundrechte geben. Sicherheit gibt es nur durch mehr Freiheit, nicht
durch den Abbau von Freiheitsrechten. Der beste Datenschutz ist immer noch,
sowenig Daten wie möglich zu sammeln. Und Datenschutz erhöht unser aller
Sicherheit.

NRW-Justizminister Kutschaty und die Angst vor dem Internet

KutschatyBei Twitter ist er nicht, und sein Facebook-Profil hat er abschalten lassen: Nordrhein-Westfalens Justizminister Thomas Kutschaty (SPD). Jetzt beschreibt er im aktuellen SPIEGEL seine Pläne für ein „Recht auf digitalen Neustart“. Und offenbart damit ein trauriges Maß an Internet-Halbwissen.

Das Netz besteht nicht nur aus Google. Inhalte, welche Google in seinem Suchindex löschen muss, sind nicht verschwunden: Sie sind lediglich in einer der Suchmaschinen unter einer der denkbaren Suchanfragen nicht mehr auffindbar. Mit seiner Forderung beschwört der NRW-Justizminster einen Datenschutz erster und zweiter Klasse herauf: Einen Datenschutz, der sich auf Veröffentlichung im Internet erstreckt, und einen, der sich auf Suchergebnisse bezieht, also Auflistungen von Referenzen auf Inhalte. Oder kurz gesagt: Ein neues Recht, dass zuvor legal veröffentlichte Inhalte nicht verlinkt werden dürfen. An den ursprünglichen Inhalten ändert sich dadurch jedenfalls nichts, und auch nicht an der grundsätzlichen Auffindbarkeit von Inhalten unter anderen Suchphrasen.

Das vom Minister geforderte Gesetz hat der EU-Gerichtshof mit seinem sogenannten „Recht auf Vergessen“ vorweggenommen, als er im vergangenen Mai Google dazu verpflichtete, Inhalte des Suchindexes auf Anforderung von Bürgern zu löschen. Und auch hier schon haben Internetexperten vor den negativen Auswirkungen einer solchen, neuen Form von Suchmaschinen-Zensur gewarnt.

Ein solches Recht wird auch Begehrlichkeiten bei anderen Interessengruppen wecken. Wer bislang gegenüber Internetseiten keinen Erfolg damit hatte, unerwünschte Inhalte entfernen zu lassen, wie etwa negative Produktpresse oder kritische Berichterstattung über Unternehmen, wird zukünftig den Weg der Suchergebnis-Zensur wählen. Einschränkungen von Presse- und Meinungsfreiheit sind zu befürchten. Kutschaty lässt sich davon allerdings nicht beeindrucken, wenn er diese Regelung nun per Bundesratsinitiative in nationales Recht umsetzen möchte.

Wenn wir ein „Recht auf Vergessen“ erreichen möchten, muss es bei den Inhalten ansetzen: Es bedarf einer Verpflichtung, dass Benutzer sozialer Medien diesen gegenüber ein uneingeschränktes Recht darauf haben, dass ihre eigenen Inhalte auf Wunsch rückstandslos von deren Systemen gelöscht werden. Dies kann zwar nicht dafür sorgen, dass einmal verbreitete und geteilte Inhalte aus dem Internet verschwinden, es setzt aber zumindest an der Quelle an, und gibt den Internetnutzern mehr Herrschaft über ihre eigenen Daten zurück – anstatt im Sekundärindex Google die Daten nur gleichsam ausblenden lassen zu wollen. Löschen ist immer wirksamer als Sperren.

Kutschaty bezeichnet im SPIEGEL-Interview die Cloud-Computing als „ungeregelten Bereich“. Das erinnert fatal an das Narrativ des rechtsfreien Raums Internet – als seien heute bestehende Gesetze auf Internet-Clouds nicht anwendbar. Wildes Durcheinanderwerfen von Fragen der Persönlichkeitsrechte, Google und Internetkriminalität, Angst vor Onlinebanking und Cybermobbing, wie er es im Interview betreibt, gemahnt an Angstmache von Sicherheitspolitik-Fanatikern. Und reflexhaftes Fordern von härteren Strafen und neuen Straftatbeständen, wie es der Minister tut, sind dann doch eher unter Aktionismus abzuheften.

Selbstverständlich ist sicherzustellen, dass Daten in der Cloud im Eigentum der Nutzer bleiben. Das ist aber weniger eine rechtliche, sondern mehr eine technische Frage: Wir brauchen mehr Angebote von sicher verschlüsselten Clouds, in denen hochgeladene Inhalte nur von denjenigen gelesen werden können, die über den separaten Schlüssel verfügen – und nicht einmal von den Betreibern der Clouds selbst. Es bedarf sehr viel mehr Kenntnis und Wissen über solche Techniken. Wenn überhaupt, dann sollte der Minister entsprechende Angebote fordern.

