Und ihr glaubt, der JMStV betrifft Euch nicht?

Nachdem in der Bloggosphäre viel Aufregung wegen des geplanten neuen Jugendmedienschutz-Staatsvertrags herrschte, versuchten einige Stimmen die Debatte vermeintlich zu versachlichen. Angeblich würde es die meisten gar nicht betreffen, da diese ja keine “entwicklungsbeeinträchtigenden” Inhalte veröffentlichen.

Abgesehen davon, dass das Internet nicht nur aus Bloggern, sondern auch aus vielen kleinen Unternehmern, Foren- und Portalbetreibern oder sonstigen Webseitenbetreibern besteht – wie schnell Inhalte Jugendschutz-Kontrolleure auf den Plan rufen, konnte man z.B. schon vor drei Jahren feststellen. Damals hatte “Jugendschutz.net” (welches vom Familienministerium unterstützt wird) den Betreiber der Witzeseite “Witzdestages.net” wie folgt angeschrieben:

Nach Überprüfung der Website witzdestages.net mache ich Sie als Verantwortlichen darauf aufmerksam, dass dort entwicklungsbeeinträchtigende Inhalt frei zugänglich sind.

Das Angebot ist entwicklungsbeeinträchtigend nach § 5 Abs.1 JMStV (Entwicklungsbeeinträchtigung Minderjähriger). Beispielsweise ist aus meiner Sicht zu beanstanden:
– Rubriken: “Nationalitäten”, “Frivole und versaute Witze” und “Blondinnen”

Das Angebot ist als entwicklungsbeeinträchtigend zu qualifizieren, da bei den Witzen vorwiegend in den Rubriken “Nationalitäten”, “Frivole und versaute Witze” oder “Blondinnen” eine geschmacklose Abwertung in Form von Belustigung über gewisse ethnische Gruppen, Sexualität und Frauen sowie ein problematisches Frauenbild (Betrachtung der Frau als Sexobjekt, Gegenstand etc.) vermittelt wird. Diese Inhalte überschreiten die allgemeinen Wertvorstellungen über die Grenzen des sozialen und allgemeinen Anstand und können somit Kinder und Jugendliche in ihrer sozialen Entwicklung stark beeinflussen.


(Quelle)

Im Übrigen sah man den Betreiber verantwortlich für die Kommentare der Nutzer auf seiner Seite, und forderte ihn auf, einen Jugendschutzbeauftragten zu benennen.

Geschmacklose Witze sind jugendbeeinträchtigend? Dann sollte man dringend das Niveau von Witzen auf dem Schulhof überprüfen.

Ahnt man nun, was uns bevorsteht? Glaubt ihr, als kleiner Webseitenbetreiber nicht in den Fokus der Saubermänner geraten zu können? Ich bin mir da nicht so sicher. Wie soll man seine Angebote ernsthaft selbst einschätzen können, wenn uns solcher Wahnsinn bevorsteht?

Update

Richtig – was Jugendschutz.net schreibt, muss nicht unbedingt richtig sein. Aber was glaubt ihr, was passieren wird, wenn das mit einer vierstelligen Kostennote vom Anwalt kommt? Viele werden einknicken und zahlen, ihr Angebot ab 18 labeln bzw. nur ab 22 Uhr anzeigen oder gleich ganz offline nehmen.

Und nicht jeder Webmaster betreibt eine Witzeseite, auch das ist richtig. Aber vermutlich wird man in jedem zweiten deutschen Forum in der Offtopic-Ecke einen Blondinenwitz finden. Viel Spaß.

JMStV in NRW durchgewunken?

Gestern schallte es durch die Blogosphäre: Die Grünen in NRW wollen dem JMStV zustimmen. Das wäre natürlich eine Katastrophe, ein Schlag ins Gesicht der Netzgemeinde und eine Bankrotterklärung der Medien- und Netzkompetenz der Grünen. Mir lag schon ein umfangreicher Rant auf der Zunge, als dann heute von den Grünen dementiert wurde – man wolle jetzt doch noch mal mit der SPD über den Jugendmedienschutzstaatsvertrag reden.

Nicht mehr ganz so alarmiert, aber noch beunruhigt sind jetzt die diversen Blogger, die sich schon überlegen, wie sie die Auflagen des Jugendschutzes ab dem 01.01.2011 überhaupt erfüllen können. Erste Blogger veröffentlichen schon Stellungnahmen, nach denen sie ihr Webangebot abschalten werden, z.B. Kristian Köhntopp und VZLog. Andere veröffentlichen trotzige Durchhalteparolen, was ab dem 01.01. ziemlich teuer werden kann. Wir werden das sehr genau beobachten müssen, denn es betrifft uns alle.

Das putzige Bild stammt übrigens vom Pantoffelpunk, vielen Dank!

Ich habe keine Angst

…zumindest keine vor islamischem Terrorismus. Diese Gefahr ist nämlich absurd. Oder wieviele Opfer hat er in Deutschland bereits gefordert? Ist ein herrenloser Koffer auf einem namibischen Flughafen Grund für Terrorpanik? Sind Youtube-Videos vermeintlicher “Gefährder” Grund für ein Massenaufgebot von maschinenpistolenbehangenen Polizisten?

Ich habe sehr wohl Angst – nämlich Angst um meine Kinder, die Gesundheit meiner Familie, Angst um unser aller Freiheit.

Ich habe Angst vor Politikern, die schamlos die Angst der Bürger instrumentalisieren, um Bürgerrechte einzuschränken. Ich habe Angst vor einer Zukunft der Duckmäuser und Blockwarte, vor einer Zukunft ohne Meinungs- und Bewegungsfreiheit. Angst davor, dass ein Turban, ein Vollbart, eine fremde Sprache bald wieder reicht, sich in einem Internierungslager wiederzufinden.

Ich habe Angst vor Politikern, die unsere Gesundheit und die der nachfolgenden Generationen an Konzerne verkaufen. Ich habe Angst vor einer “Nach uns die Sintflut”-Mentalität alternder Politiker, Lobbyisten und Konzernlenker, die unseren Kindern nur eine Müllhalde hinterlassen. Ich habe Angst vor rosigen Fässern mit jahrtausendelang strahlendem Abfall, dessen Entsorgung bislang vollkommen ungeklärt ist.

