Heute kam die Antwort von Innenminister Jäger auf meine Kleine Anfrage, inwieweit die NSU-Morde – oder irgendeine Terrortat rechtsextremen Hintergrundes – durch den Einsatz des Staatstrojaners verhindert oder zumindest aufgeklärt hätte werden können. Ihr erinnert Euch, im Koalitionsvertrag hatte die neue Regierung aus SPD und Bündnis 90 / Die Grünen eine gesetzliche Grundlage für den Einsatz des Staatstrojaners verabredet, und das ausgerechnet mit den Morden der Terrorzelle „NSU“ begründet.
Heute wurde die Antwort der Landesregierung veröffentlicht, verfasst von Innenminister Jäger. Wie sich zeigt, gibt es nicht den geringsten Hinweis. Ich bin zwar nicht überrascht, dennoch ziemlich sauer. Folgende Pressemitteilung haben wir daraufhin herausgegeben:
MdL Schwerd: Jäger missbraucht NSU-Opfer für Schnüffelprogramm
Daniel Schwerd, Netzpolitischer Sprecher der Piratenfraktion im Landtag NRW: „Die rot-grüne Landesregierung will den Staatstrojaner durchsetzen und missbraucht dafür die Mordopfer der Zwickauer Terrorzelle.“
Diese Verbindung zwischen Rechtsterrorismus und Quellen-Telekommunikationsüberwachung (TKÜ) bewertet Schwerd als „offensichtlich konstruiert und frei aus der Luft gegriffen“. Die Antwort auf eine Kleine Anfrage Schwerds, die heute in der Drucksache 16/425 veröffentlicht wird, bestätigt seine Auffassung. Darin kann NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD) keinerlei Anhaltspunkte dafür liefern, dass eine der NSU-Taten mit der Online-Durchsuchung verhinderbar oder zumindest aufklärbar gewesen wäre.
Die NRW-Landesregierung hat in ihrem Koalitionsvertrag vorgesehen, eine gesetzliche Grundlage für den Einsatz der TKÜ zu schaffen. Dabei hat schon 2008 das Bundesverfassungsgericht solchen Staatstrojanern enge Grenzen gesetzt: Online-Durchsuchungen dürfen nur zur Abwehr einer konkreten Gefahr für Leib und Leben o. ä. eingesetzt werden. Das Gericht erklärte das entsprechende Gesetz der damaligen schwarz-gelben Landesregierung für verfassungswidrig.
„Ich finde es schäbig, Mordopfer zu missbrauchen, um den Staatstrojaner zu begründen“, meint Schwerd. „Der Ruf nach mehr Überwachung der Bürger wird mittlerweile reflexartig bei allen möglichen Straftaten erhoben, ohne dass sich nachweisen lässt, dadurch mehr Sicherheit zu erreichen.“
Die Frage, warum man dieses Instrument ausgerechnet dem Verfassungsschutz in die Hand geben will, der über keine Befugnisse zur Abwehr solcher Gefahren verfügt, konnte Innenminister Jäger ebenfalls nicht überzeugend beantworten. „Der Hinweis, dass der Verfassungsschutz diese Informationen dann mit der Polizei teilen will, ist nicht überzeugend“, so Schwerd.
Zwei weitere Fragen drängen sich Schwerd auf: Hat sich der Verfassungsschutz etwa durch das Schreddern von NSU-Akten nach Bekanntwerden der Affäre qualifiziert, ein derartiges Abhörinstrument zu erhalten? Und ist nicht gerade der Verfassungsschutz dadurch aufgefallen, trotz V-Leuten und Überwachung der Szene von den Terrorakten der Gruppe keinerlei Ahnung gehabt zu haben?
Minister Jäger kann auf Nachfrage keine Maßnahmen nennen, wodurch der Staatstrojaner auf die Überwachung von Telekommunikation an der Quelle begrenzt bleibt: Er gibt keine Hinweise darauf, wie private Daten auf den Computern geschützt werden können. „Selbst ausgewiesene IT-Experten und Bürgerrechtler melden Zweifel an der technischen Umsetzbarkeit an. Ich kann mir nicht vorstellen, wie das Schnüffelprogramm in Einklang mit den vom Verfassungsgericht aufgezeigten Grenzen gebracht werden kann“, so Schwerd.
Quellen:
Kleine Angrage
Antwort auf Kleine Anfrage
Pressemitteilung
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Der Koalitionsvertrag begründet mit den NSU-Morden die Forderung, den Verfassungsschutz transparenter zu gestalten (Zeile 7041-7045). Die Forderung nach einer TKÜ wird damit begründet mit dem Satz: „Das taktische Verhalten und technische Vorgehen der Gegner und Gegnerinnen der Demokratie hat sich verändert.“ (Zeilen 7058-7059) Die Behauptung, dass der Staatstrojaner im Koalitionsvertrag mit den NSU-Toten rechtfertigt wird, ist gelogen. http://www.gruene-nrw.de/fileadmin/user_upload/gruene-nrw/politik-und-themen/12/koalitionsvertrag/Koalitionsvertrag_2012-2017.pdf
Sie zitieren auch nur die Teile aus dem Koalitionsvertrag, die Ihnen genehm sind, richtig?
Der ganze Abschnitt ist betitelt mit „Wir stärken die Verfassung und schärfen die Instrumente im Kampf gegen Rechtsextremismus“ (Zeilen 7038 & 7039). Direkt im ersten Satz dieses Absatzes (Zeile 7041) wird auf die „menschenverachtenden NSU-Morde“ Bezug genommen. Und als Instrument im Kampf gegen Rechtsextremismus wird die TKÜ vorgestellt: „Wir wollen dem Verfassungsschutz NRW die sog. Quellen-Telekommunikationsüberwachung (TKÜ) ermöglichen und die gesetzliche Grundlage dafür schaffen.“ (Zeilen 7060 bis 7062).
Auf meine Anfrage, inwieweit die TKÜ Rechtsterrorismus verhindern oder aufklären könnte, bleibt die Regierung die Antwort schuldig. Der von Ihnen zitierte Satz “Das taktische Verhalten und technische Vorgehen der Gegner und Gegnerinnen der Demokratie hat sich verändert” (Zeilen 7058-7059) mag unbestritten sein, dass die TKÜ jedoch ein deswegen notwendiges Instrument wird, offensichtlich unbeweisbar und reine Hoffnung von innenpolitischen Scharfmachern. Ich habe ausdrücklich sowohl nach den NSU-Morden als auch nach Rechtsterrorismus allgemein gefragt.
Den Zusammenhang stellt der Koalitionsvertrag durch die Überschrift und die explizite Erwähnung im ersten Satz selbst her. Sich jetzt auf den Standpunkt zu stellen, die Überschrift und der erste Satz hätte nichts mit dem Inhalt des Kapitels zu tun, ist absurd.
Wenn die TKÜ also ein Instrument zur Stärkung der Verfassung im Kampf gegen Rechtsterrorismus sein soll, ohne dass ein Beleg dafür beibringbar ist, dass sie irgend einen Nutzen hat, ist der Zusammenhang missbräuchlich.
Hanebüchen ist die Vorstellung, die TKÜ könnte irgend etwas an der Transparenz im Verfassungsschutz oder dem verlorenen Vertrauen der Bürger in den Verfassungsschutz ändern.