Mobbing hingegen ist ein Phänomen, welches außerhalb und innerhalb des Internets existiert. Es gibt keinen Grund, nur solches im Internet rechtlich zu verfolgen: Soweit es juristische Lücken gegen Mobbing gibt, sollten sie allgemein geschlossen werden, auch bei Mobbing am Arbeitsplatz oder auf dem Schulhof. Und es muss auch der Mut vorhanden sein, solche Vergehen zu verfolgen und zu bestrafen, hier scheint noch einiges im Argen.

Wenn man die Technik nicht versteht, sollte man unbedingt jemanden fragen, der sich damit auskennt. Gesellschaftliche Probleme kann man jedenfalls nicht alleine juristisch oder technisch lösen – die Antwort besteht in mehr Bildung und mehr Medienkompetenz. Der französische Schriftsteller und Philosoph Jean-Paul Sartre sagte einmal: „Ein großer Teil der Sorgen besteht aus unbegründeter Furcht“. Das Internet geht nicht mehr weg, wir alle müssen den Umgang damit lernen. Angst ist jedenfalls kein guter Ratgeber.


Der Artikel ist auch als Gastbeitrag in “Der Freitag” erschienen:

https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/trauriges-halbwissen-ueber-das-internet

Im Gespräch mit angehenden Fachinformatikern Systemintegration

Gruppenbild

Heute besuchte mich eine Gruppe Auszubildender des Fachbereichs Fachinformatik Systemintegration des Berufskollegs für Gestaltung und Technik der Städteregion Aachen. Neben zunächst vielen Fragen zur Piratenfraktion und ihrer Rolle als Oppositionspartei im Landtag NRW wurden viele netz- und medienpolitische Themen angesprochen. Wir sprachen unter anderem über unsere Positionen und parlamentarischen Initiativen im Bereich Breitbandausbau, Netzneutralität und diskutierten die Position der Piratenpartei zum Urheberrecht. Auch die „Drosselkom“ und die Zentralisierungstendenzen im deutschen Kabelmarkt waren ein Thema.

Daniel

Unsere Positionen zur Netz- und Medienpolitik, mit dem wir zur Landtagswahl 2012 angetreten und gewählt wurden könnt ihr hier nachlesen: http://www.piratenpartei-nrw.de/landtagswahl-2012/wahlprogramm/

Netzneutralität: Frau Merkel, Sie spielen falsch!

joker-390863_640Folgenden Gastbeitrag habe ich am 17.12. beim Handelsblatt veröffentlicht.

„Frau Merkel, Sie spielen falsch!“

Dass Merkel Spezialdienste bevorzugt durchs Netz leiten will, ist abwegig. Es gibt nur einen Grund, manche Datenpakete im Internet anders zu behandeln als andere: Wenn davon alle profitieren.

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat Anfang Dezember auf der Veranstaltung „Digitising Europe“ des Vodafone Instituts für Gesellschaft und Kommunikation die Netzneutralität grundsätzlich in Frage gestellt. Ihrer Meinung nach lässt sich Netzneutralität angesichts neuer Spezialdienste, wie fahrerlose Autos oder Telemedizin, nicht aufrechterhalten. Dieses Argument ist auf den ersten Blick genauso einleuchtend wie letztlich falsch: Alles nur Rauch und kein Braten.

Jeder weiß, dass das mobile Netz nicht überall lückenlos verfügbar sein kann. Verbindungsprobleme in abgelegenen Gegenden sind allseits bekannt, doch auch in der Stadt im Windschatten von Hochhäusern oder Unterführungen steht kein Internet zur Verfügung. Die Konstruktion von selbstfahrenden Autos, die im Verkehr nur mit stabiler Internetverbindung sicher navigieren können, wäre also mehr als fahrlässig.

Selbstverständlich muss ein fahrerloses Auto in der Lage sein, ohne Datenverbindung, aufgrund der eigenen Sensoren, im Straßenverkehr Hindernissen auszuweichen und einer vorgegebenen Route folgen zu können. Ein Auto, welches ohne Internet stehen bliebe, stellt eine Gefahr für den Straßenverkehr dar. Lediglich für die Routenplanung und Verkehrsinformationen ist eine Datenverbindung erforderlich.

Da spielt es aber keine Rolle, ob diese Informationen bevorzugt im Netz transportiert werden, oder einige Sekunden später eintreffen. Auch ein herkömmliches Navigationssystem stellt seinen Dienst nicht ein, wenn mal kurzzeitig kein GPS-Signal zur Verfügung steht. Ein fahrerloses Auto braucht bei verantwortlicher Programmierung nicht mehr oder stabileres Internet als irgendjemand anderes.