Angst darf uns aber nicht erstarren lassen. Wir müssen JETZT dagegen aufstehen und Stellung beziehen – auf das wir uns nicht einschüchtern lassen. Lasst uns den Politikern sagen, dass es so nicht geht, dass wir uns keine Angst machen lassen!

Diesen Artikel habe ich an die tolle Aktion Wir haben keine Angst von Mario Sixtus gesendet. Dankeschön dafür! Empfehlung an alle: Mitmachen!

Wir haben keine Angst

Streetview: Widerspruch gegen Widerspruch

Seit heute Nacht ist es endlich online, Google Street View für Deutschland – zumindest für die zwanzig größten Städte, und damit auch für Köln. Ich habe mich gleich auf einen virtuellen Streifzug gemacht – und bin an diversen Stellen vor virtuelle Milchglasscheiben gelaufen. An dieser Stelle hat nämlich ein Anwohner von der Möglichkeit gebraucht gemacht, Widerspruch einzulegen.

Dazu muss man wissen, dass ein gewisser Teil unserer Bevölkerung die Privatsphäre seiner Hausfassade sehr hoch einschätzt (ich fürchte, dass die meisten gleichzeitig wenig wissen über ACTA, Zensus 11, die Vorratsdatenspeicherung oder ELENA, die einen ungleich höheren Eingriff in Privatsphäre und Datenschutz darstellen). Google hat auf diese Bedenken Rücksicht genommen und das Widerspruchsrecht eingeräumt. Man muss aber genauso wissen, dass es keine Rechtsgrundlage für einen Widerspruch gibt – dies ist eine freiwillige Maßnahme des amerikanischen Konzerns. Es verhält sich nämlich genau andersherum: In Deutschland gilt die sogenannte Panoramafreiheit: Von öffentlichen Verkehrswegen aus sichtbare Werke dürfen fotografiert und bildlich wiedergegeben werden. Eine Veröffentlichung kann man nicht verbieten, selbst wenn sie kommerziellen Zwecken dient – dies ist ausdrücklich in §59 UrhG so geregelt. Einschlägige Urteile des Bundesgerichtshofes gibt es ebenfalls.

Somit beugt sich Google ohne Not den Bedenkenträgern der Veröffentlichung, und schafft einen Wald von „Pixelbomben“ in der Street View-Ansicht unserer Städte. Interessanterweise gibt es von einigen Städten bereits seit Jahren Ansichten von Einzelhäusern in Internet von unterschiedlichen Anbietern, ohne dass es solche Empörung gegeben hätte – hier trifft es den vermeintlich bösen internationalen Konzern, vermutlich auch aus Unkenntnis der Rechtslage und des Ist-Zustandes im Netz.

Bemerkenswert ist auch der Dienst Panoramio, über den Nutzer die von Ihnen geschossenen Fotos veröffentlicht und verteilt. Dessen Fotos können nämlich in Google Street View integriert angezeigt werden, teilweise sogar perspektivisch korrekt. Wenn also ein Nutzer ein Foto eines verpixelten Hauses anfertigt und hochläd, wird die Fassade in Streetview also wieder angezeigt – womöglich sogar aktueller und besser aufgelöst als es das Streetview-Foto ursprünglich war. Und eine Widerspruchsmöglichkeit hier gibt es nicht. In diesem Falle haben sich die Widersprecher einen Bärendienst erwiesen.

Es gibt jedoch auch noch eine weitere Komponente dieses Streites: Die öffentliche Ansicht unserer Städte ist ein Allgemeingut. Das Durchwandern unserer Städte und das Betrachten des Panoramas ist ein kulturelles Erlebnis – dies wird jedoch erheblich eingeschränkt durch die Bemühungen einer Minderheit, ihre Hausansichten durch ihren Widerspruch aus der Öffentlichkeit herauszuholen und in eine Privatheit zurückzustoßen, die in Wirklichkeit gar nicht existiert. Die „digitale Öffentlichkeit“ unserer Städte wird dadurch zensiert.

Es wurden ganze Häuserfronten verpixelt, wenn nur ein Bewohner des Hauses Widerspruch einlegte – auf eventuelle abweichende Wünsche der anderen Bewohner wurde keine Rücksicht genommen. Es wurden auch Firmen, sogar die Parteizentrale der GRÜNEN ist verpixelt – hier frage ich mich, wessen Persönlichkeitsrechte überhaupt betroffen sein könnten. Durch die Verpixelung werden teilweise auch Nachbarhäuser verdeckt, oder ein im Erdgeschoss befindliches Ladengeschäft, was dadurch den erheblichen Werbeeffekt verliert.

Dies brachte mich auf die Idee des „Widerspruchs gegen den Widerspruch“. Wenn Google auf den Widerspruch der Bewohner eines Hauses reagiert, so müssten sie sich auch mit dem Widerspruch gegen die Verpixelung auseinandersetzen.
Wer mag, kann den folgenden Text verwenden und an Google senden. Ich habe mich an den Musterwiderspruch des Bundesministeriums für Verbraucher orientiert:

(Datum)
(Vor- und Zuname)
(Adresszusatz)
(Straße und Hausnummer
(PLZ, Ort)

Google Germany GmbH
Betr.: Street View
ABC-Straße 19

20354 Hamburg

Per E-Mail: streetview-deutschland@google.com

Widerspruch gegen einen Widerspruch gegen Veröffentlichungen durch den
Internetdienst Google Street View

Sehr geehrte Damen und Herren,

gegen die Speicherung und Veröffentlichung von Abbildungen meines/des von mir bewohnten Hauses durch den Internetdienst Google Street View wurde durch einen anderen Inhaber/Bewohner/Nachbar Widerspruch eingelegt.

Mit diesem Widerspruch bin ich nicht einverstanden, er wurde ohne meine Erlaubnis oder meine Zustimmung eingelegt. Ich widerspreche daher diesem Widerspruch, und wünsche ausdrücklich die Speicherung und Veröffentlichung von Abbildungen meines/des von mir bewohnten Hauses durch den Internetdienst Google Street View.

Es handelt sich um die Liegenschaft:
(Straße, Hausnummer) (PLZ, Ortsname)

Nähere Beschreibung:
(Beschreibung ergänzen)

Diese Daten dürfen nur zur Bearbeitung des Widerspruchs gegen einen eventuellen
Widerspruch verwendet werden. Einer Nutzung oder Verarbeitung zu anderen Zwecken oder durch Dritte widerspreche ich ausdrücklich.

