Am 7. Juli 2016 wurde mein Antrag „Rechtsverschärfungen des SGB II im Bundesrat stoppen – ein sanktionsfreies Existenzminimum sichern!“ im Landtag debattiert. Es bezieht sich auf einen Gesetzentwurf der Bundesregierung zu sogenannten „Rechtsvereinfachungen“ im Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Die Bundestagsfraktion der Linken hat bereits nachdrückliche Kritik daran geübt (siehe auch das Flugblatt der Fraktion: Schlimmer geht immer – Mit Union und SPD geht Hartz IV-Drangsal weiter und die Rede von Matthias W. Birkwald zum Thema). Nichts desto trotz wurde das Gesetz mit den Stimmen der großen Koalition beschlossen und dem Bundesrat zur Beschlussfassung vorgelegt. Die Beratung dazu war schon für den 8. Juli terminiert, auch da wurde der Beschluss durchgewunken.
Ich hatte beantragt, dass wir im Landtag NRW beschließen, dass die Landesregierung diesen Gesetzentwurf ablehnen soll. Darüber hinaus ist es natürlich dringend nötig, ein sanktionsfreies Existenz- und Teilhabeminimum zu schaffen.
Folgendes habe ich beantragt:
Der Landtag soll feststellen:
- Die Regelungen von Hartz IV sind für Leistungsberechtigte übermäßig kompliziert, intransparent und unverständlich, sowie mit einem übermäßigen Aufwand für die Verwaltung versehen.
- Der Landtag begrüßt Bemühungen, den Bezug von Leistungen nach SGB II zu vereinfachen und den Verwaltungsaufwand abzubauen.
- Vereinfachungen müssen sowohl aus Sicht der Verwaltung als auch aus Sicht der Leistungsberechtigten erfolgen. Betroffene, Sozial- und Wohlfahrtsverbände sowie Gewerkschaften müssen an der Entwicklung dieser Vereinfachungen beteiligt werden.
- Ein Grundrecht darf man nicht kürzen. Leistungen müssen existenzsichernd sein. Das Existenz- und Teilhabeminimum darf nicht sanktioniert werden.
- Leistungsberechtigte sind keine Bürger zweiter Klasse. Für sie müssen dieselben Verfahrensrechte gelten wie sie im allgemeinen Verwaltungs- und Sozialrecht bestehen.
Der Landtag soll die Landesregierung dazu auffordern,
- sich bei den Beratungen im Bundesrat gegen diesem Gesetzentwurf zu positionieren und auszusprechen;
- sich auf allen politischen Ebenen für eine sanktionsfreie Mindestsicherung und gegen Sanktionen unter das Existenz- und Teilhabeminimum einzusetzen;
- eine echte Vereinfachung des SGB II anzuregen, die sowohl aus der Perspektive der Verwaltung als auch der der Leistungsberechtigten gesehen wird, und an deren Entwicklung auch Betroffene, Sozial- und Wohlfahrtsverbände sowie Gewerkschaften beteiligt sind.
Der Antrag wurde mit den Stimmen von CDU, SPD, Grünen und FDP abgelehnt.
Folgende Rede habe ich anlässlich des Antrages im Landtag gehalten (es gilt das gesprochene Wort):
Ein Minimum, das ist der niedrigstmögliche Wert. So definiert das Websters Dictionary. Der Duden nennt als Synonym des Minimums den Begriff „Mindestmaß“. Und in der Mathematik ist das Minimum ein unterer Extremwert. Nur unser Sozialstaat bringt es fertig, Minima auch noch zu unterschreiten: Nämlich das Existenzminimum. Und damit auch das Mindestmaß an Menschenwürde.
Derzeit ist es nämlich so, dass durch Fehlverhalten der Leistungsberechtigten den Agenturen gegenüber Sanktionen verhängt werden, die den Bezug bis unter das Existenzminimum drücken können. Sanktionen können z.B. direkt in die Obdachlosigkeit führen, sie verursachen Hunger und existentielle Not.
Dass ich Sanktionen grundsätzlich ungeeignet finde, Leistungsberechtigte zu einem bestimmten Verhalten zu bewegen, sei nur am Rande erwähnt, jedenfalls widerspricht diese Art der Bestrafung der Menschenwürde, damit erniedrigt und entmündigt man erwachsene Menschen. Selbstverantwortung und Selbstbewusstsein werden damit jedenfalls torpediert und nicht ermutigt oder gestärkt.