Auch das Telemedizin-Argument klingt so gut, wie es in die Irre führt. Das Internet ist nicht für Echtzeit-Kommunikation konzipiert worden. Der Schwerpunkt der Entwicklung lag darauf, dass sich das Netz selbst organisiert, und die zu transportierenden Daten, aufgeteilt in Pakete, selbst ihren Weg durch das Netz suchen. Eine bestimmte Transportgeschwindigkeit sieht das Netz nicht vor. Eine physische Verbindung zwischen zwei Teilnehmern gibt es nicht, die Kommunikation verläuft grundsätzlich asynchron über eine Reihe von Verbindungspunkten.

Dennoch wird das Internet heute für Echtzeit-Kommunikation genutzt. Neben Chat und IP-Telefonie stellt auch unterbrechungsfreies Streaming von Ton und Video hohe Anforderungen an die Verbindungsqualität. Diese Dienste funktionieren, weil das Internet einen bestimmten Ausbaustandard erreicht hat – eine Garantie, dass diese Dienste tatsächlich lückenlos laufen, gibt das Internet dennoch nicht.

Mit dem Begriff „Single Point of Failure“ bezeichnet man den Bestandteil eines Systems, dessen Defekt den Ausfall des ganzen Systems verursacht. Bei lebenswichtigen Systemen wird darauf geachtet, dass es keine solchen Fehlerpunkte gibt – jedes entsprechende Teil wird dann redundant, also mehrfach ausgelegt. Deswegen gibt es Notstromversorgungen, Backups und Standby-Systeme, die im Fall des Falles eintreten. Auch Anschlüsse und Leitungen müssen doppelt ausgelegt werden, wenn mal ein Bagger ein Glasfaserkabel durchtrennt.

Bei einer herkömmlichen Internetverbindung gibt es zahlreiche Fehlerquellen, deren Ausfall nicht automatisch kompensiert werden kann. Dazu zählen Router, Internetknotenpunkte auf dem Weg zwischen Sender und Empfänger, und die Leitung der letzten Meile.

Wer also eine lebenswichtige Operation als Telemedizin über das herkömmliche Internet ausführen möchte, riskiert das Leben seines Patienten. Solche Dienste über das Internet auszuführen, ist Körperverletzung – auch das Bevorzugen gewisser Datenpakete ändert nichts an der Lebensgefahr, wenn das System selbst plötzlich nicht verfügbar ist.

Eine Fern-Operation darf nur über ein dediziertes System ausgeführt werden, bei dem zwischen Sender und Empfänger jede einzelne Komponente garantiert ausfallgesichert vorhanden ist. Das Internet ist dafür nicht geeignet. Ein Gespräch zwischen Arzt und Patient, eine Fern-Untersuchung und Beratung hingegen braucht keine garantierten Antwortzeiten.

Es gibt überhaupt nur einen Grund, gewisse Datenpakete im Internet anders zu behandeln als andere: Wenn davon alle profitieren. Das kann sinnvoll sein bei Rundfunk – also da, wo viele Nutzer den gleichen Datenstrom empfangen. Diesen sollte man dann zu Gunsten der restlichen Bandbreite nur einmal übertragen, und dann an alle Nutzer verteilen.

Dass man diesen Datenpaketen dann entsprechend ihrer Bedeutung für viele Empfänger einen höheren Stellenwert einräumt, darf nicht dazu führen, dass das Netz für alle langsamer wird – setzt also einen entsprechenden Netzausbau voraus. Eine Verpflichtung der Provider zur Bevorzugung zum Beispiel des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gibt es nämlich im Grunde bereits jetzt.

Doch auch bei diesen Diensten muss Plattformneutralität gelten: Der Zugang zu diesen Diensten muss allen Teilnehmern – Anbietern wie Nutzern – gleichermaßen und diskriminierungsfrei zur Verfügung stehen. Das ist nicht nur technisch möglich, das ist nötig und geboten.

Spezialdienste machen nur auf eigenen, dedizierten Systemen Sinn. Dann wird aus dem Spezialdienst eine Zusatzleistung, die eine eigene Bepreisung rechtfertigt. Eine Ausrede, damit auf den dringend notwendigen Netzausbau zu verzichten, dürfen Spezialdienste nicht sein. Die Ausgliederung eines Teils von Internetdiensten ist jedenfalls immer eine Verletzung der Netzneutralität. Und durch diese Tür sollten wir nicht gehen.