Um die Bestätigung des Eingangs und Berücksichtigung meines Widerspruchs wird gebeten.

Mit freundlichen Grüßen
(Ort, Datum)
(Unterschrift)

Expertenrunde zum JMStV mit Matthi Bolte

Gestern habe ich an einer kleinen Experten-Runde bei den Grünen im Landtag NRW zum Thema Jugendmedienschutz-Staatsvertrag JMStV teilgenommen. Nach einer vergleichbaren Veranstaltung in Köln mit Marc Jan Eumann vor einigen Wochen (Bericht hier) haben wir uns um einen Termin bei den Grünen bemüht.

Gesprochen haben wir dort mit Matthi Bolte (@matthi_bolte), innenpolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion im Landtag, da auch für Netzpolitik zuständig, sowie Eva Brockelmann. Weiter anwesend waren wieder Jürgen Ertelt (@ertelt), Medienpädagoge von Jugend-Online (IJAB), Kai Schmalenbach (@dave_kay), Sysadmin und mit dem JMStV befasster Pirat aus Düsseldorf, der Juso und Blogger Jens Matheuszik vom Pottblog (@pottblog) und meine Wenigkeit als Vorstandsvorsitzender des KV Köln der Piraten und Internetunternehmer (@netnrd). Ausserdem hatten wir diesesmal Alvar Freude (@alvar_f) vom AK-Zensur dabei, sowie den Blogger Peter Piksa (@karpfenpeter), der ebenfalls im AK-Zensur ist.

Entgegen meiner ursprünglichen Vermutung hat Matthi Bolte gar nicht versucht, den Entwurf des Staatsvertrages zu verteidigen. Auch das Kontinuitätsgebot hat er nicht wieder erwähnt. Er sprach zunächst von dem Konstrukt “Staatsvertrag”, welches eben leider nicht parlamentarisch entsteht, sondern als vorbereiteter Vertrag in die Parlamente zur Ratifizierung durchgereicht wird. Jürgen Ertelt wies darauf hin, dass Gesetze nicht intransparent in Hinterzimmern unter Umgehung der Parlamente entstehen sollten, sondern dass sie einen parlamentarischen Prozess durchlaufen sollten mit Einbeziehung der gewählten Volksvertreter, und dass es dort die Möglichkeit geben muss, Einfluss auf die Ausgestaltung des Gesetzes zu nehmen. Der JMStV steht in seinen Auswirkungen einem Gesetz nicht nach, auch wenn er anders heißt.

Alvar Freude beschrieb dann die Auswirkungen des JMStV auf das Internet, insbesondere auf Webseiten-Betreiber und Anbieter, wobei er auch auf die Probleme des Anbieterbegriffs einging. Besonders ausführlich ging er auf den Umstand ein, dass mit dem JMStV eine Pflicht auf alle Webseitenbetreiber zukommt. So ist die Labelung des Angebotes zwar freiwillig – geschieht sie jedoch nicht, muss ein Angebot entweder Sendezeiten oder Zugangskontrolle einführen, wenn es “jugendbeeinträchtigende Inhalte” enthält.

Dies ist vielen – selbst vielen Piraten – so gar nicht klar. Wer nicht labelt, ist nicht automatisch “Ü18″. Wenn er keine der anderen beiden Lösungen anwendet, drohen erhebliche Schwierigkeiten.

Da mit Beginn der Gültigkeit des JMStV womöglich keine Filtersoftware zur Verfügung steht – immerhin soll er ja bereits am 1. Januar in Kraft sein – entfällt die Labelungs-Möglichkeit de facto. Es bliebe dann nur der Weg zu Sendezeiten, da eine Zugangskontrolle in der Regel mit hohen Kosten für Webseitenbetreiber verbunden sein dürfte (etwa bei PostIdent-Verfahren).

Die Freiwilligkeit der Labelung steht nur auf dem Papier – der Betreiber hat keine Möglichkeit, “nichts” zu tun, er kann sich nur zwischen mehreren bedenklichen Alternativen entscheiden.

Wir gingen auch auf die Haftungsfragen ein, etwa dass wettbewerbsrechtliche Probleme bei Falscheinstufungen drohen, und damit ein großes Feld für Abmahnungen und hoher Aufwand für die Justiz.

Generell ist davon auszugehen, dass viele Betreiber aus Sicherheitsgründen eher schärfer einstufen, oder direkt erst ab 18 Jahren freigeben. Ausländische Angebote sind in der Regel gar nicht gelabelt – es könnte sich aber sogar etablieren, die Angebote ab 0 Jahren zu labeln, um möglichst viele deutsche Besucher zu erhalten – Sanktionsmöglichkeiten für rein ausländische Anbieter gibt es nicht, zudem wird im jeweiligen Land darin nicht einmal eine Ordnungswidrigkeit bestehen.

Wir sprachen über die Probleme, die Portalseiten mit user-generated Content haben werden, wie Foren oder Social Media. Was passiert, wenn zwei vierzehnjährige Kinder sich in einem Forum über Sex austauschen? Streng genommen müsste man sie jeweils vor den Äußerungen des anderen schützen, sowie die gesamte Kommunikation allen anderen Gleichaltrigen vorenthalten. Wie soll man beispielsweise Wikipedia einstufen?

Wir erwähnten, dass es für Normalsterbliche kaum möglich sein wird, einen bestimmten Inhalt in seiner Altersbeschränkung einzustufen.

Anschließend gingen wir auf die Effekte der Filterung beim Nutzer ein. Es steht außer Frage, dass Kinder ab einem gewissen Alter den technischen Sachverstand haben dürften, Filter zu umgehen, wir vermuten, dass 13jährige Kinder im Computerwissen ihren Eltern voraus sein dürften.

Durch den Overblocking-Effekt werden viele auch sinnvolle Inhalte Jugendlichen vorenthalten. So wird beispielsweise eine französische Schulseite gesperrt sein, die sich ein Schüler über seine Austauschschule ansehen will, weil sie nicht gelabelt ist, oder die Wikipedia, Seiten politischer Parteien u.ä. Viele Eltern werden den Filter nach kurzer Zeit genervt abschalten. Kindern und Jugendlichen wird die Möglichkeit verwehrt, Medienkompetenz auch im Umgang mit kritischen Inhalten zu erlernen.