Das derzeitige Niveau der sozialen Sicherung im SGB II ermöglicht schon jetzt nicht eine würdige Existenz und angemessene Teilhabe. Welche Teilhabe an Bildung können 1 Euro 54 im Monat überhaupt ermöglichen? Davon kann man sich nicht mal ein einziges Buch, eine einzige Zeitschrift kaufen. Kann man sich von 25 Euro 45 für Transport und Verkehr ein Monatsticket leisten, um an gesellschaftlichem Leben teilhaben zu können? Selbst das Sozialticket in unserem Bundesland ist 10 Euro teurer, und damit sind lediglich Nahverkehrsfahrten möglich. Und mit 8 Euro ein Restaurant zu besuchen ermöglicht doch allenfalls einen kleinen Salat und ein Wasser. So ein Regelsatz ist staatlich verordnete Armut. Das ist unwürdig, Hartz IV muss weg.
Aber wenigstens dieser Regelsatz, wenigstens das geringe, was man sich da zusammengerechnet hat, sollte als Sofortmaßnahme doch bitte sanktionsfrei gestellt sein. Und anschließend ein angemessener Betrag sichergestellt werden. Alles andere ist menschenunwürdig. Ich möchte nicht immer an den Artikel 1 des Grundgesetzes erinnern müssen.
Meine Damen und Herren, der Bundestag hat im Juni ein Gesetz zu sogenannten „Rechtsvereinfachungen“ im SGB II beschlossen. Von Vereinfachungen kann man aber nicht sprechen, jedenfalls nicht aus der Sicht der Leistungsberechtigten, im Gegenteil: Deren Rechte bleiben reduziert, sie sind kompliziert zu erlangen und Berechnungen sind intransparent.
Es spricht ja nichts gegen Abbau von Verwaltungsoverhead und Vereinfachungen im Leistungsbezug. Aber warum fragt man nicht Betroffene, Sozial- und Wohlfahrtsverbände oder Gewerkschaften – also diejenigen, die tagtäglich mit den Problemen des SGB II konfrontiert werden? Anlässlich des Änderungsgesetzes gibt es z.B. einen detaillierten Vorschlag des Wuppertaler Sozialhilfeverein Tacheles e.V., initiiert von Harald Thomé. Warum hört man diese Fachleute, diese Verbände nicht an?
Ein weiteres Problem möchte ich noch ansprechen: Im SGB II gibt es Fristverkürzungen zu Lasten der Leistungsberechtigten, die deutlich unterhalb der üblichen Fristen der sonstigen Sozialgesetzgebung liegen. Das führt zum Beispiel dazu, dass Bescheide nach einem Jahr Bestandskraft erhalten, selbst wenn sich später gerichtlich deren Rechtswidrigkeit zeigt. Sind nun alle Menschen vor dem Gesetz gleich, oder sind die SGB II-Berechtigten Bürger zweiter Klasse mit minderen Rechten? Hier muss doch wohl auch dringend Gerechtigkeit hergestellt werden.
Es freut mich sehr, dass wir gemeinsam mit meinem Antrag heute einen Antrag der SPD und Bündnis 90 / Die Grünen behandeln, der ebenfalls eine Ungerechtigkeit im SGB II-Bezug thematisiert. Dort geht es um Umgangsmehrbedarf, den Alleinerziehende mit Kindern haben. Auch die regierungstragenden Fraktionen haben hier also einen dringenden Verbesserungsbedarf festgestellt.
Dann möge doch die Regierung des Landes diesen Verbesserungsbedarf im Bundesrat aufgreifen und sich für eine echte Rechtsvereinfachung, auch aus Sicht der Leistungsberechtigten, einsetzen. Diese sogenannte „Rechtsvereinfachung“ wird nämlich im Bundesrat ab diesem Freitag behandelt. Sie haben in ihrem Antrag nur einen kleinen Punkt aufgegriffen, es gibt doch noch so viel mehr zu beanstanden, das müssen Sie doch auch sehen. Bei der Gelegenheit, machen Sie sich ehrlich, schaffen ein echtes, sanktionsfreies Existenz- und Teilhabeminimum und beseitigen das Sonderunrecht vor den Sozialgerichten. Sie sitzen da am Drücker, also: drücken Sie sich nicht.
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