Die stets betonte Freiwilligkeit der Filterung besteht ja nur bei den Eltern darin, die Filtersoftware einzusetzen oder nicht – für Kinder und Jugendliche gibt es sie nicht.

Oder es besteht die Gefahr, dass Eltern sich blind auf die Sicherungsfunktion verlassen, während die Heranwachsenden die Sperren umgehen, oder ohnehin auf Spielkonsolen oder Mobiltelefone ausgewichen sind, die davon nicht erfasst sind, und so völlig unbegleitet und unvorbereitet mit den bedenklichen Inhalten konfrontiert sind.

Für Matthi Bolte war noch das Zensurargument wichtig, der vermeintliche Widerspruch, dass man einerseits sagt, dass Sperren unwirksam sind, andererseits aber vom Einstieg in die Zensur spricht.

Dem entgegnete ich, dass man zwischen den Maßnahmen, die auf den Computer des Nutzers gerichtet sind, und denen, die auf das Internet gerichtet sind, unterscheiden muss. Die Filtersoftware, die rein lokal installiert ist, ist niemals vollständig sicher. Etwas, was lokal auf dem Computer eingerichtet ist, ist daher auch keine effektive Zensur, da es aushebelbar ist.

Auch bei der Websperren-Diskussion setzte dies auf DNS-Sperren an, die durch eine veränderte Einstellung im Computer des Nutzers zu umgehen ist.

Dennoch stellen sowohl die JMStV-Maßnahmen als auch das “Zensursula”-Stoppschild den Einstieg in die Zensur dar. Zensiert wird nämlich die Kommunikation des “normalen” Nutzers, der mit seinem unveränderten Computer unterwegs ist.

Gleichzeitig schweben aber weitergehende Eingriffe als Damoklesschwert über dem Internet. Es steht zu befürchten, dass wenn die Schwäche der Filtersoftware offenbar ist, dann doch nach einer Verpflichtung der Zugangsprovider gerufen wird, den Datenverkehr ihrer Nutzer zu überwachen.

Nicht zu verachten ist die “innere Zensur”, die durch den JMStV auf Publisherseite entsteht. Und im Web2.0 ist quasi jeder Publisher. Jeder Blogger, jeder Forenbenutzer könnte sich anhand des technischen Aufwandes und unbestimmter Haftungsrisiken in Zukunft zurückhalten. Ein durchschnittlicher kleiner Webseitenbetreiber wird bei der ersten anwaltlichen Abmahnung sein Angebot vollständig schließen.

Dies bedeutet in Summe einen erheblichen Eingriff in das heutige Web2.0 – absurderweise genau jetzt, wo so sehr nach fachlichem Nachwuchs gesucht wird.

Wir wiesen darauf hin, dass bei der Ablehnung des Entwurfs keine Regelungslücke entsteht – der jetzige JMStV würde dann weiterhin gelten. Es besteht also keine Notwendigkeit, den Antrag jetzt anzunehmen, sondern man kann sich durchaus die Zeit nehmen, die Regelungen zu überarbeiten, und darin die Stärkung der Medienkompetenz in den Vordergrund zu rücken.

Matthi Bolte machte sich fleißig Notizen, ich hatte den Eindruck, er sucht ganz gezielt nach den kritischen Fragen, die in der morgigen Anhörung zu stellen sind. Das Argument vom “Kontinuitätsgebot” wiederholte er nicht – vielmehr macht er deutlich, dass die Anhörung ergebnisoffen sein soll, und keineswegs jetzt schon ein Ergebnis feststeht – weder dafür noch dagegen -, aber anschließend eine Empfehlung folgen kann.

Wir würden uns natürlich wünschen, sie würde lauten, den JMStV in der vorgelegten Änderungsform abzulehnen. Der Applaus der Netzcommunity wäre ihr sicher. Jedenfalls wäre eine Zustimmung durch SPD und Grüne quasi der letzte Erfolg der schwarzgelben NRW-Regierung.

Quelle Foto: Jürgen Ertelt

NRW:StrgAltEntf: Grundsätze einer piratischen Landessatzung

Derzeit wird bekanntlich in NRW an einer neuen Satzung gearbeitet, nachdem die “Strukturfrage” im Landesverband eskaliert ist. In der letzten Landesmitgliederversammlung gab es mehrere Anläufe, die Satzung zu überarbeiten, von der aber keine die notwendige Zweidrittelmehrheit erringen konnte. Auch die von mir mitvertretene “Reboot-Satzung” konnte sich nicht durchsetzen.

Um die Patt-Situation zu durchbrechen, haben sich alle Seiten an einen Tisch gesetzt – den sogenannten “Korschenbroicher Kuschel-Kreis”, um einen gemeinsamen Satzungsvorschlag zu erarbeiten. Zwei dieser Runden haben bereits stattgefunden.

Ich habe in einer ruhigen Stunde meine höchstpersönlichen Grundsätze einer solchen möglichen Landessatzung notiert. Dies ist meine persönliche Meinung, ich möchte sie dennoch nicht nur für mich behalten.

Hier gibt es das Ganze als PDF zum Herunterladen:
NRW:StrgAltEntf: Grundsätze einer piratischen Landessatzung

NRW:StrgAltEntf

Meine Grundsätze einer piratischen Landessatzung

Schlankheit

Bei jeder einzelnen Regelung möge man sich überlegen, ob sie unbedingt erforderlich ist. Unbedingt erforderlich sind z.B. Regelungen, die aufgrund gesetzlicher Vorgaben notwendig sind. Ist eine Regelung nicht zwingend, so ist sie wegzulassen – auch wenn es sich um eine „Nice to have“-Regelung handelt.

Regelungen, die keine konkreten Regelungsfolgen haben bzw. unwirksam sind, sollen ebenfalls weglassen werden (Ausnahme: die Präambel). Keine Worthülsen, Füllsätze, keine Kann-Sätze.

Immer dann, wenn es eine gesetzliche Regelung (aus Parteiengesetz, Verbandsrecht oder BGB) gibt, und immer dann, wenn es eine Regelung aus der Bundessatzung gibt, soll auf eine eigene Regelung verzichtet werden, wenn die vorhandene Regelung bereits passt oder größtenteils im Sinne des Landesverbandes ist. Abgewichen werden soll nur, wo es schwerwiegende Gründe dafür gibt (und wo es legal ist).

Freiheit

Die Satzung soll Einzelnen, Minderheiten und Mehrheiten größtmögliche Freiheiten lassen. Dabei ist Freiheit immer die Freiheit der anderen – sie findet dort ihre Grenzen, wo Freiheiten anderer beschränkt werden. Keine Verbote!

Ideologiefreiheit

Piraten haben Wertvorstellungen und Ziele. Diese sind größtenteils einheitlich, es gibt aber auch grundsätzliche Unterschiede innerhalb der Partei. Zudem sind wir ein Verbund von Individuen mit jeweils einheitlichen Wertmaßstäben.

Die Satzung soll, soweit möglich, nicht von Werten gesteuert sein. Zumindest aber sollen Werte nicht durch Satzung „verordnet“ werden. Werte müssen gelebt werden. Die Signalwirkung von Werten in der Satzung (abgesehen von der Präambel) kann man bestreiten. Werte in der Satzung machen nur dann Sinn, wenn der Konsens innerhalb der Partei überwältigend ist, und es keine Wertekollision gibt. (Transparenz vs. Privatsphäre o.ä.)

Strukturfreiheit

Struktur ist kein Wert an sich. Struktur ersetzt keinen Inhalt. Struktur soll Erfordernissen folgen und effektiv sein.

Bürokratie und Formalismus ist abzulehnen. Transparenz ist gut und wichtig, sollte aber nicht in überbordenden Regelungen ausufern – Transparenz ist gegen Freiheit abzuwiegen.

Es soll Gruppen von Piraten erlaubt sein, sich so zu organisieren, wie sie das für richtig und zielführend halten. Grenzen sollen lediglich in der Praktikabilität und in rechtlichen Erfordernissen bestehen.

Dabei soll es jedem einzelnen Piraten freigestellt sein, sich einer solchen Gruppe anzuschließen, bzw. aus einer solchen Gruppe auszutreten. Nur bei Kleinstgruppen ohne „offiziellen“ Auftrag kann geregelt sein, dass die anderen Mitglieder einem Eintritt zustimmen müssen.

Auch Minderheiten sollen dieses Recht genießen, solange die Freiheit der Mehrheit nicht eingeschränkt wird, und der Piratenpartei dadurch kein übermäßiger Schaden zugefügt wird. Die Toleranz soll dabei größtmöglich sein.

Keine Strukturform soll einer anderen gegenüber bevorzugt oder benachteiligt werden.

  • Es darf keine finanziellen Anreize zur Gründung einer Strukturform geben.
  • Es darf nicht mit finanziellen Nachteilen, Risiken oder erhöhter Haftung verbunden sein, eine bestimmte Form zu wählen.
  • Das Beitragszahlungsrisiko der Mitglieder darf nicht auf einer Strukturebene lasten, sondern muss alle Ebenen gemäß ihrem Anteil betreffen. Beiträge von Mitgliedern sollen von der Struktur nicht vorgestreckt werden müssen.
  • Der Gründung, Änderung oder Auflösung einer Struktur dürfen keine überhöhten formalen Ansprüche entgegenstehen, die Ansprüche müssen genau so niedrig sein, wie es rechtlich vertretbar bzw. geboten ist.
  • Die jeweils übergeordnete Struktur muss die untergeordnete Struktur organisatorisch entlasten, wenn gewünscht, um Synergieeffekte zu erhalten.

Vertrauen und Handlungsfreiheit

Piraten soll Vertrauen entgegen gebracht werden. Vertrauen soll man der Basis, zielführende und sinnvolle Entscheidungen zu treffen, genauso aber einem Vorstand, im Sinne der Partei zielführend zu handeln.

Legitimation ist grundsätzlich zunächst einmal anzunehmen. Aktivität ist grundsätzlich zunächst einmal gut. Nur so lassen sich Themen vorantreiben, Thesen erarbeiten, Wahrnehmung erzeugen. Dies betrifft ausdrücklich alle Ebenen incl. der Basis.

Fehler dürfen gemacht werden (jedenfalls mindestens einmal).

Eine gesunde Kontrolle ist gut, sollte aber einen Vertrauensvorschuss enthalten. Zunächst einmal sollte ein Pirat (egal welcher Ebene) Handlungsfreiheit haben. Es ist uns bekannt, dass Freiheit das Potential zu Missbrauch enthält.

Bekanntermaßen sind Regelungen nicht geeignet, Missbrauch von vorneherein zu verhindern. Vielmehr sollten effektive Maßnahmen bereitstehen, erfolgten Missbrauch zu sanktionieren, zu verwarnen, oder solche Piraten von Ämtern oder ggf. aus der Partei zu entfernen.

Man vergleiche dies bitte mit der Netzsperrendebatte. Auch hier sind wir für eine Freiheit des Internets, die grundlose Überwachungen und Verdächtigungen ablehnt. Wird jedoch eine Straftat begangen, sind auch wir dafür, dass diese effektiv verfolgt und sanktioniert wird.

Analog sehe ich das mit unserer Satzung. Auch der Vorstand soll zunächst einmal handlungsfähig und entscheidungsfähig sein. Die Chance, die ein starker Vorstand den Piraten bietet, ist zumindest so groß, das eine grundsätzliche Vorsicht, er könnte diese Macht missbrauchen, dagegen aufgewogen wird. Man berücksichtige bitte auch, dass der Vorstand gemäß Gesetz mit der Führung des Verbandes beauftragt ist, das Gesetz ihm also bereits diese Macht einräumt. Die mangelnde Wahrnehmung der Piraten liegt auch an der Schwäche unserer „Gallionsfiguren“.

Fairness und Korrektheit

Keine Regelungen mit Hintergedanken. Geregelt werden soll nur genau das, was da steht. Keine Spitzfindigkeiten, keine Winkelzüge, keine kalkulierten Seiteneffekte, der wirkliche Wille soll erforscht werden. Unbeabsichtigte Seiteneffekte sollen unwirksam sein bzw. behoben werden!

Einen kalkulierten oder unabsichtlichen Verstoß gegen Recht wollen wir nicht. Eine Satzung soll von einem Fachanwalt geprüft werden.

Interview mit “Neues Deutschland” zu Liquid Feedback

Heute ist das Interview erschienen, dass das Zentralorgan der Linken “Neues Deutschland” mit mir zum Thema “Liquid Feedback” geführt hat:

http://www.neues-deutschland.de/artikel/181441.liquidfeedback-das-wahl-tool.html

Für die Kolumne “Linke und Technik” liess sich Marcus Meier, Online-Redakteur der Rubrik, von mir das Tool zeigen und stellte eine Reihe von Fragen. Besonders am Delegationsprinzip von LQFB war er interessiert, da sich hier doch ein Spagat zwischen direkter und delegierter Demokratie zeigt. Aber lest einfach selbst.

Expertenrunde zum JMStV mit Marc Jan Eumann

Am Montagabend habe ich an einer kleinen Expertenrunde zum Thema Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV) teilgenommen. Eingeladen hatte Daniel Bär von den Kölner Jusos, um in einem kleinen Kreis mit Marc Jan Eumann, Staatssekretär in NRW und Vorsitzender der Medienkommission der SPD über den JMStV zu diskutieren. Geladen waren eine Auswahl von Netzaktiven und Jusos, die sich mit dem Thema befassen. Über unsere Einladung habe ich mich sehr gefreut.

Zufälligerweise waren alle geladenen externen Experten entweder Piraten oder den Piraten freundschaftlich verbunden. Anwesend war Jürgen Ertelt (@ertelt), Medienpädagoge von Jugend-Online (IJAB), Dominik Boecker (@domainrecht), Fachanwalt für Informationstechnologierecht aus Köln und aktiv im AK Zensur, Kai Schmalenbach (@dave_kay), Sysadmin und mit dem JMStV befasster Pirat aus Düsseldorf, und meine Wenigkeit als Vorstandsvorsitzender des KV Köln der Piraten und als Internetunternehmer (@netnrd). Von den SPD-Jusos waren 5 Personen anwesend, neben dem Gastgeber Daniel Bär (@danielbaer) u.a. auch der Blogger Jens Matheuszik vom Pottblog (@pottblog).

Interessanterweise lehnten alle Anwesenden (außer Herrn Eumann selbst) den JMStV-Entwurf in der vorliegenden Form ab. Auch die Jusos sprechen sich einstimmig gegen die Annahme dieses Vertrages aus.

Eumann stellte zunächst die Situation in groben Zügen dar. Er ging kurz auf das Konstrukt „Staatsvertrag“ ein, und stellte heraus, dass den Landesparlamenten hier nur die Annahme oder die Ablehnung im Ganzen zur Verfügung steht.

Seiner Einschätzung nach werden die CDU-Abgeordneten im Landtag zustimmen, und auch die Mehrheit der SPD-Abgeordneten ist wohl dafür. Ich persönlich vermute, dass es sehr stark von der Empfehlung Eumanns abhängt, wie sich die Fraktion entscheiden wird, da sein Wort in diesem Thema ganz sicher Gewicht haben wird. Ich würde mir wünschen, er würde seine Ansicht überdenken…

Die Grünen werden auch zustimmen, das schloss er aus den auch uns bekannten Äußerungen im Sinne von „Pacta sunt servanda“. Darüber haben sich Piraten an anderer Stelle schon beklagt – doch das ist ein Thema für sich.

Er hält den neuen Vertrag für besser als den derzeit gültigen, jedoch stimmt er in uns darin überein, dass auch der neue noch nicht wirklich gut ist. Seiner Ansicht nach ist der Jugendschutz ein kulturelles gesellschaftliches Gut, den Jugendschutz im Internet solle man nicht aufgeben. Er stellte die Alternativfrage, was denn besser sei als das vorliegende Modell, oder ob man den Jugendschutz im Internet etwa aufgeben solle.

Ihm ist klar, dass keine Filtersoftware absolut sicher sein wird, und dass die meisten Kinder in einem Alter von ca. 11 Jahren technisch versiert genug sein werden, diesen Filter zu umgehen. Genauso wenig stellt er außer Frage, dass die Filtersoftware nicht alle Eltern erreichen wird, da vielen die technischen Fähigkeiten zur Administration eines Computers fehlen werden.

Seiner Meinung nach ist ein schlechter oder lückenhafter Filter immer noch besser als keiner – damit zwar in Widerspruch zu unserer Meinung, aber eine nachvollziehbare und verständliche Ansicht.

Den Einwand, das Vermittlung von Medienkompetenz mindestens denselben, wenn nicht einen höheren Stellenwert haben müsste als das Propagieren einer unzureichenden technischen Lösung, beantwortete er mit dem Hinweis, dass dies nicht Aufgabe des JMStV sei, sondern als separates Projekt auf der Agenda stünde, und in NRW als eines der Kernthemen im Koalitionsvertrag gelte. Dies ist ein Punkt, welchen die Piraten in NRW genau beobachten sollten, ob die Vermittlung von Medienkompetenz an Schüler, Eltern und Lehrer tatsächlich diesen Raum eingeräumt bekommt, und ob entsprechende Maßnahmen tatsächlich ergriffen werden.

Wir wandten uns auch den Seiteneffekten des Filters zu. So setzt die Filtersoftware auf einer freiwilligen Selbstklassifizierung der Webseitenbetreiber auf. Daniel Bär, der die Webseite der Kölner Jusos betreut, nannte es für ihn unmöglich, bereits diese Homepage zu klassifizieren, beispielsweise da er wegen einer Kinoveranstaltung der Jusos einen Trailer eingebaut habe. Ein vergleichbares Problem stellt z.B. die Einstufung der Wikipedia, oder die Einstufung von Web2.0-Seiten mit einem Anteil an von Usern erzeugtem Inhalt generell dar.

Da viele Webseitenbetreiber vor ähnlichen Klassifizierungsproblemen stehen, wird vermutlich oftmals gar keine Klassifizierung durchgeführt, oder sicherheitshalber erst ab 18 freigegeben. Dies wird zu einem Overblocking-Effekt führen. Es werden Kinder am Erwerb von Medienkompetenz gehindert, wenn übermäßig viele Inhalte wie etwa Parteiseiten und Portale vor Ihnen verborgen bleiben. Ausländische Seiten werden ganz überwiegend nicht gerated werden, und sind dadurch Kindern niemals verfügbar. Eltern werden die Software irgendwann genervt ausschalten, wenn sie feststellen, dass zu viele sinnvolle Inhalte für ihre Kinder nicht verfügbar sind.

Auch für Eumann ist Overblocking ein Problem. Er betonte deshalb die im JMStV stehende Vereinbarung, diesen nach drei Jahren zu evaluieren und ggf. anzupassen. Dann könne man die den tatsächlichen Umfang der Filterung und des Einsatzes feststellen.

Natürlich ist drei Jahre im Internet eine Ewigkeit. Jürgen Ertelt forderte daher, dass Evaluation ein kontinuierlicher Prozess sein muss, der quasi von Beginn an vorhanden sein muss.

Was versehentliche Falschklassifikation angeht, oder Falschkassifikation aufgrund von unpassendem user-generated Content, verwies Eumann darauf, dass auf bei versehentlicher oder unbeabsichtigter Falschklassifikation keine strafrechtlichen Konsequenzen folgen. Wie im Telemediengesetz auch haftet man nicht für fremde Inhalte, und hat erst ab Kenntnis zu reagieren, seine Einstufung würde man dann behalten.

Unbekannt war ihm hingegen der wettbewerbsrechtliche Effekt. Eine falsche Altersklassifikation kann Abmahnungen von Wettbewerbern und Wettbewerbshütern nach sich ziehen – eine falsche Einstufung bringt nämlich durch die daraus folgende geringere Filterung einen ungerechtfertigten Wettbewerbsvorteil, und dieser ist – vollkommen unabhängig vom individuellen Verschulden – immer wettbewerbswidrig und abmahnfähig. Eine Störerhaftung trifft auch einen Anbieter oder Provider. Hier öffnet sich ein vollkommen neues Feld für die Abmahnindustrie. Marc Jan Eumann war ganz offensichtlich überrascht über diesen Aspekt und versprach, dies zu prüfen, er machte sich dazu Notizen. Ich (als selbst betroffener Betreiber von Portalseiten) bin hochgespannt, ob sich in diesem Thema noch etwas bewegt.

Ich persönlich finde es bedauerlich, dass man mit einer staatlich verordneten Filtersoftware eine absehbare Totgeburt produziert, die erhebliche Kosten mit zweifelhaften Erfolg verursachen wird, anstelle auf den Wettbewerb zu setzen und die – bereits vorhandenen – Filterprogramme überprüft, empfiehlt und in der Verwendung dieser schult. Eine klassische Whitelistefilterung für kleine Kinder halte ich für die beste Vorgehensweise, sie kommt auch ohne Klassifizierung durch Webseitenbetreiber selbst aus.

Marc Jan Eumann habe ich als einen sehr sympathischen und offenen Menschen erlebt, der einen erheblichen Sachverstand in den Netzthemen hat (ganz im Gegensatz zu manch anderen „Netzexperten“ der etablierten Parteien). Zwar hält er an dem bestehenden Änderungsantrag fest, er ist aber offenbar aufgeschlossen für die geschilderten Probleme, Seiteneffekte und Auswirkungen. Interessant fand ich seine Feststellung, dass er auch in seinem Ministerium erst einmal Knowhow um Netzthemen aufbauen muss, und dass es offenbar fast keine kompetenten Leute gibt.

Wir haben die Bereitschaft herausgestellt, auch in Zukunft an diesem Prozess teilzunehmen, wir werden versuchen, den Kontakt zu halten. Ich bin sehr gespannt, ob die Dialogbereitschaft bestehen bleibt, ich würde mich freuen. Jetzt wäre es eine Herausforderung, auch mit den NRW-Grünen in einen solchen Dialog einzutreten.

De-Mail und die Folgen

Schon länger geistert sie durch die Medien, jetzt wurde sie mit großem Tamtam offiziell angekündigt:
Die “De-Mail“. Bettrieben von der Deutschen Telekom soll sie die Zustellung von E-Mails rechtssicher garantieren, so dass in Zukunft selbst Verträge per E-Mail sicher geschlossen werden können. Darin eingeschlossen ist eine Verschlüsselung sowie eine eindeutige Identifizierung der Teilnehmer. Das System basiert rechtlich auf dem Telemediengesetz, ein separates De-Mail-Gesetz ist in Vorbereitung. Dienstanbieter müssen sich durch das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) akkreditieren lassen.

Im ersten Moment klingt das Angebot verlockend: Kann man doch auf den Versand von Papier verzichten – die De-Mail wird verschlüsselt (während bei normalen E-Mails der Text offen lesbar übertragen wird), und man kann wie bei einem Einschreiben eine Empfangsbestätigung erhalten.

Schaut man jedoch unter die Haube, offenbaren sich einige Nachteile, die meines Erachtens das Angebot für
Privatnutzer höchst gefährlich machen, so dass ich persönlich von der Nutzung abrate. Aber der Reihe nach.

Wer ein De-Mail-Postfach haben möchte, der muss sich zunächst bei einer Postfiliale durch Vorlage seines Personalausweises durch das sogenannte Postident-Verfahren eindeutig identifizieren. Dabei werden die persönlichen Daten des Ausweises inklusive seiner Nummer aufgenommen.

Dies bedeutet, dass eine anonyme Kommunikation über dieses Postfach nicht mehr möglich ist. Alle Kommunikation von oder zu diesem Postfach ist ganz eindeutig dem Nutzer zuzuordnen. Dies ist der erklärte Zweck dieses Systems.

Genauso klar muss dann allerdings sein, dass auch alle Kommunikation zentral in einem System gespeichert wird. Hier entsteht also ein persönliches Gebirge vertraulichster Informationen aller Art an einem Ort, von Kommunikation mit Ämtern, Krankenkassen und Firmen bis hin zu Verträgen, Versicherungspolicen, Behördengängen etc. Es wird erfasst, wann und mit wem Kommunikation welchen Inhaltes geführt wurde. Für Data-Mining-Experten ein Schlaraffenland, um eine intensives Persönlichkeitsprofil zu erstellen. Die Verwendung mehrerer Identitäten, etwa um die Zusammenführung von Informationen zu erschweren, ist nicht möglich. Zudem muss man mit der langfristigen Speicherung aller Verbindungsdaten durch die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung rechnen.

Ich erinnere an die allgemeine Zurückhaltung gegenüber des Google-Postfaches GMail: Es wurde kritisiert, dass die gesamte Kommunikation der Nutzer auf Googles Servern zusammengeführt wird. Aber Google hat keine eindeutigen Informationen über Ihre Identität, und bekommt in der Regel auch keine persönlichen Dokumente zu sehen. De-Mail ist eine viel umfangreichere Datenkrake mit weitaus sensibleren Informationen – zudem auch noch ganz eindeutig einer lebenden Person zugeordnet.

Wer jetzt meint, die Daten seien an dem Ort vor allen Augen geschützt, der unterliegt einem gefährlichem Irrtum. Alle persönlichen Daten des Nutzers sind gem. §113 Telekommunikationsgesetz (TKG) Sicherheitsbehörden und Geheimdiensten herauszugeben – dies auch ohne richterliche Genehmigung. Im Gesetzentwurf zum De-Mail-Dienst geht die Auskunftspflicht sogar noch weiter, und erstreckt sich auf die Anfrage von Firmen und Privatleuten auch ohne richterlichen Titel.

Im Online-Verfahren (§112 TKG) haben über tausend Behörden Zugriff auf die Identität des Nutzers. Eine De-Mail-Adresse ist also vollkommen öffentlich und nicht privat. Dies dürfte den meisten Privatnutzern so nicht klar sein – diese E-Mailadresse ist damit also noch weniger anonym als es der volle Familienname wäre, denn letzterer ist wegen Namensgleichheiten nicht immer einer einzelnen Person zuzuordnen, die De-Mail-Adresse aber schon, einschließlich des Wohnortes, Geburtsdatums und der Ausweisnummer.

Aber nicht nur die Personendaten müssen herausgegeben werden – an Polizei, Geheimdienst und Verfassungsschutz werden sogar Login-Informationen und Passwort herausgegeben, welche dann vollen Zugriff auf alle Kommunikation und gespeicherten Dokumente bekommt. Damit sind dort liegende Dokumente weniger sicher als in der Schublade bei Ihnen zu Hause.

Für die herkömmliche Post hingegen gelten dagegen ganz andere Rechte. Hier gilt das Briefgeheimnis – das Öffnen und Lesen von Briefpost ist weitaus höheren rechtlichen Hürden unterworfen. Aber selbst private E-Mail-Dienstanbieter dürfen Ihre personenbezogene Daten nicht an Firmen oder Privatleute herausgeben, sie machen sich strafbar. Damit ist ihre De-Mail-Post sogar weniger gesichert.

Für den Zugang einer De-Mail gilt eine Beweislastumkehr: Muss im Normalfall der Versender nachweisen, dass seine Sendung beim Empfänger angekommen ist, muss er bei der De-Mail nur den Versand nachweisen. Als Empfänger müsste man im Zweifel beweisen, eine De-Mail NICHT erhalten zu haben. Naturgemäß ist dieser Nachweis nur sehr schwer zu führen: Die Anwesenheit von etwas lässt sich leicht beweisen, aber die Abwesenheit von etwas nur sehr schwer. Dies kann im Zweifel zu Beweisführungsproblemen führen.

Eine Behördenmail gilt laut De-Mail-Gesetzentwurf automatisch als zugestellt, selbst wenn der Nutzer die Email nicht lesen konnte (etwa weil er das Postfach nicht abrief weil ein Computer nicht mehr zur Verfügung stand etc.). Damit könnte ein Bescheid durch eine Behörde wirksam werden, ohne dass der Bürger das überhaupt erfährt, inklusive des Ablaufs einer Einspruchsfrist.

Auch die Verschlüsselung ist nicht so sicher, wie man vermuten mag. Es handelt sich nicht um eine End-To-End-Verschlüsselung, sondern die Nachricht wird erst nach der Einlieferung auf Provider-Seite verschlüsselt, und vor der Auslieferung wieder entschlüsselt. Damit liegt die Nachricht beim Provider selbst unverschlüsselt vor, und könnte da eingesehen werden. Dies stellt eine geringere Sicherheit dar, als bei der nutzerseitigen Verschlüsselung, wie sie etwa PGP (Pretty Good Privacy) oder GnuPG bietet.

Der Hauptanbieter der technischen Lösung ist der ehemalige Staatsbetrieb Deutsche Telekom. Er ist in der Vergangenheit in mehrere Datenschutz- und Überwachungsskandale verwickelt gewesen. So wurden Millionen T-Mobile-Kundendatensätze entwendet, und Journalisten illegal überwacht. Diese Vergangenheit steigert nicht gerade das Vertrauen in die Sicherheit dieser sensiblen Daten bei dem Anbieter.

Die Telekom arbeitet mit dem Bundesinnenministerium in diesem Angebot eng zusammen. Im Innenministerium hingegen reiften die im Bürgerrechtssinne bedenklichen Initiativen zur Online-Durchsuchung und Vorratsdatenspeicherung, so dass man befürchten muss, dass die Weitergabe von Daten an öffentliche Stellen eher großzügig gehandhabt werden wird.

Zu berücksichtigen ist auch, dass die Nutzung von De-Mail nicht vollkommen kostenlos sein wird. So ist die Einrichtung eines Postfaches und der Empfang derzeit zwar kostenlos, aber der Versand einer Mail kostenpflichtig (im Moment vergleichbar mit dem Briefporto).

Zwar ist die Teilnahme am De-Mail-Dienst freiwillig, es könnte aber das Vorhandensein einer De-Mail-Adresse immer mehr zur Vorrausetzung zur Durchführung von Behördengängen und für Geschäftsprozesse mit Unternehmen werden, bzw. der anonymen Teilnahme könnten immer mehr Hürden entgegengesetzt werden. Schließlich ist es ganz erklärtes Ziel des Innenministeriums, die Nutzung von De-Mail zum Normalfall elektronischer Kommunikation zu machen, also die herkömmliche, anonyme elektronische Kommunikation durch andere Anbieter auszutrocknen.

In der Stellungnahme des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung wird von der Nutzung von De-Mail abgeraten. Ich kann das nur unterstreichen.

Privatsphäre ist kein Verbrechen! Sie haben ein Recht auf Anonymität.

De-Mail und die Folgen